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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Diese Idee unterlegte er dieser Handlung. Es war ein Augenblick
ahnungsvollen Erschreckens, der sich nicht näher definiren läßt.

Indeß sich der Freund diesen dunklen Vorgefühlen noch überließ,
trat ein Fremder in das Zimmer, glatt und glänzend wie Dollar,
lackirt, rasirt, lächelnd und höflich, ein blank geöltes Rad aus der
Maschinerie einer großen Handlungsfirma, ein Comptoir-Gentleman
wie je einer aus brettsteifen Vatermördern guckte. Er beschrieb Rück¬
grats-Curven nach allen Seiten hin und wechselte dann einen Frage¬
zeichenblick zwischen Staunton und Moorfeld, dessen Inhalt das Be¬
denken war, ob die Rücksichten der Höflichkeit oder der Vorsicht mit
einer Geschäftssache herauszurücken erlaubten? -- So eben wird der
Schiffbruch der Temperance, Capitän Powell, von Sandy Hoock sig¬
nalisirt, fing er an, ich fliege auf eine Minute von der Börse weg,
und bitte bei Ihren eventuellen Reflectionen darauf um prompteste
Ordre, Mr. Staunton. Diese Nachricht schien für Hrn. Staunton
von großer Erheblichkeit. Er war sogleich ganzer Geschäftsmann. Mit
einer eiligen Verbeugung gegen Moorfeld entschuldigte er die verän¬
derte Richtung seiner Aufmerksamkeit und vertiefte sich dann in das
Notizbuch des Jobbers, mit dem er anfing, Ziffern hin- und her zu
kritzeln und überhaupt in Schriftzeichen, Pantomimen und eingestreuten,
kurzen Geschäftsphrasen sich zu verständigen. So fähig indeß die
Börsen-Hierarchie ist, in ihrer eigenthümlichen Kunstsprache vor dem
Profanen offene Geheimnisse zu behandeln, so begriff Moorfeld doch
den ungefähren Zusammenhang. Zufällig wußte er nämlich von den
sogenannten Mock-Auctionen, die damals eben anfingen und später so
berüchtigt geworden sind. Dieses Geschäft gründete sich darauf, daß
die Unternehmer, durch Seewasser beschädigte und verdorbene Schiffs¬
frachten ankauften, der Waare einen künstlichen Schein gaben und sie
mit großem Gewinn auctionsweise wieder losschlugen. Von einem
solchen Geschäfte war hier die Rede. Herr Staunton gab seine Auf¬
träge, der Jobber notirte und in fünf Minuten war der Schiffbruch
auf Sandy Hoock verwerthet.

Als der Börsenmann fort war, fing Mrs. Staunton, indem sie
sich mit der Newyorker-Tribune Kühlung zufächelte, langsam und ge¬
dehnt an: Sage mir, Bester, haben wir mit der Temperance nicht
unsern Daniel zurückerwartet? Du hättest doch um Gerettete oder

Dieſe Idee unterlegte er dieſer Handlung. Es war ein Augenblick
ahnungsvollen Erſchreckens, der ſich nicht näher definiren läßt.

Indeß ſich der Freund dieſen dunklen Vorgefühlen noch überließ,
trat ein Fremder in das Zimmer, glatt und glänzend wie Dollar,
lackirt, raſirt, lächelnd und höflich, ein blank geöltes Rad aus der
Maſchinerie einer großen Handlungsfirma, ein Comptoir-Gentleman
wie je einer aus brettſteifen Vatermördern guckte. Er beſchrieb Rück¬
grats-Curven nach allen Seiten hin und wechſelte dann einen Frage¬
zeichenblick zwiſchen Staunton und Moorfeld, deſſen Inhalt das Be¬
denken war, ob die Rückſichten der Höflichkeit oder der Vorſicht mit
einer Geſchäftsſache herauszurücken erlaubten? — So eben wird der
Schiffbruch der Temperance, Capitän Powell, von Sandy Hoock ſig¬
naliſirt, fing er an, ich fliege auf eine Minute von der Börſe weg,
und bitte bei Ihren eventuellen Reflectionen darauf um prompteſte
Ordre, Mr. Staunton. Dieſe Nachricht ſchien für Hrn. Staunton
von großer Erheblichkeit. Er war ſogleich ganzer Geſchäftsmann. Mit
einer eiligen Verbeugung gegen Moorfeld entſchuldigte er die verän¬
derte Richtung ſeiner Aufmerkſamkeit und vertiefte ſich dann in das
Notizbuch des Jobbers, mit dem er anfing, Ziffern hin- und her zu
kritzeln und überhaupt in Schriftzeichen, Pantomimen und eingeſtreuten,
kurzen Geſchäftsphraſen ſich zu verſtändigen. So fähig indeß die
Börſen-Hierarchie iſt, in ihrer eigenthümlichen Kunſtſprache vor dem
Profanen offene Geheimniſſe zu behandeln, ſo begriff Moorfeld doch
den ungefähren Zuſammenhang. Zufällig wußte er nämlich von den
ſogenannten Mock-Auctionen, die damals eben anfingen und ſpäter ſo
berüchtigt geworden ſind. Dieſes Geſchäft gründete ſich darauf, daß
die Unternehmer, durch Seewaſſer beſchädigte und verdorbene Schiffs¬
frachten ankauften, der Waare einen künſtlichen Schein gaben und ſie
mit großem Gewinn auctionsweiſe wieder losſchlugen. Von einem
ſolchen Geſchäfte war hier die Rede. Herr Staunton gab ſeine Auf¬
träge, der Jobber notirte und in fünf Minuten war der Schiffbruch
auf Sandy Hoock verwerthet.

Als der Börſenmann fort war, fing Mrs. Staunton, indem ſie
ſich mit der Newyorker-Tribune Kühlung zufächelte, langſam und ge¬
dehnt an: Sage mir, Beſter, haben wir mit der Temperance nicht
unſern Daniel zurückerwartet? Du hätteſt doch um Gerettete oder

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[34/0052] Dieſe Idee unterlegte er dieſer Handlung. Es war ein Augenblick ahnungsvollen Erſchreckens, der ſich nicht näher definiren läßt. Indeß ſich der Freund dieſen dunklen Vorgefühlen noch überließ, trat ein Fremder in das Zimmer, glatt und glänzend wie Dollar, lackirt, raſirt, lächelnd und höflich, ein blank geöltes Rad aus der Maſchinerie einer großen Handlungsfirma, ein Comptoir-Gentleman wie je einer aus brettſteifen Vatermördern guckte. Er beſchrieb Rück¬ grats-Curven nach allen Seiten hin und wechſelte dann einen Frage¬ zeichenblick zwiſchen Staunton und Moorfeld, deſſen Inhalt das Be¬ denken war, ob die Rückſichten der Höflichkeit oder der Vorſicht mit einer Geſchäftsſache herauszurücken erlaubten? — So eben wird der Schiffbruch der Temperance, Capitän Powell, von Sandy Hoock ſig¬ naliſirt, fing er an, ich fliege auf eine Minute von der Börſe weg, und bitte bei Ihren eventuellen Reflectionen darauf um prompteſte Ordre, Mr. Staunton. Dieſe Nachricht ſchien für Hrn. Staunton von großer Erheblichkeit. Er war ſogleich ganzer Geſchäftsmann. Mit einer eiligen Verbeugung gegen Moorfeld entſchuldigte er die verän¬ derte Richtung ſeiner Aufmerkſamkeit und vertiefte ſich dann in das Notizbuch des Jobbers, mit dem er anfing, Ziffern hin- und her zu kritzeln und überhaupt in Schriftzeichen, Pantomimen und eingeſtreuten, kurzen Geſchäftsphraſen ſich zu verſtändigen. So fähig indeß die Börſen-Hierarchie iſt, in ihrer eigenthümlichen Kunſtſprache vor dem Profanen offene Geheimniſſe zu behandeln, ſo begriff Moorfeld doch den ungefähren Zuſammenhang. Zufällig wußte er nämlich von den ſogenannten Mock-Auctionen, die damals eben anfingen und ſpäter ſo berüchtigt geworden ſind. Dieſes Geſchäft gründete ſich darauf, daß die Unternehmer, durch Seewaſſer beſchädigte und verdorbene Schiffs¬ frachten ankauften, der Waare einen künſtlichen Schein gaben und ſie mit großem Gewinn auctionsweiſe wieder losſchlugen. Von einem ſolchen Geſchäfte war hier die Rede. Herr Staunton gab ſeine Auf¬ träge, der Jobber notirte und in fünf Minuten war der Schiffbruch auf Sandy Hoock verwerthet. Als der Börſenmann fort war, fing Mrs. Staunton, indem ſie ſich mit der Newyorker-Tribune Kühlung zufächelte, langſam und ge¬ dehnt an: Sage mir, Beſter, haben wir mit der Temperance nicht unſern Daniel zurückerwartet? Du hätteſt doch um Gerettete oder

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/52>, abgerufen am 27.04.2024.