Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Gebärdenspiels ist in ein rauschendes Allegro verwandelt; er wirft die
Sachen mit einer genußlosen Hast unter einander, seine Finger zucken
wie elektrisch, oft unterbricht er sich und geht mit starken Schrit¬
ten durch das Zimmer. Der enge Raum genügt bald seiner un¬
ruhigen Bewegung nicht mehr, es ist mit diesem häuslichen Sonn¬
tage nichts anders anzufangen, als ihn in publico anzusehen. Er
eilt fort.

Die beste Flucht vor dem Sonntag wäre natürlich direct in den
Sonntag hinein gewesen. Schon als Sittenbeschauer der Menschen
konnte der Fremde nichts anders, als heute die Kirchen besuchen.
Wahrscheinlich hätte es Moorfeld auch gethan -- ohne Herrn Staun¬
ton's Morgenbesuch. Dieser aber trieb ihn begreiflich -- in die Oppo¬
sition. Andächtig zu sein mit Andächtigen, welche "Aergerniß" an
einem Adagio nehmen -- in Europa sieht es Jedermann ein, daß das
einem Europäer nicht möglich war.

Dazu kam das Sonntagsgeläute. Wie wurde unserm Freund als
er in Newyork läuten hörte, wie man in Europa zum Feuer "an¬
schlägt" ? Anfangs glaubte er wirklich die ganze Stadt brenne, als
das eintönige Gehämmer von allen Kirchen zu arbeiten anfing. Mit
empörter Seele rannte er in die Einsamkeit. Wir wüßten auch nichts,
was von dem Menschen mehr hinwegscheucht, als solch ein äußerster
Grad seiner Rhythmuslosigkeit. Höchstens noch ein Diner aus Fett
und Pfeffer und Champagner mit Brandy. Wahrlich, unser Freund
zieht eine starke Summe seit gestern. Ein Volk das nicht einmal die
Instincte des Gaumens und der Andacht -- also die Grundpfeiler
der sinnlich-sittlichen Menschennatur -- zu erfüllen weiß, das wandelt
doch weit ab vom europäischen Wege. In diesem Augenblicke ging
ihm einstweilen Moorfeld selbst aus dem Wege. Er wandelte auf der
Battery wo eben Niemand wandelte. Das frische Meer, der blaue
Himmel, der weite unendliche Horizont stammend und spiegelnd im
Lichte der kräftigsten Sommersonne ließen ihn ein paar Stunden so
hinträumen. Notizbuch und Stift in seiner Hand verrathen uns, daß
wir ihn in Gesellschaft guter Geister wissen. Freilich sehen wir ihn eben
so oft streichen als schreiben; es scheint ein kleiner Familienzwist in
dieser Gesellschaft zu herrschen. Wenn es kein großer ist -- bekümmern
wir uns nicht darum.

Gebärdenſpiels iſt in ein rauſchendes Allegro verwandelt; er wirft die
Sachen mit einer genußloſen Haſt unter einander, ſeine Finger zucken
wie elektriſch, oft unterbricht er ſich und geht mit ſtarken Schrit¬
ten durch das Zimmer. Der enge Raum genügt bald ſeiner un¬
ruhigen Bewegung nicht mehr, es iſt mit dieſem häuslichen Sonn¬
tage nichts anders anzufangen, als ihn in publico anzuſehen. Er
eilt fort.

Die beſte Flucht vor dem Sonntag wäre natürlich direct in den
Sonntag hinein geweſen. Schon als Sittenbeſchauer der Menſchen
konnte der Fremde nichts anders, als heute die Kirchen beſuchen.
Wahrſcheinlich hätte es Moorfeld auch gethan — ohne Herrn Staun¬
ton's Morgenbeſuch. Dieſer aber trieb ihn begreiflich — in die Oppo¬
ſition. Andächtig zu ſein mit Andächtigen, welche „Aergerniß“ an
einem Adagio nehmen — in Europa ſieht es Jedermann ein, daß das
einem Europäer nicht möglich war.

Dazu kam das Sonntagsgeläute. Wie wurde unſerm Freund als
er in Newyork läuten hörte, wie man in Europa zum Feuer „an¬
ſchlägt“ ? Anfangs glaubte er wirklich die ganze Stadt brenne, als
das eintönige Gehämmer von allen Kirchen zu arbeiten anfing. Mit
empörter Seele rannte er in die Einſamkeit. Wir wüßten auch nichts,
was von dem Menſchen mehr hinwegſcheucht, als ſolch ein äußerſter
Grad ſeiner Rhythmusloſigkeit. Höchſtens noch ein Diner aus Fett
und Pfeffer und Champagner mit Brandy. Wahrlich, unſer Freund
zieht eine ſtarke Summe ſeit geſtern. Ein Volk das nicht einmal die
Inſtincte des Gaumens und der Andacht — alſo die Grundpfeiler
der ſinnlich-ſittlichen Menſchennatur — zu erfüllen weiß, das wandelt
doch weit ab vom europäiſchen Wege. In dieſem Augenblicke ging
ihm einſtweilen Moorfeld ſelbſt aus dem Wege. Er wandelte auf der
Battery wo eben Niemand wandelte. Das friſche Meer, der blaue
Himmel, der weite unendliche Horizont ſtammend und ſpiegelnd im
Lichte der kräftigſten Sommerſonne ließen ihn ein paar Stunden ſo
hinträumen. Notizbuch und Stift in ſeiner Hand verrathen uns, daß
wir ihn in Geſellſchaft guter Geiſter wiſſen. Freilich ſehen wir ihn eben
ſo oft ſtreichen als ſchreiben; es ſcheint ein kleiner Familienzwiſt in
dieſer Geſellſchaft zu herrſchen. Wenn es kein großer iſt — bekümmern
wir uns nicht darum.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0056" n="38"/>
Gebärden&#x017F;piels i&#x017F;t in ein rau&#x017F;chendes Allegro verwandelt; er wirft die<lb/>
Sachen mit einer genußlo&#x017F;en Ha&#x017F;t unter einander, &#x017F;eine Finger zucken<lb/>
wie elektri&#x017F;ch, oft unterbricht er &#x017F;ich und geht mit &#x017F;tarken Schrit¬<lb/>
ten durch das Zimmer. Der enge Raum genügt bald &#x017F;einer un¬<lb/>
ruhigen Bewegung nicht mehr, es i&#x017F;t mit die&#x017F;em häuslichen Sonn¬<lb/>
tage nichts anders anzufangen, als ihn <hi rendition="#aq">in publico</hi> anzu&#x017F;ehen. Er<lb/>
eilt fort.</p><lb/>
          <p>Die be&#x017F;te Flucht vor dem Sonntag wäre natürlich direct in den<lb/>
Sonntag hinein gewe&#x017F;en. Schon als Sittenbe&#x017F;chauer der Men&#x017F;chen<lb/>
konnte der Fremde nichts anders, als heute die Kirchen be&#x017F;uchen.<lb/>
Wahr&#x017F;cheinlich hätte es Moorfeld auch gethan &#x2014; ohne Herrn Staun¬<lb/>
ton's Morgenbe&#x017F;uch. Die&#x017F;er aber trieb ihn begreiflich &#x2014; in die Oppo¬<lb/>
&#x017F;ition. Andächtig zu &#x017F;ein mit Andächtigen, welche &#x201E;Aergerniß&#x201C; an<lb/>
einem Adagio nehmen &#x2014; in Europa &#x017F;ieht es Jedermann ein, daß das<lb/>
einem Europäer nicht möglich war.</p><lb/>
          <p>Dazu kam das Sonntagsgeläute. Wie wurde un&#x017F;erm Freund als<lb/>
er in Newyork läuten hörte, wie man in Europa zum Feuer &#x201E;an¬<lb/>
&#x017F;chlägt&#x201C; ? Anfangs glaubte er wirklich die ganze Stadt brenne, als<lb/>
das eintönige Gehämmer von allen Kirchen zu arbeiten anfing. Mit<lb/>
empörter Seele rannte er in die Ein&#x017F;amkeit. Wir wüßten auch nichts,<lb/>
was von dem Men&#x017F;chen mehr hinweg&#x017F;cheucht, als &#x017F;olch ein äußer&#x017F;ter<lb/>
Grad &#x017F;einer Rhythmuslo&#x017F;igkeit. Höch&#x017F;tens noch ein Diner aus Fett<lb/>
und Pfeffer und Champagner mit Brandy. Wahrlich, un&#x017F;er Freund<lb/>
zieht eine &#x017F;tarke Summe &#x017F;eit ge&#x017F;tern. Ein Volk das nicht einmal die<lb/>
In&#x017F;tincte des Gaumens und der Andacht &#x2014; al&#x017F;o die Grundpfeiler<lb/>
der &#x017F;innlich-&#x017F;ittlichen Men&#x017F;chennatur &#x2014; zu erfüllen weiß, das wandelt<lb/>
doch weit ab vom europäi&#x017F;chen Wege. In die&#x017F;em Augenblicke ging<lb/>
ihm ein&#x017F;tweilen Moorfeld &#x017F;elb&#x017F;t aus dem Wege. Er wandelte auf der<lb/>
Battery wo eben Niemand wandelte. Das fri&#x017F;che Meer, der blaue<lb/>
Himmel, der weite unendliche Horizont &#x017F;tammend und &#x017F;piegelnd im<lb/>
Lichte der kräftig&#x017F;ten Sommer&#x017F;onne ließen ihn ein paar Stunden &#x017F;o<lb/>
hinträumen. Notizbuch und Stift in &#x017F;einer Hand verrathen uns, daß<lb/>
wir ihn in Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft guter Gei&#x017F;ter wi&#x017F;&#x017F;en. Freilich &#x017F;ehen wir ihn eben<lb/>
&#x017F;o oft &#x017F;treichen als &#x017F;chreiben; es &#x017F;cheint ein kleiner Familienzwi&#x017F;t in<lb/>
die&#x017F;er Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft zu herr&#x017F;chen. Wenn es kein großer i&#x017F;t &#x2014; bekümmern<lb/>
wir uns nicht darum.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[38/0056] Gebärdenſpiels iſt in ein rauſchendes Allegro verwandelt; er wirft die Sachen mit einer genußloſen Haſt unter einander, ſeine Finger zucken wie elektriſch, oft unterbricht er ſich und geht mit ſtarken Schrit¬ ten durch das Zimmer. Der enge Raum genügt bald ſeiner un¬ ruhigen Bewegung nicht mehr, es iſt mit dieſem häuslichen Sonn¬ tage nichts anders anzufangen, als ihn in publico anzuſehen. Er eilt fort. Die beſte Flucht vor dem Sonntag wäre natürlich direct in den Sonntag hinein geweſen. Schon als Sittenbeſchauer der Menſchen konnte der Fremde nichts anders, als heute die Kirchen beſuchen. Wahrſcheinlich hätte es Moorfeld auch gethan — ohne Herrn Staun¬ ton's Morgenbeſuch. Dieſer aber trieb ihn begreiflich — in die Oppo¬ ſition. Andächtig zu ſein mit Andächtigen, welche „Aergerniß“ an einem Adagio nehmen — in Europa ſieht es Jedermann ein, daß das einem Europäer nicht möglich war. Dazu kam das Sonntagsgeläute. Wie wurde unſerm Freund als er in Newyork läuten hörte, wie man in Europa zum Feuer „an¬ ſchlägt“ ? Anfangs glaubte er wirklich die ganze Stadt brenne, als das eintönige Gehämmer von allen Kirchen zu arbeiten anfing. Mit empörter Seele rannte er in die Einſamkeit. Wir wüßten auch nichts, was von dem Menſchen mehr hinwegſcheucht, als ſolch ein äußerſter Grad ſeiner Rhythmusloſigkeit. Höchſtens noch ein Diner aus Fett und Pfeffer und Champagner mit Brandy. Wahrlich, unſer Freund zieht eine ſtarke Summe ſeit geſtern. Ein Volk das nicht einmal die Inſtincte des Gaumens und der Andacht — alſo die Grundpfeiler der ſinnlich-ſittlichen Menſchennatur — zu erfüllen weiß, das wandelt doch weit ab vom europäiſchen Wege. In dieſem Augenblicke ging ihm einſtweilen Moorfeld ſelbſt aus dem Wege. Er wandelte auf der Battery wo eben Niemand wandelte. Das friſche Meer, der blaue Himmel, der weite unendliche Horizont ſtammend und ſpiegelnd im Lichte der kräftigſten Sommerſonne ließen ihn ein paar Stunden ſo hinträumen. Notizbuch und Stift in ſeiner Hand verrathen uns, daß wir ihn in Geſellſchaft guter Geiſter wiſſen. Freilich ſehen wir ihn eben ſo oft ſtreichen als ſchreiben; es ſcheint ein kleiner Familienzwiſt in dieſer Geſellſchaft zu herrſchen. Wenn es kein großer iſt — bekümmern wir uns nicht darum.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/56
Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/56>, abgerufen am 27.04.2024.