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Kugler, Franz: Die Incantada. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 81–146. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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wird viele Weisheit gefordert. Du weißt es, Bruder, Menschen können verzaubert werden in Thiere und in Pflanzen und in Steine: -- sage mir, sage mir, und du machst Dimitri zum glücklichsten Menschen: wie wird solcher Zauber gelöset, wie wird denen, so in Steine verwandelt und lange Jahre qualvoll gebunden waren, wie wird ihnen Athem und Seele und Liebeskraft zurückgegeben?

Dimitri hatte die letzten Worte mit leidenschaftlicher Stimme gesprochen und ihn mit beiden Händen heftig gefaßt; seine Augen leuchteten in hastiger Glut. Stuart bemerkte erst jetzt, daß ihm, der den Wahnsinn nur spielte, hier Einer gegenüberstand, dessen Gemüth von Bildern, wie sie nur wirkliche Geistesstörung erzeugen mochte, erfüllt war. Er befand sich in einer nicht ganz unbedenklichen Lage; indeß schien es ihm am Gerathensten, mäßig und vorsichtig auf die phantastischen Ideen des jungen Mannes einzugehen.

Und du kennst, so warf er nach kurzem Nachsinnen fragend ein, du kennst solche Steine, die einst Menschen waren gleich uns, mit Fleisch und Bein?

Dimitri stutzte einen Augenblick, indem er Stuart argwöhnisch anblickte. Bald aber heiterten sich seine Züge wieder auf. O ich traue dir, Bruder! so rief er. Du wirst nicht hingehen, wenn ich nicht da bin, du wirst deine geheime Kunst nicht ohne mich zur Ausführung bringen! O gieb mir deine Wissenschaft: die Klagen, die ich mit den Klängen meiner Geige aus-

wird viele Weisheit gefordert. Du weißt es, Bruder, Menschen können verzaubert werden in Thiere und in Pflanzen und in Steine: — sage mir, sage mir, und du machst Dimitri zum glücklichsten Menschen: wie wird solcher Zauber gelöset, wie wird denen, so in Steine verwandelt und lange Jahre qualvoll gebunden waren, wie wird ihnen Athem und Seele und Liebeskraft zurückgegeben?

Dimitri hatte die letzten Worte mit leidenschaftlicher Stimme gesprochen und ihn mit beiden Händen heftig gefaßt; seine Augen leuchteten in hastiger Glut. Stuart bemerkte erst jetzt, daß ihm, der den Wahnsinn nur spielte, hier Einer gegenüberstand, dessen Gemüth von Bildern, wie sie nur wirkliche Geistesstörung erzeugen mochte, erfüllt war. Er befand sich in einer nicht ganz unbedenklichen Lage; indeß schien es ihm am Gerathensten, mäßig und vorsichtig auf die phantastischen Ideen des jungen Mannes einzugehen.

Und du kennst, so warf er nach kurzem Nachsinnen fragend ein, du kennst solche Steine, die einst Menschen waren gleich uns, mit Fleisch und Bein?

Dimitri stutzte einen Augenblick, indem er Stuart argwöhnisch anblickte. Bald aber heiterten sich seine Züge wieder auf. O ich traue dir, Bruder! so rief er. Du wirst nicht hingehen, wenn ich nicht da bin, du wirst deine geheime Kunst nicht ohne mich zur Ausführung bringen! O gieb mir deine Wissenschaft: die Klagen, die ich mit den Klängen meiner Geige aus-

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:01:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:01:39Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Kugler, Franz: Die Incantada. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 81–146. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kugler_incantada_1910/13>, abgerufen am 26.04.2024.