Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

gefaßter Vorsätze, vielleicht eigener Erfahrung zufolge, kein großes Ver¬
trauen schenkten. Wirst du auch den weiten Weg finden? fragte
Magdalene mit Thränen in den Augen. Bis nach Heilbronn, ant¬
wortete er düster lachend, kenn' ich ihn schon, und das wird ungefähr
halbwegs sein. Der Chirurgus holte mit Wichtigkeit eine Homann'sche
Karte des deutschen Reiches, die er besaß, und demonstrirte ihm mit
dem Zirkel, daß das noch nicht ganz den dritten Theil der Reise be¬
trage. Dann muß ich eben noch ein wenig weiter gehen, sagte Fried¬
rich: das Frankfort wird ja nicht aus der Welt liegen; ich geh' eben
der Nas' nach; und die Leut' an dem Main da drunten werden die
Nas' auch grad' überm Maul tragen, justement wie wir hie. Dann
schüttelte er seinen Verwandten die Hände und ging. Bei dem Schwa¬
ger Krämer klopfte er nur im Vorübergehn an's Fenster und rief
seiner Schwester einen kurzen Abschiedsgruß zu, lockte aber ihre Kinder
eine Strecke weit mit sich und entließ sie geküßt und beschenkt.

Nachdem er diese gleichgiltigeren Angelegenheiten abgethan hatte,
trat er den schweren Gang zu Christinen an. Diesmal suchte er keine
Nebengäßchen, sondern ging den geraden Weg bis ans Ende des Fleckens
und sah dabei allen Begegnenden herzhaft und freundlich in's Gesicht.
Als er aber die Treppe so weit unter sich hatte, um im Hinaufsteigen
einen Blick durch das Fenster werfen zu können, stieß er einen Fluch
aus, sprang den Rest der Stufen mit zwei Sätzen hinauf und stürzte
wüthend in die Stube, wo der alte Hirschbauer seine Tochter so eben
an den Zöpfen ergriffen hatte und die Hand aufhob sie zu schlagen.
Halt! rief Friedrich, warf sich zwischen Beide und riß die Tochter von
dem Vater weg: Wenn Euch Euer Leben lieb ist, rief er, so unter¬
steht Euch nicht, ihr ein Haar zu krümmen! Mir allein kommt das
Recht zu, sie zu schlagen, wenn sie etwa gefehlt hat.

Das könnt' ich brauchen, polterte der Hirschbauer, daß mir einer
meine Tochter verführt und noch dazu in meinem Haus den Meister
spielen will. Weiß wohl, wo die Häglein niedrig sind, da drüber
steigt man gern; aber mich soll Armuth und Niedrigkeit nicht so weit
bringen, daß ich Muthwillen mit mir und den Meinigen treiben lass'.

Es ist von keinem Muthwillen die Red', sagte Friedrich, und ich
bin kein Verführer. Ich will Eurer Tochter alle Ehr' und alle Treu'

gefaßter Vorſätze, vielleicht eigener Erfahrung zufolge, kein großes Ver¬
trauen ſchenkten. Wirſt du auch den weiten Weg finden? fragte
Magdalene mit Thränen in den Augen. Bis nach Heilbronn, ant¬
wortete er düſter lachend, kenn' ich ihn ſchon, und das wird ungefähr
halbwegs ſein. Der Chirurgus holte mit Wichtigkeit eine Homann'ſche
Karte des deutſchen Reiches, die er beſaß, und demonſtrirte ihm mit
dem Zirkel, daß das noch nicht ganz den dritten Theil der Reiſe be¬
trage. Dann muß ich eben noch ein wenig weiter gehen, ſagte Fried¬
rich: das Frankfort wird ja nicht aus der Welt liegen; ich geh' eben
der Naſ' nach; und die Leut' an dem Main da drunten werden die
Naſ' auch grad' überm Maul tragen, juſtement wie wir hie. Dann
ſchüttelte er ſeinen Verwandten die Hände und ging. Bei dem Schwa¬
ger Krämer klopfte er nur im Vorübergehn an's Fenſter und rief
ſeiner Schweſter einen kurzen Abſchiedsgruß zu, lockte aber ihre Kinder
eine Strecke weit mit ſich und entließ ſie geküßt und beſchenkt.

Nachdem er dieſe gleichgiltigeren Angelegenheiten abgethan hatte,
trat er den ſchweren Gang zu Chriſtinen an. Diesmal ſuchte er keine
Nebengäßchen, ſondern ging den geraden Weg bis ans Ende des Fleckens
und ſah dabei allen Begegnenden herzhaft und freundlich in's Geſicht.
Als er aber die Treppe ſo weit unter ſich hatte, um im Hinaufſteigen
einen Blick durch das Fenſter werfen zu können, ſtieß er einen Fluch
aus, ſprang den Reſt der Stufen mit zwei Sätzen hinauf und ſtürzte
wüthend in die Stube, wo der alte Hirſchbauer ſeine Tochter ſo eben
an den Zöpfen ergriffen hatte und die Hand aufhob ſie zu ſchlagen.
Halt! rief Friedrich, warf ſich zwiſchen Beide und riß die Tochter von
dem Vater weg: Wenn Euch Euer Leben lieb iſt, rief er, ſo unter¬
ſteht Euch nicht, ihr ein Haar zu krümmen! Mir allein kommt das
Recht zu, ſie zu ſchlagen, wenn ſie etwa gefehlt hat.

Das könnt' ich brauchen, polterte der Hirſchbauer, daß mir einer
meine Tochter verführt und noch dazu in meinem Haus den Meiſter
ſpielen will. Weiß wohl, wo die Häglein niedrig ſind, da drüber
ſteigt man gern; aber mich ſoll Armuth und Niedrigkeit nicht ſo weit
bringen, daß ich Muthwillen mit mir und den Meinigen treiben laſſ'.

Es iſt von keinem Muthwillen die Red', ſagte Friedrich, und ich
bin kein Verführer. Ich will Eurer Tochter alle Ehr' und alle Treu'

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0160" n="144"/>
gefaßter Vor&#x017F;ätze, vielleicht eigener Erfahrung zufolge, kein großes Ver¬<lb/>
trauen &#x017F;chenkten. Wir&#x017F;t du auch den weiten Weg finden? fragte<lb/>
Magdalene mit Thränen in den Augen. Bis nach Heilbronn, ant¬<lb/>
wortete er dü&#x017F;ter lachend, kenn' ich ihn &#x017F;chon, und das wird ungefähr<lb/>
halbwegs &#x017F;ein. Der Chirurgus holte mit Wichtigkeit eine Homann'&#x017F;che<lb/>
Karte des deut&#x017F;chen Reiches, die er be&#x017F;aß, und demon&#x017F;trirte ihm mit<lb/>
dem Zirkel, daß das noch nicht ganz den dritten Theil der Rei&#x017F;e be¬<lb/>
trage. Dann muß ich eben noch ein wenig weiter gehen, &#x017F;agte Fried¬<lb/>
rich: das Frankfort wird ja nicht aus der Welt liegen; ich geh' eben<lb/>
der Na&#x017F;' nach; und die Leut' an dem Main da drunten werden die<lb/>
Na&#x017F;' auch grad' überm Maul tragen, ju&#x017F;tement wie wir hie. Dann<lb/>
&#x017F;chüttelte er &#x017F;einen Verwandten die Hände und ging. Bei dem Schwa¬<lb/>
ger Krämer klopfte er nur im Vorübergehn an's Fen&#x017F;ter und rief<lb/>
&#x017F;einer Schwe&#x017F;ter einen kurzen Ab&#x017F;chiedsgruß zu, lockte aber ihre Kinder<lb/>
eine Strecke weit mit &#x017F;ich und entließ &#x017F;ie geküßt und be&#x017F;chenkt.</p><lb/>
        <p>Nachdem er die&#x017F;e gleichgiltigeren Angelegenheiten abgethan hatte,<lb/>
trat er den &#x017F;chweren Gang zu Chri&#x017F;tinen an. Diesmal &#x017F;uchte er keine<lb/>
Nebengäßchen, &#x017F;ondern ging den geraden Weg bis ans Ende des Fleckens<lb/>
und &#x017F;ah dabei allen Begegnenden herzhaft und freundlich in's Ge&#x017F;icht.<lb/>
Als er aber die Treppe &#x017F;o weit unter &#x017F;ich hatte, um im Hinauf&#x017F;teigen<lb/>
einen Blick durch das Fen&#x017F;ter werfen zu können, &#x017F;tieß er einen Fluch<lb/>
aus, &#x017F;prang den Re&#x017F;t der Stufen mit zwei Sätzen hinauf und &#x017F;türzte<lb/>
wüthend in die Stube, wo der alte Hir&#x017F;chbauer &#x017F;eine Tochter &#x017F;o eben<lb/>
an den Zöpfen ergriffen hatte und die Hand aufhob &#x017F;ie zu &#x017F;chlagen.<lb/>
Halt! rief Friedrich, warf &#x017F;ich zwi&#x017F;chen Beide und riß die Tochter von<lb/>
dem Vater weg: Wenn Euch Euer Leben lieb i&#x017F;t, rief er, &#x017F;o unter¬<lb/>
&#x017F;teht Euch nicht, ihr ein Haar zu krümmen! Mir allein kommt das<lb/>
Recht zu, &#x017F;ie zu &#x017F;chlagen, wenn &#x017F;ie etwa gefehlt hat.</p><lb/>
        <p>Das könnt' ich brauchen, polterte der Hir&#x017F;chbauer, daß mir einer<lb/>
meine Tochter verführt und noch dazu in meinem Haus den Mei&#x017F;ter<lb/>
&#x017F;pielen will. Weiß wohl, wo die Häglein niedrig &#x017F;ind, da drüber<lb/>
&#x017F;teigt man gern; aber mich &#x017F;oll Armuth und Niedrigkeit nicht &#x017F;o weit<lb/>
bringen, daß ich Muthwillen mit mir und den Meinigen treiben la&#x017F;&#x017F;'.</p><lb/>
        <p>Es i&#x017F;t von keinem Muthwillen die Red', &#x017F;agte Friedrich, und ich<lb/>
bin kein Verführer. Ich will Eurer Tochter alle Ehr' und alle Treu'<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[144/0160] gefaßter Vorſätze, vielleicht eigener Erfahrung zufolge, kein großes Ver¬ trauen ſchenkten. Wirſt du auch den weiten Weg finden? fragte Magdalene mit Thränen in den Augen. Bis nach Heilbronn, ant¬ wortete er düſter lachend, kenn' ich ihn ſchon, und das wird ungefähr halbwegs ſein. Der Chirurgus holte mit Wichtigkeit eine Homann'ſche Karte des deutſchen Reiches, die er beſaß, und demonſtrirte ihm mit dem Zirkel, daß das noch nicht ganz den dritten Theil der Reiſe be¬ trage. Dann muß ich eben noch ein wenig weiter gehen, ſagte Fried¬ rich: das Frankfort wird ja nicht aus der Welt liegen; ich geh' eben der Naſ' nach; und die Leut' an dem Main da drunten werden die Naſ' auch grad' überm Maul tragen, juſtement wie wir hie. Dann ſchüttelte er ſeinen Verwandten die Hände und ging. Bei dem Schwa¬ ger Krämer klopfte er nur im Vorübergehn an's Fenſter und rief ſeiner Schweſter einen kurzen Abſchiedsgruß zu, lockte aber ihre Kinder eine Strecke weit mit ſich und entließ ſie geküßt und beſchenkt. Nachdem er dieſe gleichgiltigeren Angelegenheiten abgethan hatte, trat er den ſchweren Gang zu Chriſtinen an. Diesmal ſuchte er keine Nebengäßchen, ſondern ging den geraden Weg bis ans Ende des Fleckens und ſah dabei allen Begegnenden herzhaft und freundlich in's Geſicht. Als er aber die Treppe ſo weit unter ſich hatte, um im Hinaufſteigen einen Blick durch das Fenſter werfen zu können, ſtieß er einen Fluch aus, ſprang den Reſt der Stufen mit zwei Sätzen hinauf und ſtürzte wüthend in die Stube, wo der alte Hirſchbauer ſeine Tochter ſo eben an den Zöpfen ergriffen hatte und die Hand aufhob ſie zu ſchlagen. Halt! rief Friedrich, warf ſich zwiſchen Beide und riß die Tochter von dem Vater weg: Wenn Euch Euer Leben lieb iſt, rief er, ſo unter¬ ſteht Euch nicht, ihr ein Haar zu krümmen! Mir allein kommt das Recht zu, ſie zu ſchlagen, wenn ſie etwa gefehlt hat. Das könnt' ich brauchen, polterte der Hirſchbauer, daß mir einer meine Tochter verführt und noch dazu in meinem Haus den Meiſter ſpielen will. Weiß wohl, wo die Häglein niedrig ſind, da drüber ſteigt man gern; aber mich ſoll Armuth und Niedrigkeit nicht ſo weit bringen, daß ich Muthwillen mit mir und den Meinigen treiben laſſ'. Es iſt von keinem Muthwillen die Red', ſagte Friedrich, und ich bin kein Verführer. Ich will Eurer Tochter alle Ehr' und alle Treu'

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/160
Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/160>, abgerufen am 15.05.2024.