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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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gegen dich, ein paar Tropfen sind genug. Nachdem sie sich sein Blut
angeeignet, verband sie gleichfalls eilig ihren Arm.

Jetzt sind wir ja ganz blutsverwandt, bemerkte er.

Das ist's nicht allein, erwiderte sie. Wenn's wieder verheilt ist,
so brauch' ich nur mit der Nadel drin zu stüren, dann gibt's dir einen
Stich in Arm, da wo du mein Blut drein empfangen hast, und
ebenso umgekehrt, wenn ich einen Stich da spür' in meinem Arm,
so weiß ich, daß du mir an dem deinigen ein Zeichen gibst, und seh'
daraus, daß mein Schatz in dem Augenblick an mich denkt.

Er lachte. So lang die Narben frisch sind, sagte er, mags wohl
sein, daß sie hie und da ein wenig stechen. Aber ich werd' auch ohne
das oft genug an dich denken.

Wenn's nun aber sein muß, versetzte Christine, so mach' in Got¬
tes Namen daß du fort kommst, und geh' recht leis' mein Katzenstiegle
hinunter, damit niemand im Haus aufwacht.

Sie herzten und küßten einander, daß Friedrich's Ausspruch, Alles
müsse ein Ende haben, beinahe darüber zu Schanden geworden wäre,
und nachdem er manchen vergeblichen Versuch gemacht, den Strom ihrer
Thränen durch Abtrocknen zu hemmen, schlich er so leise, daß man kein
Geräusch hören konnte, die schmale steile Treppe hinab und kam mit
Hilfe des hölzernen Riegels, der anstatt eines Schlosses diente, leicht
durch die hintere Thüre aus dem Haus.

Nachdem er sich noch mehrmals umgekehrt und manchen Blick nach
dem Schauplatze seines Glücks zurückgesendet hatte, ging er der Sonne
zu, um sein Reisebündel zu holen. Alles schlief noch; ungehört betrat
und verließ er sein väterliches Haus. Aber auch von diesem, so we¬
nig Gutes er in letzter Zeit daselbst erlebt zu haben meinte, fühlte
er sich noch eine geraume Weile festgehalten und starrte mit feuchten
Augen nach den Fenstern hinauf, hinter welchen seine Mutter ihn
geboren und mit so unendlicher Liebe aufgezogen hatte, hinter welchen
der Mann waltete, der doch immer sein Vater war. Sein rauhes
Herz war von einer unsäglichen Wehmuth ergriffen, in welcher die
innerste Seele des Volksstammes, dem er angehörte, sich spiegelte.
Der Schwabe, obgleich er eines der unstätesten Völker ist und viel¬
leicht sogar seinen Namen vom Schweben und Schweifen hat, ist doch
darum dem Heimthum nicht minder als dem Wandertriebe verfallen.

gegen dich, ein paar Tropfen ſind genug. Nachdem ſie ſich ſein Blut
angeeignet, verband ſie gleichfalls eilig ihren Arm.

Jetzt ſind wir ja ganz blutsverwandt, bemerkte er.

Das iſt's nicht allein, erwiderte ſie. Wenn's wieder verheilt iſt,
ſo brauch' ich nur mit der Nadel drin zu ſtüren, dann gibt's dir einen
Stich in Arm, da wo du mein Blut drein empfangen haſt, und
ebenſo umgekehrt, wenn ich einen Stich da ſpür' in meinem Arm,
ſo weiß ich, daß du mir an dem deinigen ein Zeichen gibſt, und ſeh'
daraus, daß mein Schatz in dem Augenblick an mich denkt.

Er lachte. So lang die Narben friſch ſind, ſagte er, mags wohl
ſein, daß ſie hie und da ein wenig ſtechen. Aber ich werd' auch ohne
das oft genug an dich denken.

Wenn's nun aber ſein muß, verſetzte Chriſtine, ſo mach' in Got¬
tes Namen daß du fort kommſt, und geh' recht leiſ' mein Katzenſtiegle
hinunter, damit niemand im Haus aufwacht.

Sie herzten und küßten einander, daß Friedrich's Ausſpruch, Alles
müſſe ein Ende haben, beinahe darüber zu Schanden geworden wäre,
und nachdem er manchen vergeblichen Verſuch gemacht, den Strom ihrer
Thränen durch Abtrocknen zu hemmen, ſchlich er ſo leiſe, daß man kein
Geräuſch hören konnte, die ſchmale ſteile Treppe hinab und kam mit
Hilfe des hölzernen Riegels, der anſtatt eines Schloſſes diente, leicht
durch die hintere Thüre aus dem Haus.

Nachdem er ſich noch mehrmals umgekehrt und manchen Blick nach
dem Schauplatze ſeines Glücks zurückgeſendet hatte, ging er der Sonne
zu, um ſein Reiſebündel zu holen. Alles ſchlief noch; ungehört betrat
und verließ er ſein väterliches Haus. Aber auch von dieſem, ſo we¬
nig Gutes er in letzter Zeit daſelbſt erlebt zu haben meinte, fühlte
er ſich noch eine geraume Weile feſtgehalten und ſtarrte mit feuchten
Augen nach den Fenſtern hinauf, hinter welchen ſeine Mutter ihn
geboren und mit ſo unendlicher Liebe aufgezogen hatte, hinter welchen
der Mann waltete, der doch immer ſein Vater war. Sein rauhes
Herz war von einer unſäglichen Wehmuth ergriffen, in welcher die
innerſte Seele des Volksſtammes, dem er angehörte, ſich ſpiegelte.
Der Schwabe, obgleich er eines der unſtäteſten Völker iſt und viel¬
leicht ſogar ſeinen Namen vom Schweben und Schweifen hat, iſt doch
darum dem Heimthum nicht minder als dem Wandertriebe verfallen.

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[152/0168] gegen dich, ein paar Tropfen ſind genug. Nachdem ſie ſich ſein Blut angeeignet, verband ſie gleichfalls eilig ihren Arm. Jetzt ſind wir ja ganz blutsverwandt, bemerkte er. Das iſt's nicht allein, erwiderte ſie. Wenn's wieder verheilt iſt, ſo brauch' ich nur mit der Nadel drin zu ſtüren, dann gibt's dir einen Stich in Arm, da wo du mein Blut drein empfangen haſt, und ebenſo umgekehrt, wenn ich einen Stich da ſpür' in meinem Arm, ſo weiß ich, daß du mir an dem deinigen ein Zeichen gibſt, und ſeh' daraus, daß mein Schatz in dem Augenblick an mich denkt. Er lachte. So lang die Narben friſch ſind, ſagte er, mags wohl ſein, daß ſie hie und da ein wenig ſtechen. Aber ich werd' auch ohne das oft genug an dich denken. Wenn's nun aber ſein muß, verſetzte Chriſtine, ſo mach' in Got¬ tes Namen daß du fort kommſt, und geh' recht leiſ' mein Katzenſtiegle hinunter, damit niemand im Haus aufwacht. Sie herzten und küßten einander, daß Friedrich's Ausſpruch, Alles müſſe ein Ende haben, beinahe darüber zu Schanden geworden wäre, und nachdem er manchen vergeblichen Verſuch gemacht, den Strom ihrer Thränen durch Abtrocknen zu hemmen, ſchlich er ſo leiſe, daß man kein Geräuſch hören konnte, die ſchmale ſteile Treppe hinab und kam mit Hilfe des hölzernen Riegels, der anſtatt eines Schloſſes diente, leicht durch die hintere Thüre aus dem Haus. Nachdem er ſich noch mehrmals umgekehrt und manchen Blick nach dem Schauplatze ſeines Glücks zurückgeſendet hatte, ging er der Sonne zu, um ſein Reiſebündel zu holen. Alles ſchlief noch; ungehört betrat und verließ er ſein väterliches Haus. Aber auch von dieſem, ſo we¬ nig Gutes er in letzter Zeit daſelbſt erlebt zu haben meinte, fühlte er ſich noch eine geraume Weile feſtgehalten und ſtarrte mit feuchten Augen nach den Fenſtern hinauf, hinter welchen ſeine Mutter ihn geboren und mit ſo unendlicher Liebe aufgezogen hatte, hinter welchen der Mann waltete, der doch immer ſein Vater war. Sein rauhes Herz war von einer unſäglichen Wehmuth ergriffen, in welcher die innerſte Seele des Volksſtammes, dem er angehörte, ſich ſpiegelte. Der Schwabe, obgleich er eines der unſtäteſten Völker iſt und viel¬ leicht ſogar ſeinen Namen vom Schweben und Schweifen hat, iſt doch darum dem Heimthum nicht minder als dem Wandertriebe verfallen.

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/168>, abgerufen am 27.04.2024.