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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

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§. 59. Die Verordnungen des Reichs.
Anordnung trifft, nach dem Landesstaatsrecht. Was endlich die
Bundesraths-Verordnungen anlangt, so liegt die Ausfertigung der
Bundesraths-Beschlüsse, wie dies bei allen beschließenden Collegien
Gebrauch ist, dem Vorsitzenden, also dem Reichskanzler ob. Eine
kaiserliche Ausfertigung der vom Bundesrath beschlossenen Verord-
nungen ist in der R.-V. nicht vorgeschrieben; Art. 17 erfordert
dieselbe nur bei Gesetzen. Diese Unterscheidung ist sachlich begrün-
det, da für ein Gesetz der Bundesrathsbeschluß nur eine der ver-
fassungsmäßigen Vorbedingungen ist, für eine Verordnung dagegen
der Bundesrathsbeschluß genügt.

Die rechtliche Bedeutung der Ausfertigung ist bei den Ver-
ordnungen dieselbe, wie bei den Gesetzen. Es wird durch dieselbe
authentisch bekundet, daß die Verordnung formell ordnungsmäßig
zu Stande gekommen ist, und daß sie den in der Urkunde enthal-
tenen Wortlaut hat. Wenn in der Promulgationsformel einer
kaiserlichen Verordnung bezeugt wird, daß dieselbe mit Zustimmung
des Bundesrathes oder im Einvernehmen mit dem Bundesrath er-
lassen ist, so entzieht sich die Richtigkeit dieser Thatsache jeder
weiteren Prüfung und Beurtheilung durch die Gerichte, Verwal-
tungsbehörden und Unterthanen des Reiches. Es ist in dieser
Formel nicht nur ein Zeugniß enthalten, daß der Inhalt der Ver-
ordnung dem Bundesrath zur Beschlußfassung vorgelegt und durch
einen Beschluß desselben gebilligt worden ist; sondern auch ein
formell unanfechtbares Urtheil ausgesprochen, daß dieser Beschluß
des Bundesrathes den Verfassungsbestimmungen gemäß und gültig
gefaßt worden ist. Dieser kaiserliche Ausspruch kann nicht von
Gerichten oder Verwaltungsbehörden in den einzelnen von ihnen
zu entscheidenden Fällen unbeachtet gelassen oder berichtigt werden.
Die Verantwortlichkeit für die Richtigkeit des kaiserlichen Ausspruchs
übernimmt der Reichskanzler durch Gegenzeichnung der kaiserlichen
Urkunde. Dasselbe gilt von den vom Reichskanzler erlassenen Ver-
ordnungen, wenn in denselben bezeugt wird, daß sie nach Verneh-
mung oder unter Genehmigung eines Bundesraths-Ausschusses oder
unter Zustimmung des Bundesraths oder nach Anhörung einer
Reichsbehörde ergangen sind. Ist dem Reichskanzler der Erlaß
der Verordnung anvertraut, so ist ihm auch unter eigener Verant-
wortlichkeit die Beobachtung des dafür vorgeschriebenen Verfahrens
überlassen.


§. 59. Die Verordnungen des Reichs.
Anordnung trifft, nach dem Landesſtaatsrecht. Was endlich die
Bundesraths-Verordnungen anlangt, ſo liegt die Ausfertigung der
Bundesraths-Beſchlüſſe, wie dies bei allen beſchließenden Collegien
Gebrauch iſt, dem Vorſitzenden, alſo dem Reichskanzler ob. Eine
kaiſerliche Ausfertigung der vom Bundesrath beſchloſſenen Verord-
nungen iſt in der R.-V. nicht vorgeſchrieben; Art. 17 erfordert
dieſelbe nur bei Geſetzen. Dieſe Unterſcheidung iſt ſachlich begrün-
det, da für ein Geſetz der Bundesrathsbeſchluß nur eine der ver-
faſſungsmäßigen Vorbedingungen iſt, für eine Verordnung dagegen
der Bundesrathsbeſchluß genügt.

Die rechtliche Bedeutung der Ausfertigung iſt bei den Ver-
ordnungen dieſelbe, wie bei den Geſetzen. Es wird durch dieſelbe
authentiſch bekundet, daß die Verordnung formell ordnungsmäßig
zu Stande gekommen iſt, und daß ſie den in der Urkunde enthal-
tenen Wortlaut hat. Wenn in der Promulgationsformel einer
kaiſerlichen Verordnung bezeugt wird, daß dieſelbe mit Zuſtimmung
des Bundesrathes oder im Einvernehmen mit dem Bundesrath er-
laſſen iſt, ſo entzieht ſich die Richtigkeit dieſer Thatſache jeder
weiteren Prüfung und Beurtheilung durch die Gerichte, Verwal-
tungsbehörden und Unterthanen des Reiches. Es iſt in dieſer
Formel nicht nur ein Zeugniß enthalten, daß der Inhalt der Ver-
ordnung dem Bundesrath zur Beſchlußfaſſung vorgelegt und durch
einen Beſchluß deſſelben gebilligt worden iſt; ſondern auch ein
formell unanfechtbares Urtheil ausgeſprochen, daß dieſer Beſchluß
des Bundesrathes den Verfaſſungsbeſtimmungen gemäß und gültig
gefaßt worden iſt. Dieſer kaiſerliche Ausſpruch kann nicht von
Gerichten oder Verwaltungsbehörden in den einzelnen von ihnen
zu entſcheidenden Fällen unbeachtet gelaſſen oder berichtigt werden.
Die Verantwortlichkeit für die Richtigkeit des kaiſerlichen Ausſpruchs
übernimmt der Reichskanzler durch Gegenzeichnung der kaiſerlichen
Urkunde. Daſſelbe gilt von den vom Reichskanzler erlaſſenen Ver-
ordnungen, wenn in denſelben bezeugt wird, daß ſie nach Verneh-
mung oder unter Genehmigung eines Bundesraths-Ausſchuſſes oder
unter Zuſtimmung des Bundesraths oder nach Anhörung einer
Reichsbehörde ergangen ſind. Iſt dem Reichskanzler der Erlaß
der Verordnung anvertraut, ſo iſt ihm auch unter eigener Verant-
wortlichkeit die Beobachtung des dafür vorgeſchriebenen Verfahrens
überlaſſen.


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[86/0100] §. 59. Die Verordnungen des Reichs. Anordnung trifft, nach dem Landesſtaatsrecht. Was endlich die Bundesraths-Verordnungen anlangt, ſo liegt die Ausfertigung der Bundesraths-Beſchlüſſe, wie dies bei allen beſchließenden Collegien Gebrauch iſt, dem Vorſitzenden, alſo dem Reichskanzler ob. Eine kaiſerliche Ausfertigung der vom Bundesrath beſchloſſenen Verord- nungen iſt in der R.-V. nicht vorgeſchrieben; Art. 17 erfordert dieſelbe nur bei Geſetzen. Dieſe Unterſcheidung iſt ſachlich begrün- det, da für ein Geſetz der Bundesrathsbeſchluß nur eine der ver- faſſungsmäßigen Vorbedingungen iſt, für eine Verordnung dagegen der Bundesrathsbeſchluß genügt. Die rechtliche Bedeutung der Ausfertigung iſt bei den Ver- ordnungen dieſelbe, wie bei den Geſetzen. Es wird durch dieſelbe authentiſch bekundet, daß die Verordnung formell ordnungsmäßig zu Stande gekommen iſt, und daß ſie den in der Urkunde enthal- tenen Wortlaut hat. Wenn in der Promulgationsformel einer kaiſerlichen Verordnung bezeugt wird, daß dieſelbe mit Zuſtimmung des Bundesrathes oder im Einvernehmen mit dem Bundesrath er- laſſen iſt, ſo entzieht ſich die Richtigkeit dieſer Thatſache jeder weiteren Prüfung und Beurtheilung durch die Gerichte, Verwal- tungsbehörden und Unterthanen des Reiches. Es iſt in dieſer Formel nicht nur ein Zeugniß enthalten, daß der Inhalt der Ver- ordnung dem Bundesrath zur Beſchlußfaſſung vorgelegt und durch einen Beſchluß deſſelben gebilligt worden iſt; ſondern auch ein formell unanfechtbares Urtheil ausgeſprochen, daß dieſer Beſchluß des Bundesrathes den Verfaſſungsbeſtimmungen gemäß und gültig gefaßt worden iſt. Dieſer kaiſerliche Ausſpruch kann nicht von Gerichten oder Verwaltungsbehörden in den einzelnen von ihnen zu entſcheidenden Fällen unbeachtet gelaſſen oder berichtigt werden. Die Verantwortlichkeit für die Richtigkeit des kaiſerlichen Ausſpruchs übernimmt der Reichskanzler durch Gegenzeichnung der kaiſerlichen Urkunde. Daſſelbe gilt von den vom Reichskanzler erlaſſenen Ver- ordnungen, wenn in denſelben bezeugt wird, daß ſie nach Verneh- mung oder unter Genehmigung eines Bundesraths-Ausſchuſſes oder unter Zuſtimmung des Bundesraths oder nach Anhörung einer Reichsbehörde ergangen ſind. Iſt dem Reichskanzler der Erlaß der Verordnung anvertraut, ſo iſt ihm auch unter eigener Verant- wortlichkeit die Beobachtung des dafür vorgeſchriebenen Verfahrens überlaſſen.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/100>, abgerufen am 27.04.2024.