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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

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§. 59. Die Verordnungen des Reichs.

Es ergiebt sich endlich, daß die Einzelstaaten einer ausdrück-
lichen reichsgesetzlichen Ermächtigung zum Erlaß von Gesetzen auf
den ihrer Autonomie überlassenen Gebieten nicht bedürfen, wohl
aber zum Erlaß von Verordnungen behufs Ausführung von Reichs-
gesetzen 1). Die Delegation an die Einzelstaaten kann auch in der
Art beschränkt sein, daß nur der formelle Erlaß (die Sanction)
der Anordnungen ihnen zusteht, der materielle Inhalt derselben
dagegen vom Bundesrath festgestellt wird, wie dies z. B. in dem
Ges. v. 25. Febr. 1876 §. 4 (R.-G.-Bl. S. 164) geschehen ist 2);
oder daß ihnen die Anordnung von Ausführungs-Bestimmungen
nur subsidiär übertragen ist, d. h. soweit nicht der Bundesrath
selbst sie erläßt, wofür das Ges. v. 6 Febr. 1875 §. 83 ein Bei-
spiel liefert.

IV. Die Verordnung bedarf wie das Gesetz einer formellen
und authentischen Erklärung und mithin einer Ausfertigung.
Hinsichtlich der vom Kaiser zu erlassenden Verordnungen versteht
es sich von selbst, daß sie vom Kaiser ausgefertigt werden. Es
finden dieselben Grundsätze Anwendung, wie bei den Gesetzen; die
Ausfertigung besteht in einer vom Kaiser unterschriebenen, mit dem
Kaiserlichen Siegel versehenen, datirten und vom Reichskanzler
gegengezeichneten Urkunde. Ist der Erlaß der Verordnung dem
Reichskanzler übertragen, so ist die Urkunde, welche die Verordnug
enthält, von ihm zu unterzeichnen 3). Die Form, in welcher die
von den Einzelstaaten zu erlassenden Verordnungen auszufertigen
sind, bestimmt sich, falls nicht etwa das Reichsgesetz darüber eine

1) Uebereinstimmend Seydel in Hirth's Annalen 1876 S. 13 Note 1.
Dagegen meint v. Rönne, Preuß. Staatsr. I. 1. §. 48 (S. 197), daß, "so
weit die Einzelstaaten die Vollziehung von Reichsgesetzen haben, ihnen selbst-
verständlich (?) auch das Recht des Erlasses aller Ausführungs-Verordnungen
zusteht". Es liegt hier wahrscheinlich eine Verwechslung der Verwaltungs-
Verordnung mit der Rechts-Verordnung (dem Ausführungs-Gesetz) zu Grunde.
2) Aehnlich auch in dem Ges. v. 7. April 1869 (Maßregeln gegen die
Rinderpest betreffend) §§. 7 u. 8.
3) Eine Vertretung des Reichskanzlers durch den Chef einer ihm unter-
geordneten Reichsbehörde oder durch einen ihm zur Unterstützung beigegebenen
Beamten kann bei dem Erlaß von Rechts-Verordnungen nicht für zulässig er-
achtet werden. Denn die dem Reichskanzler delegirte Gesetzgebungs-Befugniß
enthält nicht die Befugniß zur Subdelegation. Eben so wenig kann eine vom
Kaiser zu erlassende Verordnung vom Reichskanzler ausgefertigt werden.
§. 59. Die Verordnungen des Reichs.

Es ergiebt ſich endlich, daß die Einzelſtaaten einer ausdrück-
lichen reichsgeſetzlichen Ermächtigung zum Erlaß von Geſetzen auf
den ihrer Autonomie überlaſſenen Gebieten nicht bedürfen, wohl
aber zum Erlaß von Verordnungen behufs Ausführung von Reichs-
geſetzen 1). Die Delegation an die Einzelſtaaten kann auch in der
Art beſchränkt ſein, daß nur der formelle Erlaß (die Sanction)
der Anordnungen ihnen zuſteht, der materielle Inhalt derſelben
dagegen vom Bundesrath feſtgeſtellt wird, wie dies z. B. in dem
Geſ. v. 25. Febr. 1876 §. 4 (R.-G.-Bl. S. 164) geſchehen iſt 2);
oder daß ihnen die Anordnung von Ausführungs-Beſtimmungen
nur ſubſidiär übertragen iſt, d. h. ſoweit nicht der Bundesrath
ſelbſt ſie erläßt, wofür das Geſ. v. 6 Febr. 1875 §. 83 ein Bei-
ſpiel liefert.

IV. Die Verordnung bedarf wie das Geſetz einer formellen
und authentiſchen Erklärung und mithin einer Ausfertigung.
Hinſichtlich der vom Kaiſer zu erlaſſenden Verordnungen verſteht
es ſich von ſelbſt, daß ſie vom Kaiſer ausgefertigt werden. Es
finden dieſelben Grundſätze Anwendung, wie bei den Geſetzen; die
Ausfertigung beſteht in einer vom Kaiſer unterſchriebenen, mit dem
Kaiſerlichen Siegel verſehenen, datirten und vom Reichskanzler
gegengezeichneten Urkunde. Iſt der Erlaß der Verordnung dem
Reichskanzler übertragen, ſo iſt die Urkunde, welche die Verordnug
enthält, von ihm zu unterzeichnen 3). Die Form, in welcher die
von den Einzelſtaaten zu erlaſſenden Verordnungen auszufertigen
ſind, beſtimmt ſich, falls nicht etwa das Reichsgeſetz darüber eine

1) Uebereinſtimmend Seydel in Hirth’s Annalen 1876 S. 13 Note 1.
Dagegen meint v. Rönne, Preuß. Staatsr. I. 1. §. 48 (S. 197), daß, „ſo
weit die Einzelſtaaten die Vollziehung von Reichsgeſetzen haben, ihnen ſelbſt-
verſtändlich (?) auch das Recht des Erlaſſes aller Ausführungs-Verordnungen
zuſteht“. Es liegt hier wahrſcheinlich eine Verwechslung der Verwaltungs-
Verordnung mit der Rechts-Verordnung (dem Ausführungs-Geſetz) zu Grunde.
2) Aehnlich auch in dem Geſ. v. 7. April 1869 (Maßregeln gegen die
Rinderpeſt betreffend) §§. 7 u. 8.
3) Eine Vertretung des Reichskanzlers durch den Chef einer ihm unter-
geordneten Reichsbehörde oder durch einen ihm zur Unterſtützung beigegebenen
Beamten kann bei dem Erlaß von Rechts-Verordnungen nicht für zuläſſig er-
achtet werden. Denn die dem Reichskanzler delegirte Geſetzgebungs-Befugniß
enthält nicht die Befugniß zur Subdelegation. Eben ſo wenig kann eine vom
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[85/0099] §. 59. Die Verordnungen des Reichs. Es ergiebt ſich endlich, daß die Einzelſtaaten einer ausdrück- lichen reichsgeſetzlichen Ermächtigung zum Erlaß von Geſetzen auf den ihrer Autonomie überlaſſenen Gebieten nicht bedürfen, wohl aber zum Erlaß von Verordnungen behufs Ausführung von Reichs- geſetzen 1). Die Delegation an die Einzelſtaaten kann auch in der Art beſchränkt ſein, daß nur der formelle Erlaß (die Sanction) der Anordnungen ihnen zuſteht, der materielle Inhalt derſelben dagegen vom Bundesrath feſtgeſtellt wird, wie dies z. B. in dem Geſ. v. 25. Febr. 1876 §. 4 (R.-G.-Bl. S. 164) geſchehen iſt 2); oder daß ihnen die Anordnung von Ausführungs-Beſtimmungen nur ſubſidiär übertragen iſt, d. h. ſoweit nicht der Bundesrath ſelbſt ſie erläßt, wofür das Geſ. v. 6 Febr. 1875 §. 83 ein Bei- ſpiel liefert. IV. Die Verordnung bedarf wie das Geſetz einer formellen und authentiſchen Erklärung und mithin einer Ausfertigung. Hinſichtlich der vom Kaiſer zu erlaſſenden Verordnungen verſteht es ſich von ſelbſt, daß ſie vom Kaiſer ausgefertigt werden. Es finden dieſelben Grundſätze Anwendung, wie bei den Geſetzen; die Ausfertigung beſteht in einer vom Kaiſer unterſchriebenen, mit dem Kaiſerlichen Siegel verſehenen, datirten und vom Reichskanzler gegengezeichneten Urkunde. Iſt der Erlaß der Verordnung dem Reichskanzler übertragen, ſo iſt die Urkunde, welche die Verordnug enthält, von ihm zu unterzeichnen 3). Die Form, in welcher die von den Einzelſtaaten zu erlaſſenden Verordnungen auszufertigen ſind, beſtimmt ſich, falls nicht etwa das Reichsgeſetz darüber eine 1) Uebereinſtimmend Seydel in Hirth’s Annalen 1876 S. 13 Note 1. Dagegen meint v. Rönne, Preuß. Staatsr. I. 1. §. 48 (S. 197), daß, „ſo weit die Einzelſtaaten die Vollziehung von Reichsgeſetzen haben, ihnen ſelbſt- verſtändlich (?) auch das Recht des Erlaſſes aller Ausführungs-Verordnungen zuſteht“. Es liegt hier wahrſcheinlich eine Verwechslung der Verwaltungs- Verordnung mit der Rechts-Verordnung (dem Ausführungs-Geſetz) zu Grunde. 2) Aehnlich auch in dem Geſ. v. 7. April 1869 (Maßregeln gegen die Rinderpeſt betreffend) §§. 7 u. 8. 3) Eine Vertretung des Reichskanzlers durch den Chef einer ihm unter- geordneten Reichsbehörde oder durch einen ihm zur Unterſtützung beigegebenen Beamten kann bei dem Erlaß von Rechts-Verordnungen nicht für zuläſſig er- achtet werden. Denn die dem Reichskanzler delegirte Geſetzgebungs-Befugniß enthält nicht die Befugniß zur Subdelegation. Eben ſo wenig kann eine vom Kaiſer zu erlaſſende Verordnung vom Reichskanzler ausgefertigt werden.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/99>, abgerufen am 28.04.2024.