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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

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§. 60. Die Wirkungen der Reichsgesetze.
dieselben durch das Bundesgesetzblatt verkündet worden sind 1),
anfängt.

Von dieser speziellen Vorschrift abgesehen, fehlt es an einer
allgemeinen Regel, wann die verbindliche Kraft von Reichs-Gesetzen
außerhalb des Bundesgebietes anfängt, insbesondere von Gesetzen,
welche den im Auslande lebenden Reichsangehörigen oder Reichs-
beamten oder den zur Bemannung Deutscher Seeschiffe gehörenden
Personen etwas anbefehlen oder verbieten u. s. w. 2). In der-
artigen Gesetzen sollte daher ein Anfangstermin ihrer Geltung
immer ausdrücklich angeordnet werden 3). Ist dies unterblieben,
so muß nach den Umständen ermessen werden, welche Zeit etwa
erforderlich ist, damit das Stück des Gesetzblattes von Deutsch-
land nach dem in Frage stehenden ausländischen Gebiete gelangen
könne und diese Zeit der für das Bundesgebiet geltenden 14-
tägigen Frist hinzugerechnet werden 4).

3) Der Wortlaut des Art. 2 der R.-V. spricht zwar nur
von Gesetzen; es ist aber bereits dargethan worden, daß dieses
Wort hier nicht im formellen Sinne verstanden werden kann, daß
es daher diejenigen Verordnungen, welche Rechtsregeln enthalten,
mit umfaßt. Solche Verordnungen des Reiches erlangen daher
ebenfalls erst mit dem im Art. 2 der R.-V. festgesetzten Zeitpunkt

1) Es ist dies der Tag, welcher auf dem Reichsgesetzblatt als der Aus-
gabetag angegeben ist. Vgl. auch Seydel, Comment. S. 40.
2) Würde man den in Art. 2 der R.-V. ausgesprochenen Grundsatz zur
Anwendung bringen, so käme man zu dem Resultat, daß ein und dasselbe
Reichsgesetz in den Konsular- Jurisdictions bezirken, also z. B. in der
Türkei 6 Monate, dagegen in Australien oder Californien schon 14 Tage nach
seiner Verkündigung verbindliche Kraft erlangt.
3) Diese Sorgfalt hat die Reichsgesetzgebung aber keineswegs immer be-
obachtet; so fehlt z. B. die Festsetzung des Geltungstermines in dem Gesetz
über die Eheschließung und die Beurkundung des Personenstandes von Reichs-
angehörigen im Auslande vom 4. Mai 1870. Das Gesetz v. 6. Febr. 1875
§. 85 Abs. 2 hat dagegen einen bestimmten Geltungstermin festgesetzt und zwar
den 1. März 1875.
4) Auch im franz. Recht fehlt es an einer gesetzlichen Vorschrift für diesen
Fall. Vgl. darüber Demolombe, Cours de Code civil. Tom. I. Ch. II.
Nr.
29. Nach seiner Ansicht beginnt die verbindliche Kraft französ. Gesetze
für einen im Auslande lebenden Franzosen, sobald er das Gesetz kennen ge-
lernt hat oder die Gelegenheit dazu gehabt hat; darnach könnte die Gesetzes-
kraft für jeden einzelnen im Auslande lebenden Franzosen an einem andern
Tage beginnen und unter Umständen niemals anfangen.

§. 60. Die Wirkungen der Reichsgeſetze.
dieſelben durch das Bundesgeſetzblatt verkündet worden ſind 1),
anfängt.

Von dieſer ſpeziellen Vorſchrift abgeſehen, fehlt es an einer
allgemeinen Regel, wann die verbindliche Kraft von Reichs-Geſetzen
außerhalb des Bundesgebietes anfängt, insbeſondere von Geſetzen,
welche den im Auslande lebenden Reichsangehörigen oder Reichs-
beamten oder den zur Bemannung Deutſcher Seeſchiffe gehörenden
Perſonen etwas anbefehlen oder verbieten u. ſ. w. 2). In der-
artigen Geſetzen ſollte daher ein Anfangstermin ihrer Geltung
immer ausdrücklich angeordnet werden 3). Iſt dies unterblieben,
ſo muß nach den Umſtänden ermeſſen werden, welche Zeit etwa
erforderlich iſt, damit das Stück des Geſetzblattes von Deutſch-
land nach dem in Frage ſtehenden ausländiſchen Gebiete gelangen
könne und dieſe Zeit der für das Bundesgebiet geltenden 14-
tägigen Friſt hinzugerechnet werden 4).

3) Der Wortlaut des Art. 2 der R.-V. ſpricht zwar nur
von Geſetzen; es iſt aber bereits dargethan worden, daß dieſes
Wort hier nicht im formellen Sinne verſtanden werden kann, daß
es daher diejenigen Verordnungen, welche Rechtsregeln enthalten,
mit umfaßt. Solche Verordnungen des Reiches erlangen daher
ebenfalls erſt mit dem im Art. 2 der R.-V. feſtgeſetzten Zeitpunkt

1) Es iſt dies der Tag, welcher auf dem Reichsgeſetzblatt als der Aus-
gabetag angegeben iſt. Vgl. auch Seydel, Comment. S. 40.
2) Würde man den in Art. 2 der R.-V. ausgeſprochenen Grundſatz zur
Anwendung bringen, ſo käme man zu dem Reſultat, daß ein und daſſelbe
Reichsgeſetz in den Konſular- Jurisdictions bezirken, alſo z. B. in der
Türkei 6 Monate, dagegen in Auſtralien oder Californien ſchon 14 Tage nach
ſeiner Verkündigung verbindliche Kraft erlangt.
3) Dieſe Sorgfalt hat die Reichsgeſetzgebung aber keineswegs immer be-
obachtet; ſo fehlt z. B. die Feſtſetzung des Geltungstermines in dem Geſetz
über die Eheſchließung und die Beurkundung des Perſonenſtandes von Reichs-
angehörigen im Auslande vom 4. Mai 1870. Das Geſetz v. 6. Febr. 1875
§. 85 Abſ. 2 hat dagegen einen beſtimmten Geltungstermin feſtgeſetzt und zwar
den 1. März 1875.
4) Auch im franz. Recht fehlt es an einer geſetzlichen Vorſchrift für dieſen
Fall. Vgl. darüber Demolombe, Cours de Code civil. Tom. I. Ch. II.
Nr.
29. Nach ſeiner Anſicht beginnt die verbindliche Kraft franzöſ. Geſetze
für einen im Auslande lebenden Franzoſen, ſobald er das Geſetz kennen ge-
lernt hat oder die Gelegenheit dazu gehabt hat; darnach könnte die Geſetzes-
kraft für jeden einzelnen im Auslande lebenden Franzoſen an einem andern
Tage beginnen und unter Umſtänden niemals anfangen.
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[104/0118] §. 60. Die Wirkungen der Reichsgeſetze. dieſelben durch das Bundesgeſetzblatt verkündet worden ſind 1), anfängt. Von dieſer ſpeziellen Vorſchrift abgeſehen, fehlt es an einer allgemeinen Regel, wann die verbindliche Kraft von Reichs-Geſetzen außerhalb des Bundesgebietes anfängt, insbeſondere von Geſetzen, welche den im Auslande lebenden Reichsangehörigen oder Reichs- beamten oder den zur Bemannung Deutſcher Seeſchiffe gehörenden Perſonen etwas anbefehlen oder verbieten u. ſ. w. 2). In der- artigen Geſetzen ſollte daher ein Anfangstermin ihrer Geltung immer ausdrücklich angeordnet werden 3). Iſt dies unterblieben, ſo muß nach den Umſtänden ermeſſen werden, welche Zeit etwa erforderlich iſt, damit das Stück des Geſetzblattes von Deutſch- land nach dem in Frage ſtehenden ausländiſchen Gebiete gelangen könne und dieſe Zeit der für das Bundesgebiet geltenden 14- tägigen Friſt hinzugerechnet werden 4). 3) Der Wortlaut des Art. 2 der R.-V. ſpricht zwar nur von Geſetzen; es iſt aber bereits dargethan worden, daß dieſes Wort hier nicht im formellen Sinne verſtanden werden kann, daß es daher diejenigen Verordnungen, welche Rechtsregeln enthalten, mit umfaßt. Solche Verordnungen des Reiches erlangen daher ebenfalls erſt mit dem im Art. 2 der R.-V. feſtgeſetzten Zeitpunkt 1) Es iſt dies der Tag, welcher auf dem Reichsgeſetzblatt als der Aus- gabetag angegeben iſt. Vgl. auch Seydel, Comment. S. 40. 2) Würde man den in Art. 2 der R.-V. ausgeſprochenen Grundſatz zur Anwendung bringen, ſo käme man zu dem Reſultat, daß ein und daſſelbe Reichsgeſetz in den Konſular- Jurisdictions bezirken, alſo z. B. in der Türkei 6 Monate, dagegen in Auſtralien oder Californien ſchon 14 Tage nach ſeiner Verkündigung verbindliche Kraft erlangt. 3) Dieſe Sorgfalt hat die Reichsgeſetzgebung aber keineswegs immer be- obachtet; ſo fehlt z. B. die Feſtſetzung des Geltungstermines in dem Geſetz über die Eheſchließung und die Beurkundung des Perſonenſtandes von Reichs- angehörigen im Auslande vom 4. Mai 1870. Das Geſetz v. 6. Febr. 1875 §. 85 Abſ. 2 hat dagegen einen beſtimmten Geltungstermin feſtgeſetzt und zwar den 1. März 1875. 4) Auch im franz. Recht fehlt es an einer geſetzlichen Vorſchrift für dieſen Fall. Vgl. darüber Demolombe, Cours de Code civil. Tom. I. Ch. II. Nr. 29. Nach ſeiner Anſicht beginnt die verbindliche Kraft franzöſ. Geſetze für einen im Auslande lebenden Franzoſen, ſobald er das Geſetz kennen ge- lernt hat oder die Gelegenheit dazu gehabt hat; darnach könnte die Geſetzes- kraft für jeden einzelnen im Auslande lebenden Franzoſen an einem andern Tage beginnen und unter Umſtänden niemals anfangen.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/118>, abgerufen am 06.05.2024.