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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

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§. 60. Die Wirkungen der Reichsgesetze.
verbindliche Kraft, wenn sie nicht selbst einen anderen Anfangs-
termin derselben bestimmen 1).

4) Auf Willensacte des Reiches, welche in der Form des
Reichsgesetzes erklärt werden, die aber keine Rechtssätze enthalten,
ist die Vorschrift über den Anfang ihrer verbindlichen Kraft nicht
anwendbar. Denn zum "Wege der Gesezgebung" oder zur "Ge-
setzes-Form" gehört diese Vorschrift nicht; sie setzt vielmehr ein
Gesetz im materiellen Sinne voraus. Auch der Natur der Sache
nach läßt sich dieselbe auf Willenserklärungen, die nur formell
oder scheinbar Gesetze sind, nicht übertragen. Es gilt dies na-
mentlich von dem wichtigsten hierher gehörenden Falle, dem Reichs-
haushalts-Etat; die verbindliche Kraft desselben von dem 14ten Tage
nach Ausgabe des Stückes des Reichsgesetzblattes, in welchem er
publizirt ist, zu datiren, hätte keinen Sinn 2).

Von diesem Gesichtspunkte aus ist auch eine Frage zu ent-
scheiden, welche bereits wiederholt praktische Bedeutung erlangt
hat. Wenn nämlich ein Reichsgesetz die Bestimmung enthält, daß
der Zeitpunkt, mit welchem es in Kraft tritt, durch Kaiserliche
Verordnung bestimmt werden soll, so müßte, wenn man den Art. 2
der R.-V. auf alle Gesetze in formellen Sinne für anwendbar er-
achtet, erst eine Frist von 14 Tagen seit dem Tage der Verkündi-
gung verstreichen, bevor diese Kaiserliche Verordnung erlassen
werden kann, da ja die im Gesetz ertheilte Ermächtigung selbst
erst mit diesem Zeitpunkt in Kraft treten würde. In mehreren
Fällen ist jedoch diese Frist nicht innegehalten worden 3) und es

1) Dagegen kann die 14tägige Frist auf solche Gesetze, welche sich selbst
als Declaration eines früheren Reichsgesetzes bezeichnen, wie z. B. das Gesetz
v. 19. Mai 1871 (R.-G.-Bl. S. 101), wohl nicht Anwendung finden, da in
diesen Fällen das Gesetz selbst erklärt, daß es einen neuen Rechtssatz nicht
einführen, sondern einen bereits bestehenden nur deutlicher und zweifel-
loser aussprechen wolle.
2) Das Gleiche gilt von Gesetzen, welche den Reichskanzler zum Ankauf
von Grundstücken, zur Gewährung von Unterstützungen, zur Aufnahme von
Anleihen u. s. w. ermächtigen, oder die ein Etats-Gesetz nachträglich abändern.
3) Das Gesetz vom 23. Oct. 1867 ist am 6. Novomber verkündigt. Die
gleichzeitig verkündigte Verordnung des Bundespräsidiums ist vom 2. Nov.
datirt und setzt den Beginn der Geltung jenes Gesetzes auf den 15. November
fest. (B.-G.-Bl. 1867 S. 53. 54.) -- Das Ges. v. 1. Juni 1870 ist am 16.
Juni verkündigt; die Präsidial-Verordnung ist ebenfalls vom 1. Juni 1870
datirt und in demselben Stück des Gesetzblattes wie das Gesetz verkündigt.

§. 60. Die Wirkungen der Reichsgeſetze.
verbindliche Kraft, wenn ſie nicht ſelbſt einen anderen Anfangs-
termin derſelben beſtimmen 1).

4) Auf Willensacte des Reiches, welche in der Form des
Reichsgeſetzes erklärt werden, die aber keine Rechtsſätze enthalten,
iſt die Vorſchrift über den Anfang ihrer verbindlichen Kraft nicht
anwendbar. Denn zum „Wege der Geſezgebung“ oder zur „Ge-
ſetzes-Form“ gehört dieſe Vorſchrift nicht; ſie ſetzt vielmehr ein
Geſetz im materiellen Sinne voraus. Auch der Natur der Sache
nach läßt ſich dieſelbe auf Willenserklärungen, die nur formell
oder ſcheinbar Geſetze ſind, nicht übertragen. Es gilt dies na-
mentlich von dem wichtigſten hierher gehörenden Falle, dem Reichs-
haushalts-Etat; die verbindliche Kraft deſſelben von dem 14ten Tage
nach Ausgabe des Stückes des Reichsgeſetzblattes, in welchem er
publizirt iſt, zu datiren, hätte keinen Sinn 2).

Von dieſem Geſichtspunkte aus iſt auch eine Frage zu ent-
ſcheiden, welche bereits wiederholt praktiſche Bedeutung erlangt
hat. Wenn nämlich ein Reichsgeſetz die Beſtimmung enthält, daß
der Zeitpunkt, mit welchem es in Kraft tritt, durch Kaiſerliche
Verordnung beſtimmt werden ſoll, ſo müßte, wenn man den Art. 2
der R.-V. auf alle Geſetze in formellen Sinne für anwendbar er-
achtet, erſt eine Friſt von 14 Tagen ſeit dem Tage der Verkündi-
gung verſtreichen, bevor dieſe Kaiſerliche Verordnung erlaſſen
werden kann, da ja die im Geſetz ertheilte Ermächtigung ſelbſt
erſt mit dieſem Zeitpunkt in Kraft treten würde. In mehreren
Fällen iſt jedoch dieſe Friſt nicht innegehalten worden 3) und es

1) Dagegen kann die 14tägige Friſt auf ſolche Geſetze, welche ſich ſelbſt
als Declaration eines früheren Reichsgeſetzes bezeichnen, wie z. B. das Geſetz
v. 19. Mai 1871 (R.-G.-Bl. S. 101), wohl nicht Anwendung finden, da in
dieſen Fällen das Geſetz ſelbſt erklärt, daß es einen neuen Rechtsſatz nicht
einführen, ſondern einen bereits beſtehenden nur deutlicher und zweifel-
loſer ausſprechen wolle.
2) Das Gleiche gilt von Geſetzen, welche den Reichskanzler zum Ankauf
von Grundſtücken, zur Gewährung von Unterſtützungen, zur Aufnahme von
Anleihen u. ſ. w. ermächtigen, oder die ein Etats-Geſetz nachträglich abändern.
3) Das Geſetz vom 23. Oct. 1867 iſt am 6. Novomber verkündigt. Die
gleichzeitig verkündigte Verordnung des Bundespräſidiums iſt vom 2. Nov.
datirt und ſetzt den Beginn der Geltung jenes Geſetzes auf den 15. November
feſt. (B.-G.-Bl. 1867 S. 53. 54.) — Das Geſ. v. 1. Juni 1870 iſt am 16.
Juni verkündigt; die Präſidial-Verordnung iſt ebenfalls vom 1. Juni 1870
datirt und in demſelben Stück des Geſetzblattes wie das Geſetz verkündigt.
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[105/0119] §. 60. Die Wirkungen der Reichsgeſetze. verbindliche Kraft, wenn ſie nicht ſelbſt einen anderen Anfangs- termin derſelben beſtimmen 1). 4) Auf Willensacte des Reiches, welche in der Form des Reichsgeſetzes erklärt werden, die aber keine Rechtsſätze enthalten, iſt die Vorſchrift über den Anfang ihrer verbindlichen Kraft nicht anwendbar. Denn zum „Wege der Geſezgebung“ oder zur „Ge- ſetzes-Form“ gehört dieſe Vorſchrift nicht; ſie ſetzt vielmehr ein Geſetz im materiellen Sinne voraus. Auch der Natur der Sache nach läßt ſich dieſelbe auf Willenserklärungen, die nur formell oder ſcheinbar Geſetze ſind, nicht übertragen. Es gilt dies na- mentlich von dem wichtigſten hierher gehörenden Falle, dem Reichs- haushalts-Etat; die verbindliche Kraft deſſelben von dem 14ten Tage nach Ausgabe des Stückes des Reichsgeſetzblattes, in welchem er publizirt iſt, zu datiren, hätte keinen Sinn 2). Von dieſem Geſichtspunkte aus iſt auch eine Frage zu ent- ſcheiden, welche bereits wiederholt praktiſche Bedeutung erlangt hat. Wenn nämlich ein Reichsgeſetz die Beſtimmung enthält, daß der Zeitpunkt, mit welchem es in Kraft tritt, durch Kaiſerliche Verordnung beſtimmt werden ſoll, ſo müßte, wenn man den Art. 2 der R.-V. auf alle Geſetze in formellen Sinne für anwendbar er- achtet, erſt eine Friſt von 14 Tagen ſeit dem Tage der Verkündi- gung verſtreichen, bevor dieſe Kaiſerliche Verordnung erlaſſen werden kann, da ja die im Geſetz ertheilte Ermächtigung ſelbſt erſt mit dieſem Zeitpunkt in Kraft treten würde. In mehreren Fällen iſt jedoch dieſe Friſt nicht innegehalten worden 3) und es 1) Dagegen kann die 14tägige Friſt auf ſolche Geſetze, welche ſich ſelbſt als Declaration eines früheren Reichsgeſetzes bezeichnen, wie z. B. das Geſetz v. 19. Mai 1871 (R.-G.-Bl. S. 101), wohl nicht Anwendung finden, da in dieſen Fällen das Geſetz ſelbſt erklärt, daß es einen neuen Rechtsſatz nicht einführen, ſondern einen bereits beſtehenden nur deutlicher und zweifel- loſer ausſprechen wolle. 2) Das Gleiche gilt von Geſetzen, welche den Reichskanzler zum Ankauf von Grundſtücken, zur Gewährung von Unterſtützungen, zur Aufnahme von Anleihen u. ſ. w. ermächtigen, oder die ein Etats-Geſetz nachträglich abändern. 3) Das Geſetz vom 23. Oct. 1867 iſt am 6. Novomber verkündigt. Die gleichzeitig verkündigte Verordnung des Bundespräſidiums iſt vom 2. Nov. datirt und ſetzt den Beginn der Geltung jenes Geſetzes auf den 15. November feſt. (B.-G.-Bl. 1867 S. 53. 54.) — Das Geſ. v. 1. Juni 1870 iſt am 16. Juni verkündigt; die Präſidial-Verordnung iſt ebenfalls vom 1. Juni 1870 datirt und in demſelben Stück des Geſetzblattes wie das Geſetz verkündigt.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/119>, abgerufen am 26.04.2024.