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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

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§. 56. Der Begriff und die Erfordernisse des Gesetzes.
Protokollbuch der Lords eingetragen. Dieser Vorgang ist keine
eigentliche Verkündigung des Gesetzes, obwohl die Fiction besteht,
daß Alles, was in öffentlicher Sitzung des Parlaments geschieht,
auch öffentlich bekannt gemacht sei; die wirkliche Bekanntmachung
des Gesetzes erfolgt erst später durch den Druck. Die juristische
Bedeutung des Aktes besteht vielmehr in der formellen und au-
thentischen Erklärung des staatlichen Gesetzgebungs-
Willens
. Bevor diese Erklärung erfolgen kann, muß der König
und der ihm in dieser Angelegenheit Rath ertheilende Minister
prüfen, ob die Bill in der That die ordnungsmäßige und über-
einstimmende Genehmigung beider Häuser erlangt hat und ob die
zahlreichen Formvorschriften, welche das Englische Recht für das
Zustandekommen eines Gesetzes aufgestellt hat, vollständig beobachtet
worden sind. Ergiebt sich in dieser Beziehung ein Mangel, so ist
die Bill dem betreffenden Hause zur Erledigung desselben und zur
Beseitigung der Formwidrigkeit zurückzustellen 1). Hieraus folgt,
worin das wahre Wesen der Königlichen Ausfertigung besteht. Sie
ist nur scheinbar die Ertheilung der Sanction und bezweckt nicht
die Kundmachung der Bill, sondern sie constatirt in authentischer
und feierlicher Form das verfassungsmäßige Zustandekommen des
Gesetzes, sie ist die solemnis editio legis.

Von größerem Einfluß auf das gegenwärtige constitutionelle
Staatsrecht Deutschlands ist die Entwicklung des Französischen
Rechts
gewesen, welche deshalb einer genaueren Erörterung bedarf.

Vor der Revolution von 1789 ging sowohl die Sanction als
die Erklärung des Gesetzes vom Könige aus, die Verkündigung da-
gegen war Sache der Gerichtshöfe (Parlamente). Gemäß der Or-
donnanz von 1667 Tit. I. Art. 2 wurden die königlichen Ausfer-
tigungen der Gesetze und Verordnungen den "souverainen Gerichts-
höfen" zur Registrirung und Verkündigung übersendet. Das En-
registrement
führte keine Bekanntschaft des Publikums mit dem
Gesetze herbei; es bestand darin, daß das Gesetz in die Liste des
Gerichtshofes eingetragen wurde; es constatirte die Aechtheit der
königlichen Urkunde und den Wortlaut des in ihr enthaltenen Ge-
setzes; es wird von Portalis ganz richtig als verification des

1) Vrgl. über die Einzelheiten die ausführliche Darstellung bei May a. a. O.
S. 378--430, besonders S. 425 fg.

§. 56. Der Begriff und die Erforderniſſe des Geſetzes.
Protokollbuch der Lords eingetragen. Dieſer Vorgang iſt keine
eigentliche Verkündigung des Geſetzes, obwohl die Fiction beſteht,
daß Alles, was in öffentlicher Sitzung des Parlaments geſchieht,
auch öffentlich bekannt gemacht ſei; die wirkliche Bekanntmachung
des Geſetzes erfolgt erſt ſpäter durch den Druck. Die juriſtiſche
Bedeutung des Aktes beſteht vielmehr in der formellen und au-
thentiſchen Erklärung des ſtaatlichen Geſetzgebungs-
Willens
. Bevor dieſe Erklärung erfolgen kann, muß der König
und der ihm in dieſer Angelegenheit Rath ertheilende Miniſter
prüfen, ob die Bill in der That die ordnungsmäßige und über-
einſtimmende Genehmigung beider Häuſer erlangt hat und ob die
zahlreichen Formvorſchriften, welche das Engliſche Recht für das
Zuſtandekommen eines Geſetzes aufgeſtellt hat, vollſtändig beobachtet
worden ſind. Ergiebt ſich in dieſer Beziehung ein Mangel, ſo iſt
die Bill dem betreffenden Hauſe zur Erledigung deſſelben und zur
Beſeitigung der Formwidrigkeit zurückzuſtellen 1). Hieraus folgt,
worin das wahre Weſen der Königlichen Ausfertigung beſteht. Sie
iſt nur ſcheinbar die Ertheilung der Sanction und bezweckt nicht
die Kundmachung der Bill, ſondern ſie conſtatirt in authentiſcher
und feierlicher Form das verfaſſungsmäßige Zuſtandekommen des
Geſetzes, ſie iſt die solemnis editio legis.

Von größerem Einfluß auf das gegenwärtige conſtitutionelle
Staatsrecht Deutſchlands iſt die Entwicklung des Franzöſiſchen
Rechts
geweſen, welche deshalb einer genaueren Erörterung bedarf.

Vor der Revolution von 1789 ging ſowohl die Sanction als
die Erklärung des Geſetzes vom Könige aus, die Verkündigung da-
gegen war Sache der Gerichtshöfe (Parlamente). Gemäß der Or-
donnanz von 1667 Tit. I. Art. 2 wurden die königlichen Ausfer-
tigungen der Geſetze und Verordnungen den „ſouverainen Gerichts-
höfen“ zur Regiſtrirung und Verkündigung überſendet. Das En-
registrement
führte keine Bekanntſchaft des Publikums mit dem
Geſetze herbei; es beſtand darin, daß das Geſetz in die Liſte des
Gerichtshofes eingetragen wurde; es conſtatirte die Aechtheit der
königlichen Urkunde und den Wortlaut des in ihr enthaltenen Ge-
ſetzes; es wird von Portalis ganz richtig als vérification des

1) Vrgl. über die Einzelheiten die ausführliche Darſtellung bei May a. a. O.
S. 378—430, beſonders S. 425 fg.
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[16/0030] §. 56. Der Begriff und die Erforderniſſe des Geſetzes. Protokollbuch der Lords eingetragen. Dieſer Vorgang iſt keine eigentliche Verkündigung des Geſetzes, obwohl die Fiction beſteht, daß Alles, was in öffentlicher Sitzung des Parlaments geſchieht, auch öffentlich bekannt gemacht ſei; die wirkliche Bekanntmachung des Geſetzes erfolgt erſt ſpäter durch den Druck. Die juriſtiſche Bedeutung des Aktes beſteht vielmehr in der formellen und au- thentiſchen Erklärung des ſtaatlichen Geſetzgebungs- Willens. Bevor dieſe Erklärung erfolgen kann, muß der König und der ihm in dieſer Angelegenheit Rath ertheilende Miniſter prüfen, ob die Bill in der That die ordnungsmäßige und über- einſtimmende Genehmigung beider Häuſer erlangt hat und ob die zahlreichen Formvorſchriften, welche das Engliſche Recht für das Zuſtandekommen eines Geſetzes aufgeſtellt hat, vollſtändig beobachtet worden ſind. Ergiebt ſich in dieſer Beziehung ein Mangel, ſo iſt die Bill dem betreffenden Hauſe zur Erledigung deſſelben und zur Beſeitigung der Formwidrigkeit zurückzuſtellen 1). Hieraus folgt, worin das wahre Weſen der Königlichen Ausfertigung beſteht. Sie iſt nur ſcheinbar die Ertheilung der Sanction und bezweckt nicht die Kundmachung der Bill, ſondern ſie conſtatirt in authentiſcher und feierlicher Form das verfaſſungsmäßige Zuſtandekommen des Geſetzes, ſie iſt die solemnis editio legis. Von größerem Einfluß auf das gegenwärtige conſtitutionelle Staatsrecht Deutſchlands iſt die Entwicklung des Franzöſiſchen Rechts geweſen, welche deshalb einer genaueren Erörterung bedarf. Vor der Revolution von 1789 ging ſowohl die Sanction als die Erklärung des Geſetzes vom Könige aus, die Verkündigung da- gegen war Sache der Gerichtshöfe (Parlamente). Gemäß der Or- donnanz von 1667 Tit. I. Art. 2 wurden die königlichen Ausfer- tigungen der Geſetze und Verordnungen den „ſouverainen Gerichts- höfen“ zur Regiſtrirung und Verkündigung überſendet. Das En- registrement führte keine Bekanntſchaft des Publikums mit dem Geſetze herbei; es beſtand darin, daß das Geſetz in die Liſte des Gerichtshofes eingetragen wurde; es conſtatirte die Aechtheit der königlichen Urkunde und den Wortlaut des in ihr enthaltenen Ge- ſetzes; es wird von Portalis ganz richtig als vérification des 1) Vrgl. über die Einzelheiten die ausführliche Darſtellung bei May a. a. O. S. 378—430, beſonders S. 425 fg.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/30>, abgerufen am 26.04.2024.