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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

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§. 56. Der Begriff und die Erfordernisse des Gesetzes.
Frist von 10 Tagen konnte aber die Sanction sowohl von dem
Tribunal als von der Regierung durch Recurs an den Senat pour
inconstitutionalite de la loi
angefochten werden, so daß also der
Sanctionsbeschluß erst nach Ablauf der zehntägigen Frist, wenn
innerhalb derselben der Recurs nicht erhoben wurde, Rechtskraft
erlangte. Nach einem Arrete v. 28 Nivose des Jahres VIII. war
die Anordnung getroffen, daß in dem Arbeitszimmer der Consuln
ein Koffer sich befinden sollte, in welchem die Siegel der Republik
deponirt waren und in welchen die Decrete des Corps legislatif
vom Staatssecretair gelegt werden sollten. Am zehnten Tage nach
Erlaß der Decrete des Corps legislatif hatte der Staatssecretär
sie dem ersten Consul zu überreichen, welcher die Beidrückung des
Staatssiegels befahl und eine offizielle, unterschriebene gegenge-
zeichnete und mit dem Siegel versehene Ausfertigung unverzüglich
dem Justiz-Minister übersendete 1).

Hierin bestand die dem ersten Consul zustehende Promulgation
der Gesetze, während die Sanction vom Corps legislatif ausgieng,
die Publikation dem Justizminister und den Behörden oblag. Es
ist klar, daß der Rechtsgrund für die verbindliche Kraft der Gesetze
nicht in der Promulgation, sondern in der Sanction derselben be-
ruhte; die Promulgation constatirte nur, daß der staatliche Gesetz-
gebungsbefehl verfassungsmäßig erlassen worden ist und gab dem-
selben einen formellen und authentischen Ausdruck 2). Portalis
bezeichnet in dem Discours vom 23 Frimaire X (14 Dezbr. 1801)
nr. 16 (bei Locre I. S. 466 ff.) die Promulgation als solemnis
editio legis
und fügt mit dem ihm eigenthümlichen phrasenhaften
Styl hinzu: "La promulgation est une forme exterieure a la loi
comme la parole et l'ecriture sont exterieures a la pensee."

Die spätere französische Verfassungs-Entwicklung hat diese Be-

1) Vrgl. Valette et Benat St.-Marsy, Traite de la confection
des Lois. Paris
1839. S. 205. 206.
2) Ein Avis du Conseil d'Etat du 5 pluviose An VIII. (26.
Januar 1800) führt aus, daß die Promulgation der Gesetze nicht dem pouvoir
legislatif,
sondern dem pouvoir executif zustehe und fügt hinzu: "Il faut
bien se garder de confondre cette promulgation avec la sanction, que le
Roi constitutionel avait en 1791 ou avec l'acceptation que le Conseil des
Anciens avait par la Constitut. de l'an III. Cette sanction et cette ac-
ceptation etaient parties necessaires de la formation de la loi et ne res-
semblaient en rien a sa promulgation." Locre
a. a. O. I. p. 623 sq.

§. 56. Der Begriff und die Erforderniſſe des Geſetzes.
Friſt von 10 Tagen konnte aber die Sanction ſowohl von dem
Tribunal als von der Regierung durch Recurs an den Senat pour
inconstitutionalité de la loi
angefochten werden, ſo daß alſo der
Sanctionsbeſchluß erſt nach Ablauf der zehntägigen Friſt, wenn
innerhalb derſelben der Recurs nicht erhoben wurde, Rechtskraft
erlangte. Nach einem Arrêté v. 28 Nivôse des Jahres VIII. war
die Anordnung getroffen, daß in dem Arbeitszimmer der Conſuln
ein Koffer ſich befinden ſollte, in welchem die Siegel der Republik
deponirt waren und in welchen die Decrete des Corps législatif
vom Staatsſecretair gelegt werden ſollten. Am zehnten Tage nach
Erlaß der Decrete des Corps législatif hatte der Staatsſecretär
ſie dem erſten Conſul zu überreichen, welcher die Beidrückung des
Staatsſiegels befahl und eine offizielle, unterſchriebene gegenge-
zeichnete und mit dem Siegel verſehene Ausfertigung unverzüglich
dem Juſtiz-Miniſter überſendete 1).

Hierin beſtand die dem erſten Conſul zuſtehende Promulgation
der Geſetze, während die Sanction vom Corps législatif ausgieng,
die Publikation dem Juſtizminiſter und den Behörden oblag. Es
iſt klar, daß der Rechtsgrund für die verbindliche Kraft der Geſetze
nicht in der Promulgation, ſondern in der Sanction derſelben be-
ruhte; die Promulgation conſtatirte nur, daß der ſtaatliche Geſetz-
gebungsbefehl verfaſſungsmäßig erlaſſen worden iſt und gab dem-
ſelben einen formellen und authentiſchen Ausdruck 2). Portalis
bezeichnet in dem Discours vom 23 Frimaire X (14 Dezbr. 1801)
nr. 16 (bei Locré I. S. 466 ff.) die Promulgation als solemnis
editio legis
und fügt mit dem ihm eigenthümlichen phraſenhaften
Styl hinzu: »La promulgation est une forme extérieure à la loi
comme la parole et l’écriture sont extérieures à la pensée.«

Die ſpätere franzöſiſche Verfaſſungs-Entwicklung hat dieſe Be-

1) Vrgl. Valette et Benat St.-Marsy, Traité de la confection
des Lois. Paris
1839. S. 205. 206.
2) Ein Avis du Conseil d’État du 5 pluviose An VIII. (26.
Januar 1800) führt aus, daß die Promulgation der Geſetze nicht dem pouvoir
législatif,
ſondern dem pouvoir exécutif zuſtehe und fügt hinzu: »Il faut
bien se garder de confondre cette promulgation avec la sanction, que le
Roi constitutionel avait en 1791 ou avec l’acceptation que le Conseil des
Anciens avait par la Constitut. de l’an III. Cette sanction et cette ac-
ceptation étaient parties nécessaires de la formation de la loi et ne res-
semblaient en rien à sa promulgation.« Locré
a. a. O. I. p. 623 sq.
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[18/0032] §. 56. Der Begriff und die Erforderniſſe des Geſetzes. Friſt von 10 Tagen konnte aber die Sanction ſowohl von dem Tribunal als von der Regierung durch Recurs an den Senat pour inconstitutionalité de la loi angefochten werden, ſo daß alſo der Sanctionsbeſchluß erſt nach Ablauf der zehntägigen Friſt, wenn innerhalb derſelben der Recurs nicht erhoben wurde, Rechtskraft erlangte. Nach einem Arrêté v. 28 Nivôse des Jahres VIII. war die Anordnung getroffen, daß in dem Arbeitszimmer der Conſuln ein Koffer ſich befinden ſollte, in welchem die Siegel der Republik deponirt waren und in welchen die Decrete des Corps législatif vom Staatsſecretair gelegt werden ſollten. Am zehnten Tage nach Erlaß der Decrete des Corps législatif hatte der Staatsſecretär ſie dem erſten Conſul zu überreichen, welcher die Beidrückung des Staatsſiegels befahl und eine offizielle, unterſchriebene gegenge- zeichnete und mit dem Siegel verſehene Ausfertigung unverzüglich dem Juſtiz-Miniſter überſendete 1). Hierin beſtand die dem erſten Conſul zuſtehende Promulgation der Geſetze, während die Sanction vom Corps législatif ausgieng, die Publikation dem Juſtizminiſter und den Behörden oblag. Es iſt klar, daß der Rechtsgrund für die verbindliche Kraft der Geſetze nicht in der Promulgation, ſondern in der Sanction derſelben be- ruhte; die Promulgation conſtatirte nur, daß der ſtaatliche Geſetz- gebungsbefehl verfaſſungsmäßig erlaſſen worden iſt und gab dem- ſelben einen formellen und authentiſchen Ausdruck 2). Portalis bezeichnet in dem Discours vom 23 Frimaire X (14 Dezbr. 1801) nr. 16 (bei Locré I. S. 466 ff.) die Promulgation als solemnis editio legis und fügt mit dem ihm eigenthümlichen phraſenhaften Styl hinzu: »La promulgation est une forme extérieure à la loi comme la parole et l’écriture sont extérieures à la pensée.« Die ſpätere franzöſiſche Verfaſſungs-Entwicklung hat dieſe Be- 1) Vrgl. Valette et Benat St.-Marsy, Traité de la confection des Lois. Paris 1839. S. 205. 206. 2) Ein Avis du Conseil d’État du 5 pluviose An VIII. (26. Januar 1800) führt aus, daß die Promulgation der Geſetze nicht dem pouvoir législatif, ſondern dem pouvoir exécutif zuſtehe und fügt hinzu: »Il faut bien se garder de confondre cette promulgation avec la sanction, que le Roi constitutionel avait en 1791 ou avec l’acceptation que le Conseil des Anciens avait par la Constitut. de l’an III. Cette sanction et cette ac- ceptation étaient parties nécessaires de la formation de la loi et ne res- semblaient en rien à sa promulgation.« Locré a. a. O. I. p. 623 sq.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/32>, abgerufen am 26.04.2024.