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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

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§. 57. Der Weg der Gesetzgebung nach der Reichsverfassung.
schaften, dem Reichstags-Präsidenten, resp. dem Reichskanzler aus-
gefertigt. Der Wortlaut des Gesetzes, wie er von diesen beiden
Versammlungen beschlossen werden ist, steht daher ohne Zuthun
des Kaisers bereits urkundlich fest und der Kaiser könnte darauf
beschränkt sein, die Verkündigung anzuordnen. Diese Form be-
steht in der Schweiz. Der Beschluß des Nationalrathes und
ebenso der Beschluß des Ständerathes werden in gleichlautenden
oder in einer und derselben Urkunde von den Präsidenten und
Protokollführern der beiden Räthe ausgefertigt und der Bundes-
rath beschließt alsdann lediglich die Aufnahme des Bundesbe-
schlusses in die amtliche Gesetzsammlung der Eidgenossenschaft. Nach
der Reichsverfassung aber soll der Kaiser die Gesetze nicht blos
verkünden, sondern auch ausfertigen; die Gesetzes-Urkunde soll
nicht eine Urkunde des Bundesrathes, sondern eine Urkunde des
Kaisers sein. Daraus ergiebt sich, daß die Gesetzes-Ausfertigung
einen selbstständigen Inhalt haben muß; denn der Kaiser ist nicht
dazu da, um Beschlüsse des Bundesrathes oder des Reichstages
zu beurkunden; sondern wenn er etwas beurkundet, so ist dies
stets sein eigener Regierungsakt.

Andererseits bedeutet die kaiserliche Ausfertigung des Gesetzes
auch nicht die Genehmigung desselben; denn im Deutschen Reich
geht die Sanction der Gesetze -- wie gezeigt worden ist -- nicht
vom Kaiser, sondern vom Bundesrathe aus 1).

Wenn demnach die kaiserliche Ausfertigung des Gesetzes einen
selbstständigen Inhalt hat und doch nicht Genehmigung des Gesetzes
ist, so bleibt für dieselbe nichts Anderes übrig, als daß sie die
formelle Constatirung erbringt, daß das Gesetz reichsverfassungs-
mäßig berathen, beschlossen und sanctionirt worden ist. Sie ist
die solemnis editio legis; sie entspricht dem Begriff der Promul-
gation, wie ihn die französische Verf. des Jahres VIII. ausge-
bildet hat 2). Wenn die Reichsverfassung aber den Kaiser mit

1) In den monarchischen Einzelstaaten fällt die Ausfertigung mit der
Sanktion zusammen; indem der König das Original des Gesetzes unterschreibt,
sanctionirt und beurkundet er es zugleich. Die Verfassungs-Urkunden der
Einzelstaaten erwähnen daher die Ausfertigung der Gesetze als eines beson-
deren Aktes nicht.
2) Vgl. oben S. 18. Ueber ein gleichartiges Prinzip im Staatsrecht der Rö-
mischen Republik vgl. v. Ihering, Geist d. Röm. R. III. 1. §. 55 S. 229 ff.
(3. Aufl. 1877.)

§. 57. Der Weg der Geſetzgebung nach der Reichsverfaſſung.
ſchaften, dem Reichstags-Präſidenten, reſp. dem Reichskanzler aus-
gefertigt. Der Wortlaut des Geſetzes, wie er von dieſen beiden
Verſammlungen beſchloſſen werden iſt, ſteht daher ohne Zuthun
des Kaiſers bereits urkundlich feſt und der Kaiſer könnte darauf
beſchränkt ſein, die Verkündigung anzuordnen. Dieſe Form be-
ſteht in der Schweiz. Der Beſchluß des Nationalrathes und
ebenſo der Beſchluß des Ständerathes werden in gleichlautenden
oder in einer und derſelben Urkunde von den Präſidenten und
Protokollführern der beiden Räthe ausgefertigt und der Bundes-
rath beſchließt alsdann lediglich die Aufnahme des Bundesbe-
ſchluſſes in die amtliche Geſetzſammlung der Eidgenoſſenſchaft. Nach
der Reichsverfaſſung aber ſoll der Kaiſer die Geſetze nicht blos
verkünden, ſondern auch ausfertigen; die Geſetzes-Urkunde ſoll
nicht eine Urkunde des Bundesrathes, ſondern eine Urkunde des
Kaiſers ſein. Daraus ergiebt ſich, daß die Geſetzes-Ausfertigung
einen ſelbſtſtändigen Inhalt haben muß; denn der Kaiſer iſt nicht
dazu da, um Beſchlüſſe des Bundesrathes oder des Reichstages
zu beurkunden; ſondern wenn er etwas beurkundet, ſo iſt dies
ſtets ſein eigener Regierungsakt.

Andererſeits bedeutet die kaiſerliche Ausfertigung des Geſetzes
auch nicht die Genehmigung deſſelben; denn im Deutſchen Reich
geht die Sanction der Geſetze — wie gezeigt worden iſt — nicht
vom Kaiſer, ſondern vom Bundesrathe aus 1).

Wenn demnach die kaiſerliche Ausfertigung des Geſetzes einen
ſelbſtſtändigen Inhalt hat und doch nicht Genehmigung des Geſetzes
iſt, ſo bleibt für dieſelbe nichts Anderes übrig, als daß ſie die
formelle Conſtatirung erbringt, daß das Geſetz reichsverfaſſungs-
mäßig berathen, beſchloſſen und ſanctionirt worden iſt. Sie iſt
die solemnis editio legis; ſie entſpricht dem Begriff der Promul-
gation, wie ihn die franzöſiſche Verf. des Jahres VIII. ausge-
bildet hat 2). Wenn die Reichsverfaſſung aber den Kaiſer mit

1) In den monarchiſchen Einzelſtaaten fällt die Ausfertigung mit der
Sanktion zuſammen; indem der König das Original des Geſetzes unterſchreibt,
ſanctionirt und beurkundet er es zugleich. Die Verfaſſungs-Urkunden der
Einzelſtaaten erwähnen daher die Ausfertigung der Geſetze als eines beſon-
deren Aktes nicht.
2) Vgl. oben S. 18. Ueber ein gleichartiges Prinzip im Staatsrecht der Rö-
miſchen Republik vgl. v. Ihering, Geiſt d. Röm. R. III. 1. §. 55 S. 229 ff.
(3. Aufl. 1877.)
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[50/0064] §. 57. Der Weg der Geſetzgebung nach der Reichsverfaſſung. ſchaften, dem Reichstags-Präſidenten, reſp. dem Reichskanzler aus- gefertigt. Der Wortlaut des Geſetzes, wie er von dieſen beiden Verſammlungen beſchloſſen werden iſt, ſteht daher ohne Zuthun des Kaiſers bereits urkundlich feſt und der Kaiſer könnte darauf beſchränkt ſein, die Verkündigung anzuordnen. Dieſe Form be- ſteht in der Schweiz. Der Beſchluß des Nationalrathes und ebenſo der Beſchluß des Ständerathes werden in gleichlautenden oder in einer und derſelben Urkunde von den Präſidenten und Protokollführern der beiden Räthe ausgefertigt und der Bundes- rath beſchließt alsdann lediglich die Aufnahme des Bundesbe- ſchluſſes in die amtliche Geſetzſammlung der Eidgenoſſenſchaft. Nach der Reichsverfaſſung aber ſoll der Kaiſer die Geſetze nicht blos verkünden, ſondern auch ausfertigen; die Geſetzes-Urkunde ſoll nicht eine Urkunde des Bundesrathes, ſondern eine Urkunde des Kaiſers ſein. Daraus ergiebt ſich, daß die Geſetzes-Ausfertigung einen ſelbſtſtändigen Inhalt haben muß; denn der Kaiſer iſt nicht dazu da, um Beſchlüſſe des Bundesrathes oder des Reichstages zu beurkunden; ſondern wenn er etwas beurkundet, ſo iſt dies ſtets ſein eigener Regierungsakt. Andererſeits bedeutet die kaiſerliche Ausfertigung des Geſetzes auch nicht die Genehmigung deſſelben; denn im Deutſchen Reich geht die Sanction der Geſetze — wie gezeigt worden iſt — nicht vom Kaiſer, ſondern vom Bundesrathe aus 1). Wenn demnach die kaiſerliche Ausfertigung des Geſetzes einen ſelbſtſtändigen Inhalt hat und doch nicht Genehmigung des Geſetzes iſt, ſo bleibt für dieſelbe nichts Anderes übrig, als daß ſie die formelle Conſtatirung erbringt, daß das Geſetz reichsverfaſſungs- mäßig berathen, beſchloſſen und ſanctionirt worden iſt. Sie iſt die solemnis editio legis; ſie entſpricht dem Begriff der Promul- gation, wie ihn die franzöſiſche Verf. des Jahres VIII. ausge- bildet hat 2). Wenn die Reichsverfaſſung aber den Kaiſer mit 1) In den monarchiſchen Einzelſtaaten fällt die Ausfertigung mit der Sanktion zuſammen; indem der König das Original des Geſetzes unterſchreibt, ſanctionirt und beurkundet er es zugleich. Die Verfaſſungs-Urkunden der Einzelſtaaten erwähnen daher die Ausfertigung der Geſetze als eines beſon- deren Aktes nicht. 2) Vgl. oben S. 18. Ueber ein gleichartiges Prinzip im Staatsrecht der Rö- miſchen Republik vgl. v. Ihering, Geiſt d. Röm. R. III. 1. §. 55 S. 229 ff. (3. Aufl. 1877.)

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/64>, abgerufen am 27.04.2024.