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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

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§. 57. Der Weg der Gesetzgebung nach der Reichsverfassung.
Widerspruch entweder nicht erhoben oder durch ordnungsmäßigen
Beschluß des Bundesrathes für unbegründet erklärt oder durch
nachträgliche Zustimmung des betheiligten Bundesgliedes zu dem
Gesetze erledigt worden ist 1). So ist beispielsweise durch die
Ausfertigung des Postgesetzes v. 28. Oktober 1871 in formeller
und unanfechtbarer Weise constatirt, daß Württemberg von dem
im Protokoll v. 25. Nov. 1870 Ziff. 3 (B.-G.-Bl. S. 657) ihm
eingeräumten Widerspruchsrecht keinen Gebrauch gemacht hat; und
es würde ebenso unzulässig sein, daß etwa einmal die Regierung
von Württemberg es in Frage stellt, ob die Zustimmung Würt-
tembergs zum Postgesetz in rechtswirksamer Weise ertheilt sei, als
daß ein Württembergisches Gericht im einzelnen Rechtsfall Erhe-
bungen darüber anstellt.

3) Ueber die Form, in welcher die Ausfertigung zu erfolgen
hat, bestimmt die Reichsgesetzgebung Nichts. Aus dem Wortbe-
griff selbst ergibt sich, daß die Ausfertigung die wesentlichen Be-
standtheile einer Urkunde, also den vollständigen Wortlaut des
Gesetzes, die eigenhändige Unterschrift des Kaisers und das Datum
enthalten muß. Das Datum der Reichsgesetze bestimmt sich nicht
nach dem Tage, an welchem sie vom Reich mittelst Bundesraths-
Beschlusses sanctionirt worden sind, und ebenso wenig nach dem
Tage der Verkündigung, sondern nach dem Tage, an welchem der
Kaiser sie ausgefertigt hat. Außer der Unterschrift enthält die
Ausfertigung auch den Abdruck des Kaiserlichen Siegels.

Erforderlich ist ferner die Gegenzeichnung des Reichskanzlers,
welcher dadurch die Verantwortlichkeit übernimmt. R.-V. Art. 17.
Die Verantwortlichkeit erstreckt sich in diesem Falle darauf, daß
der dem Kaiser zur Ausfertigung vorgelegte Text buchstäblich ge-
nau dem vom Reichstage und Bundesrathe beschlossenen Wortlaut

1) Dadurch erledigen sich die politischen Bedenken, welche gegen die Bd. I.
§. 11 entwickelte Theorie der jura singulorum erhoben worden sind; insbe-
sondere von Löning in Hirth's Annalen. 1875 S. 359 fg. und v. Mar-
titz
in der Tübinger Zeitschrift f. Staatswissensch. 1876 S. 570 ff. Die jura
singulorum
sind objective Schranken für die Reichsgesetzgebung, durch deren
Nichtbeachtung das Reich materiell Unrecht begehen würde; aber der Einzel-
staat hat nicht die Befugniß, durch die einseitige Behauptung, daß ein solches
Unrecht gegen ihn verübt worden ist, sich dem Gehorsam gegen eine Anord-
nung des Reiches zu entziehen, welche formell die Kraft eines Reichsgesetzes
erlangt hat.

§. 57. Der Weg der Geſetzgebung nach der Reichsverfaſſung.
Widerſpruch entweder nicht erhoben oder durch ordnungsmäßigen
Beſchluß des Bundesrathes für unbegründet erklärt oder durch
nachträgliche Zuſtimmung des betheiligten Bundesgliedes zu dem
Geſetze erledigt worden iſt 1). So iſt beiſpielsweiſe durch die
Ausfertigung des Poſtgeſetzes v. 28. Oktober 1871 in formeller
und unanfechtbarer Weiſe conſtatirt, daß Württemberg von dem
im Protokoll v. 25. Nov. 1870 Ziff. 3 (B.-G.-Bl. S. 657) ihm
eingeräumten Widerſpruchsrecht keinen Gebrauch gemacht hat; und
es würde ebenſo unzuläſſig ſein, daß etwa einmal die Regierung
von Württemberg es in Frage ſtellt, ob die Zuſtimmung Würt-
tembergs zum Poſtgeſetz in rechtswirkſamer Weiſe ertheilt ſei, als
daß ein Württembergiſches Gericht im einzelnen Rechtsfall Erhe-
bungen darüber anſtellt.

3) Ueber die Form, in welcher die Ausfertigung zu erfolgen
hat, beſtimmt die Reichsgeſetzgebung Nichts. Aus dem Wortbe-
griff ſelbſt ergibt ſich, daß die Ausfertigung die weſentlichen Be-
ſtandtheile einer Urkunde, alſo den vollſtändigen Wortlaut des
Geſetzes, die eigenhändige Unterſchrift des Kaiſers und das Datum
enthalten muß. Das Datum der Reichsgeſetze beſtimmt ſich nicht
nach dem Tage, an welchem ſie vom Reich mittelſt Bundesraths-
Beſchluſſes ſanctionirt worden ſind, und ebenſo wenig nach dem
Tage der Verkündigung, ſondern nach dem Tage, an welchem der
Kaiſer ſie ausgefertigt hat. Außer der Unterſchrift enthält die
Ausfertigung auch den Abdruck des Kaiſerlichen Siegels.

Erforderlich iſt ferner die Gegenzeichnung des Reichskanzlers,
welcher dadurch die Verantwortlichkeit übernimmt. R.-V. Art. 17.
Die Verantwortlichkeit erſtreckt ſich in dieſem Falle darauf, daß
der dem Kaiſer zur Ausfertigung vorgelegte Text buchſtäblich ge-
nau dem vom Reichstage und Bundesrathe beſchloſſenen Wortlaut

1) Dadurch erledigen ſich die politiſchen Bedenken, welche gegen die Bd. I.
§. 11 entwickelte Theorie der jura singulorum erhoben worden ſind; insbe-
ſondere von Löning in Hirth’s Annalen. 1875 S. 359 fg. und v. Mar-
titz
in der Tübinger Zeitſchrift f. Staatswiſſenſch. 1876 S. 570 ff. Die jura
singulorum
ſind objective Schranken für die Reichsgeſetzgebung, durch deren
Nichtbeachtung das Reich materiell Unrecht begehen würde; aber der Einzel-
ſtaat hat nicht die Befugniß, durch die einſeitige Behauptung, daß ein ſolches
Unrecht gegen ihn verübt worden iſt, ſich dem Gehorſam gegen eine Anord-
nung des Reiches zu entziehen, welche formell die Kraft eines Reichsgeſetzes
erlangt hat.
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[52/0066] §. 57. Der Weg der Geſetzgebung nach der Reichsverfaſſung. Widerſpruch entweder nicht erhoben oder durch ordnungsmäßigen Beſchluß des Bundesrathes für unbegründet erklärt oder durch nachträgliche Zuſtimmung des betheiligten Bundesgliedes zu dem Geſetze erledigt worden iſt 1). So iſt beiſpielsweiſe durch die Ausfertigung des Poſtgeſetzes v. 28. Oktober 1871 in formeller und unanfechtbarer Weiſe conſtatirt, daß Württemberg von dem im Protokoll v. 25. Nov. 1870 Ziff. 3 (B.-G.-Bl. S. 657) ihm eingeräumten Widerſpruchsrecht keinen Gebrauch gemacht hat; und es würde ebenſo unzuläſſig ſein, daß etwa einmal die Regierung von Württemberg es in Frage ſtellt, ob die Zuſtimmung Würt- tembergs zum Poſtgeſetz in rechtswirkſamer Weiſe ertheilt ſei, als daß ein Württembergiſches Gericht im einzelnen Rechtsfall Erhe- bungen darüber anſtellt. 3) Ueber die Form, in welcher die Ausfertigung zu erfolgen hat, beſtimmt die Reichsgeſetzgebung Nichts. Aus dem Wortbe- griff ſelbſt ergibt ſich, daß die Ausfertigung die weſentlichen Be- ſtandtheile einer Urkunde, alſo den vollſtändigen Wortlaut des Geſetzes, die eigenhändige Unterſchrift des Kaiſers und das Datum enthalten muß. Das Datum der Reichsgeſetze beſtimmt ſich nicht nach dem Tage, an welchem ſie vom Reich mittelſt Bundesraths- Beſchluſſes ſanctionirt worden ſind, und ebenſo wenig nach dem Tage der Verkündigung, ſondern nach dem Tage, an welchem der Kaiſer ſie ausgefertigt hat. Außer der Unterſchrift enthält die Ausfertigung auch den Abdruck des Kaiſerlichen Siegels. Erforderlich iſt ferner die Gegenzeichnung des Reichskanzlers, welcher dadurch die Verantwortlichkeit übernimmt. R.-V. Art. 17. Die Verantwortlichkeit erſtreckt ſich in dieſem Falle darauf, daß der dem Kaiſer zur Ausfertigung vorgelegte Text buchſtäblich ge- nau dem vom Reichstage und Bundesrathe beſchloſſenen Wortlaut 1) Dadurch erledigen ſich die politiſchen Bedenken, welche gegen die Bd. I. §. 11 entwickelte Theorie der jura singulorum erhoben worden ſind; insbe- ſondere von Löning in Hirth’s Annalen. 1875 S. 359 fg. und v. Mar- titz in der Tübinger Zeitſchrift f. Staatswiſſenſch. 1876 S. 570 ff. Die jura singulorum ſind objective Schranken für die Reichsgeſetzgebung, durch deren Nichtbeachtung das Reich materiell Unrecht begehen würde; aber der Einzel- ſtaat hat nicht die Befugniß, durch die einſeitige Behauptung, daß ein ſolches Unrecht gegen ihn verübt worden iſt, ſich dem Gehorſam gegen eine Anord- nung des Reiches zu entziehen, welche formell die Kraft eines Reichsgeſetzes erlangt hat.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/66>, abgerufen am 28.04.2024.