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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877.

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§. 59. Die Verordnungen des Reichs.
Beschluß des Bundesrathes zuläßt, und namentlich in dem Ein-
führungs-Gesetz
zur Civilproceß-Ordn. §. 6, woselbst eine
mit Zustimmung des Bundesrathes erlassene Kaiserl. Verordnung
erfordert wird 1).

Es ergiebt sich demnach folgendes Resultat: Eine allgemeine,
durch die Reichsverfassung selbst begründete Befugniß zum Erlaß
von Rechts-Verordnungen 2) besteht nicht, wohl aber kann dieselbe
in jedem einzelnen Falle durch ausdrückliche Anordnung eines
Reichsgesetzes constituirt werden. Oder mit andern Worten: Jede
Verordnung, welche Rechtsvorschriften enthält, kann
nur gültig erlassen werden auf Grund einer spe-
ziellen, reichsgesetzlichen Delegation
3).

Fehlt es an einer solchen Delegation und ist ein Reichsgesetz
so unvollständig, daß es ohne den Erlaß von Ergänzungs-Vor-
schriften unausführbar ist, so muß es unausgeführt bleiben bis
die erforderlichen Ergänzungs-Vorschriften im Wege der Gesetz-
gebung erlassen werden 4). In allen anderen Fällen ist die Hand-
habung und Auslegung der Reichsgesetze, die Herleitung der aus
denselben sich ergebenden Consequenzen, die Bestimmung ihres Wir-
kungskreises und die Art ihrer Anwendung den Gerichten und an-
deren zur Rechtsprechung berufenen Behörden überlassen und die
Befolgung gleichheitlicher Grundsätze wird in dieser Beziehung ledig-
lich durch den Instanzenzug gesichert.


1) Ueber die ähnliche Anordnung im §. 8 des Ges. v. 25. Juni 1873
für Elsaß-Lothringen vergleiche unten §. 62.
2) im Gegensatz zu Verwaltungs-Vorschriften.
3) Dem entsprechend wird in jeder Verordnung in den Eingangsworten
die Gesetzes-Bestimmung angegeben, auf Grund deren sie erlassen ist. Als
eine wesentliche Form, deren Nichtbeobachtung die Ungültigkeit der Ver-
ordnung zur Folge hat, kann dies zwar nicht erachtet werden, da die Reichs-
gesetzgebung die Formen, in denen Verordnungen zu erlassen sind, überhaupt
nicht geregelt hat. Materiell hängt aber die Gültigkeit einer Verordnung
von dem Vorhandensein einer gesetzl. Delegation ab und es ist demgemäß die
Praxis, diese Gesetzesbestimmung in der Verordnung in Bezug zu nehmen,
durchaus sachgemäß.
4) Ein Beispiel für ein zeitweilig unausführbar gewesenes Gesetz ist das
Anleihegesetz v. 9. Nov. 1867 (B.-G.-Bl. S. 157), welches erst durch das Ges.
v. 19. Juni 1868 (B.-G.-Bl. S. 339) ausführbar gemacht wurde. Auch §. 35
des Ges. über die Kriegsleistungen v. 13. Juni 1873 (R.-G.-Bl. S. 137) kann
hier angeführt werden.

§. 59. Die Verordnungen des Reichs.
Beſchluß des Bundesrathes zuläßt, und namentlich in dem Ein-
führungs-Geſetz
zur Civilproceß-Ordn. §. 6, woſelbſt eine
mit Zuſtimmung des Bundesrathes erlaſſene Kaiſerl. Verordnung
erfordert wird 1).

Es ergiebt ſich demnach folgendes Reſultat: Eine allgemeine,
durch die Reichsverfaſſung ſelbſt begründete Befugniß zum Erlaß
von Rechts-Verordnungen 2) beſteht nicht, wohl aber kann dieſelbe
in jedem einzelnen Falle durch ausdrückliche Anordnung eines
Reichsgeſetzes conſtituirt werden. Oder mit andern Worten: Jede
Verordnung, welche Rechtsvorſchriften enthält, kann
nur gültig erlaſſen werden auf Grund einer ſpe-
ziellen, reichsgeſetzlichen Delegation
3).

Fehlt es an einer ſolchen Delegation und iſt ein Reichsgeſetz
ſo unvollſtändig, daß es ohne den Erlaß von Ergänzungs-Vor-
ſchriften unausführbar iſt, ſo muß es unausgeführt bleiben bis
die erforderlichen Ergänzungs-Vorſchriften im Wege der Geſetz-
gebung erlaſſen werden 4). In allen anderen Fällen iſt die Hand-
habung und Auslegung der Reichsgeſetze, die Herleitung der aus
denſelben ſich ergebenden Conſequenzen, die Beſtimmung ihres Wir-
kungskreiſes und die Art ihrer Anwendung den Gerichten und an-
deren zur Rechtſprechung berufenen Behörden überlaſſen und die
Befolgung gleichheitlicher Grundſätze wird in dieſer Beziehung ledig-
lich durch den Inſtanzenzug geſichert.


1) Ueber die ähnliche Anordnung im §. 8 des Geſ. v. 25. Juni 1873
für Elſaß-Lothringen vergleiche unten §. 62.
2) im Gegenſatz zu Verwaltungs-Vorſchriften.
3) Dem entſprechend wird in jeder Verordnung in den Eingangsworten
die Geſetzes-Beſtimmung angegeben, auf Grund deren ſie erlaſſen iſt. Als
eine weſentliche Form, deren Nichtbeobachtung die Ungültigkeit der Ver-
ordnung zur Folge hat, kann dies zwar nicht erachtet werden, da die Reichs-
geſetzgebung die Formen, in denen Verordnungen zu erlaſſen ſind, überhaupt
nicht geregelt hat. Materiell hängt aber die Gültigkeit einer Verordnung
von dem Vorhandenſein einer geſetzl. Delegation ab und es iſt demgemäß die
Praxis, dieſe Geſetzesbeſtimmung in der Verordnung in Bezug zu nehmen,
durchaus ſachgemäß.
4) Ein Beiſpiel für ein zeitweilig unausführbar geweſenes Geſetz iſt das
Anleihegeſetz v. 9. Nov. 1867 (B.-G.-Bl. S. 157), welches erſt durch das Geſ.
v. 19. Juni 1868 (B.-G.-Bl. S. 339) ausführbar gemacht wurde. Auch §. 35
des Geſ. über die Kriegsleiſtungen v. 13. Juni 1873 (R.-G.-Bl. S. 137) kann
hier angeführt werden.
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[77/0091] §. 59. Die Verordnungen des Reichs. Beſchluß des Bundesrathes zuläßt, und namentlich in dem Ein- führungs-Geſetz zur Civilproceß-Ordn. §. 6, woſelbſt eine mit Zuſtimmung des Bundesrathes erlaſſene Kaiſerl. Verordnung erfordert wird 1). Es ergiebt ſich demnach folgendes Reſultat: Eine allgemeine, durch die Reichsverfaſſung ſelbſt begründete Befugniß zum Erlaß von Rechts-Verordnungen 2) beſteht nicht, wohl aber kann dieſelbe in jedem einzelnen Falle durch ausdrückliche Anordnung eines Reichsgeſetzes conſtituirt werden. Oder mit andern Worten: Jede Verordnung, welche Rechtsvorſchriften enthält, kann nur gültig erlaſſen werden auf Grund einer ſpe- ziellen, reichsgeſetzlichen Delegation 3). Fehlt es an einer ſolchen Delegation und iſt ein Reichsgeſetz ſo unvollſtändig, daß es ohne den Erlaß von Ergänzungs-Vor- ſchriften unausführbar iſt, ſo muß es unausgeführt bleiben bis die erforderlichen Ergänzungs-Vorſchriften im Wege der Geſetz- gebung erlaſſen werden 4). In allen anderen Fällen iſt die Hand- habung und Auslegung der Reichsgeſetze, die Herleitung der aus denſelben ſich ergebenden Conſequenzen, die Beſtimmung ihres Wir- kungskreiſes und die Art ihrer Anwendung den Gerichten und an- deren zur Rechtſprechung berufenen Behörden überlaſſen und die Befolgung gleichheitlicher Grundſätze wird in dieſer Beziehung ledig- lich durch den Inſtanzenzug geſichert. 1) Ueber die ähnliche Anordnung im §. 8 des Geſ. v. 25. Juni 1873 für Elſaß-Lothringen vergleiche unten §. 62. 2) im Gegenſatz zu Verwaltungs-Vorſchriften. 3) Dem entſprechend wird in jeder Verordnung in den Eingangsworten die Geſetzes-Beſtimmung angegeben, auf Grund deren ſie erlaſſen iſt. Als eine weſentliche Form, deren Nichtbeobachtung die Ungültigkeit der Ver- ordnung zur Folge hat, kann dies zwar nicht erachtet werden, da die Reichs- geſetzgebung die Formen, in denen Verordnungen zu erlaſſen ſind, überhaupt nicht geregelt hat. Materiell hängt aber die Gültigkeit einer Verordnung von dem Vorhandenſein einer geſetzl. Delegation ab und es iſt demgemäß die Praxis, dieſe Geſetzesbeſtimmung in der Verordnung in Bezug zu nehmen, durchaus ſachgemäß. 4) Ein Beiſpiel für ein zeitweilig unausführbar geweſenes Geſetz iſt das Anleihegeſetz v. 9. Nov. 1867 (B.-G.-Bl. S. 157), welches erſt durch das Geſ. v. 19. Juni 1868 (B.-G.-Bl. S. 339) ausführbar gemacht wurde. Auch §. 35 des Geſ. über die Kriegsleiſtungen v. 13. Juni 1873 (R.-G.-Bl. S. 137) kann hier angeführt werden.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 2. Tübingen, 1877, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht02_1878/91>, abgerufen am 28.04.2024.