Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite

V. Hauptstück.
stens zurücke zu bleiben, weil man zwar Gründe an-
bringt, und Einwürfe beantwortet, aber dabey unaus-
gemacht läßt, ob erstere zureichend, und letztere alle mit-
genommen sind. Es [kann] beydes seyn, aber die Form
des Vortrags giebt es nicht an. Denn sonst würde der
Beweis, daß die Gründe zureichend sind, die Beant-
wortung der Einwürfe überflüßig machen, oder auch
hinwiederum würden die Gründe wegbleiben können,
wenn man bewiesen hätte, daß außer den beantworte-
ten Einwürfen keine andere gemacht werden können.
Wir haben übrigens die vorigen vier Sätze (§. 182.)
deswegen angeführt, weil sie ebenfalls zum Leitfaden
dienen können, wenn man ein Cahos von Argu-
menten aus einander lesen, und sie in logische
Form bringen will, um sodann beurtheilen zu
können, ob sich nicht ein netter und vollstän-
diger Beweis aus denselben herausbringen
lasse?
Denn dieses ist, wenn die Argumente in der
That zureichend sind, an sich betrachtet, allemale mög-
lich, und die Schwierigkeit liegt immer nur in der Art,
wie man es anzugreifen habe.

§. 184. Um nun wiederum zu der Betrachtung des
Wahrscheinlichen zurücke zu kehren, so merken wir an,
daß die oben (§. 169.) angegebene Berechnung der
Grade der Wahrscheinlichkeit eigentlich nur da angeht,
wo jedes Argument von dem andern unabhängig ist.
Denn so trägt jedes für sich dazu bey, die Unwahrschein-
lichkeit zu vermindern, dergestalt, daß, wenn ein einzi-
ges gewiß ist, oder wenn man von einem einzigen weiß,
daß es in einem vorgegebenen Fall zutreffe, die übri-
gen dadurch überflüßig werden. Denn so ist die Fra-
ge, ob Cajus aus mehreren Haufen Zetteln wenigstens
einen gültigen ziehen werde, bald entschieden, wenn
auch nur in einem dieser Haufen lauter gültige sind.

Cajus

V. Hauptſtuͤck.
ſtens zuruͤcke zu bleiben, weil man zwar Gruͤnde an-
bringt, und Einwuͤrfe beantwortet, aber dabey unaus-
gemacht laͤßt, ob erſtere zureichend, und letztere alle mit-
genommen ſind. Es [kann] beydes ſeyn, aber die Form
des Vortrags giebt es nicht an. Denn ſonſt wuͤrde der
Beweis, daß die Gruͤnde zureichend ſind, die Beant-
wortung der Einwuͤrfe uͤberfluͤßig machen, oder auch
hinwiederum wuͤrden die Gruͤnde wegbleiben koͤnnen,
wenn man bewieſen haͤtte, daß außer den beantworte-
ten Einwuͤrfen keine andere gemacht werden koͤnnen.
Wir haben uͤbrigens die vorigen vier Saͤtze (§. 182.)
deswegen angefuͤhrt, weil ſie ebenfalls zum Leitfaden
dienen koͤnnen, wenn man ein Cahos von Argu-
menten aus einander leſen, und ſie in logiſche
Form bringen will, um ſodann beurtheilen zu
koͤnnen, ob ſich nicht ein netter und vollſtaͤn-
diger Beweis aus denſelben herausbringen
laſſe?
Denn dieſes iſt, wenn die Argumente in der
That zureichend ſind, an ſich betrachtet, allemale moͤg-
lich, und die Schwierigkeit liegt immer nur in der Art,
wie man es anzugreifen habe.

§. 184. Um nun wiederum zu der Betrachtung des
Wahrſcheinlichen zuruͤcke zu kehren, ſo merken wir an,
daß die oben (§. 169.) angegebene Berechnung der
Grade der Wahrſcheinlichkeit eigentlich nur da angeht,
wo jedes Argument von dem andern unabhaͤngig iſt.
Denn ſo traͤgt jedes fuͤr ſich dazu bey, die Unwahrſchein-
lichkeit zu vermindern, dergeſtalt, daß, wenn ein einzi-
ges gewiß iſt, oder wenn man von einem einzigen weiß,
daß es in einem vorgegebenen Fall zutreffe, die uͤbri-
gen dadurch uͤberfluͤßig werden. Denn ſo iſt die Fra-
ge, ob Cajus aus mehreren Haufen Zetteln wenigſtens
einen guͤltigen ziehen werde, bald entſchieden, wenn
auch nur in einem dieſer Haufen lauter guͤltige ſind.

Cajus
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0360" n="354"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">V.</hi> Haupt&#x017F;tu&#x0364;ck.</hi></fw><lb/>
&#x017F;tens zuru&#x0364;cke zu bleiben, weil man zwar Gru&#x0364;nde an-<lb/>
bringt, und Einwu&#x0364;rfe beantwortet, aber dabey unaus-<lb/>
gemacht la&#x0364;ßt, ob er&#x017F;tere zureichend, und letztere alle mit-<lb/>
genommen &#x017F;ind. Es <supplied>kann</supplied> beydes &#x017F;eyn, aber die Form<lb/>
des Vortrags giebt es nicht an. Denn &#x017F;on&#x017F;t wu&#x0364;rde der<lb/>
Beweis, daß die Gru&#x0364;nde zureichend &#x017F;ind, die Beant-<lb/>
wortung der Einwu&#x0364;rfe u&#x0364;berflu&#x0364;ßig machen, oder auch<lb/>
hinwiederum wu&#x0364;rden die Gru&#x0364;nde wegbleiben ko&#x0364;nnen,<lb/>
wenn man bewie&#x017F;en ha&#x0364;tte, daß außer den beantworte-<lb/>
ten Einwu&#x0364;rfen keine andere gemacht werden ko&#x0364;nnen.<lb/>
Wir haben u&#x0364;brigens die vorigen vier Sa&#x0364;tze (§. 182.)<lb/>
deswegen angefu&#x0364;hrt, weil &#x017F;ie ebenfalls zum <hi rendition="#fr">Leitfaden</hi><lb/>
dienen ko&#x0364;nnen, <hi rendition="#fr">wenn man ein</hi> <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Cahos</hi></hi> <hi rendition="#fr">von Argu-<lb/>
menten aus einander le&#x017F;en, und &#x017F;ie in logi&#x017F;che<lb/>
Form bringen will, um &#x017F;odann beurtheilen zu<lb/>
ko&#x0364;nnen, ob &#x017F;ich nicht ein netter und voll&#x017F;ta&#x0364;n-<lb/>
diger Beweis aus den&#x017F;elben herausbringen<lb/>
la&#x017F;&#x017F;e?</hi> Denn die&#x017F;es i&#x017F;t, wenn die Argumente in der<lb/>
That zureichend &#x017F;ind, an &#x017F;ich betrachtet, allemale mo&#x0364;g-<lb/>
lich, und die Schwierigkeit liegt immer nur in der Art,<lb/>
wie man es anzugreifen habe.</p><lb/>
          <p>§. 184. Um nun wiederum zu der Betrachtung des<lb/>
Wahr&#x017F;cheinlichen zuru&#x0364;cke zu kehren, &#x017F;o merken wir an,<lb/>
daß die oben (§. 169.) angegebene Berechnung der<lb/>
Grade der Wahr&#x017F;cheinlichkeit eigentlich nur da angeht,<lb/>
wo jedes Argument von dem andern unabha&#x0364;ngig i&#x017F;t.<lb/>
Denn &#x017F;o tra&#x0364;gt jedes fu&#x0364;r &#x017F;ich dazu bey, die Unwahr&#x017F;chein-<lb/>
lichkeit zu vermindern, derge&#x017F;talt, daß, wenn ein einzi-<lb/>
ges gewiß i&#x017F;t, oder wenn man von einem einzigen weiß,<lb/>
daß es in einem vorgegebenen Fall zutreffe, die u&#x0364;bri-<lb/>
gen dadurch u&#x0364;berflu&#x0364;ßig werden. Denn &#x017F;o i&#x017F;t die Fra-<lb/>
ge, ob <hi rendition="#fr">Cajus</hi> aus mehreren Haufen Zetteln wenig&#x017F;tens<lb/>
einen gu&#x0364;ltigen ziehen werde, bald ent&#x017F;chieden, wenn<lb/>
auch nur in einem die&#x017F;er Haufen lauter gu&#x0364;ltige &#x017F;ind.<lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">Cajus</hi></fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[354/0360] V. Hauptſtuͤck. ſtens zuruͤcke zu bleiben, weil man zwar Gruͤnde an- bringt, und Einwuͤrfe beantwortet, aber dabey unaus- gemacht laͤßt, ob erſtere zureichend, und letztere alle mit- genommen ſind. Es kann beydes ſeyn, aber die Form des Vortrags giebt es nicht an. Denn ſonſt wuͤrde der Beweis, daß die Gruͤnde zureichend ſind, die Beant- wortung der Einwuͤrfe uͤberfluͤßig machen, oder auch hinwiederum wuͤrden die Gruͤnde wegbleiben koͤnnen, wenn man bewieſen haͤtte, daß außer den beantworte- ten Einwuͤrfen keine andere gemacht werden koͤnnen. Wir haben uͤbrigens die vorigen vier Saͤtze (§. 182.) deswegen angefuͤhrt, weil ſie ebenfalls zum Leitfaden dienen koͤnnen, wenn man ein Cahos von Argu- menten aus einander leſen, und ſie in logiſche Form bringen will, um ſodann beurtheilen zu koͤnnen, ob ſich nicht ein netter und vollſtaͤn- diger Beweis aus denſelben herausbringen laſſe? Denn dieſes iſt, wenn die Argumente in der That zureichend ſind, an ſich betrachtet, allemale moͤg- lich, und die Schwierigkeit liegt immer nur in der Art, wie man es anzugreifen habe. §. 184. Um nun wiederum zu der Betrachtung des Wahrſcheinlichen zuruͤcke zu kehren, ſo merken wir an, daß die oben (§. 169.) angegebene Berechnung der Grade der Wahrſcheinlichkeit eigentlich nur da angeht, wo jedes Argument von dem andern unabhaͤngig iſt. Denn ſo traͤgt jedes fuͤr ſich dazu bey, die Unwahrſchein- lichkeit zu vermindern, dergeſtalt, daß, wenn ein einzi- ges gewiß iſt, oder wenn man von einem einzigen weiß, daß es in einem vorgegebenen Fall zutreffe, die uͤbri- gen dadurch uͤberfluͤßig werden. Denn ſo iſt die Fra- ge, ob Cajus aus mehreren Haufen Zetteln wenigſtens einen guͤltigen ziehen werde, bald entſchieden, wenn auch nur in einem dieſer Haufen lauter guͤltige ſind. Cajus

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/360
Zitationshilfe: Lambert, Johann Heinrich: Neues Organon. Bd. 2. Leipzig, 1764, S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lambert_organon02_1764/360>, abgerufen am 11.06.2024.