[Spaltenumbruch]
delt, und Paulum in der Unwissenheit zu seinem Grimm aufgebracht haben.
V. 14.
Es ist aber desto reichlicher gewesen, (zur Bekehrung und Vergebung der Sünden, auch zur Schenckung der herrlichen Gnaden- Gaben,) die Gnade unsers HErrn (des Dreyeinigen GOttes, und sonderlich des Soh- nes GOttes, der mich auf dem Wege nach Damascus ergriffen Ap. Gesch. 9.) samt dem Glauben und der Liebe (welche durch die Gnade in mir angezündet worden,) die in Christo JEsu ist, (als in ihrem rechten Cen- tro und Element, darinnen sie ruhet, und die Seligkeit suchet und findet.)
Anmerckungen.
1. War bey Paulo die Sünde mächtig worden, so war die Gnade bey ihm noch mäch- tiger worden, nach Röm. 5, 20. wie sie ihn denn nicht allein bekehret, sondern auch vor andern Aposteln zu der meisten Arbeit mit Gaben zum Segen ausgerüstet hatte. 1 Cor. 15, 9. 10.
2. Es können sich alle Bußfertige Pauli Exempel zu ihrem grossen Troste vorstellen; son- derlich solche, welche sich vor vielen andern Sündern mit einer sehr grossen Sünden-Schuld beladen finden; denn ist die Sünde bey ihnen überfliessend, so können sie sich dieses Paulini- sche und göttliche uperepleonase, die noch mehr überfliessende Gnade in Christo zu ihrer Sünden Vergebung gläubig vorstellen.
3. Es ist eine nachdrückliche Redens-Art, wenn es heißt, daß die Gnade mit dem Glauben und der Liebe übergeflossen, oder sich so reichlich gegen Paulum erwiesen habe; denn dadurch wird angezeiget, daß die Gnade ihre Kraft zur Anzündung des Glaubens, und im Glauben zum kräftigen Ein- und Aus- fluß der Liebe gar mächtig erwiesen habe.
4. Es wird aber des Glaubens und der Lie- be deßwegen sonderlich gedacht, weil sie das Ge- gentheil sind von dem zuvor gedachten blinden Unglauben und von der grossen Feindseligkeit wider Christum und die Christen: daher man denn ferner siehet, daß man durch GOttes Gna- de am meisten bemühet seyn müsse, davon nach der Bekehrung das Gegentheil an sich zur Er- bauung anderer zu erweisen, darinnen man vor- her andere am meisten geärgert hat.
5. Glaube und Liebe gehören allezeit zu- sammen; wie sie denn alle beyde die Gnade zu ihrer Mutter haben, und der Glaube, gleich- sam als die erstgeborne Tochter, wie eine Mut- ter der Liebe ist.
6. Beyde sind in Christo, darinn sie ru- hen und darinn und aus dem sie wachsen und zunehmen.
V. 15.
Das ist ie gewißlich wahr (pisos o lo- gos, ein sicheres und vestes Wort, darauf man wol seinen Glauben und seine Seligkeit bauen kan) und ein werthes Wort) logos pases apodokhes axios, ein Wort, welches aller wil- ligen Aufnahme werth ist,) daß Christus JE- [Spaltenumbruch]
sus kommen ist in die Welt (vom Vater ge- sandt, und Mensch worden) die Sünder selig zu machen, (sie mit seinem Gehorsam, auch Leiden und Sterben, zu erlösen, und ihnen solche Er- lösung in der Ordnung wahrer Bekehrung, nach meinem Exempel zur würcklichen Seligkeit an- gedeyen zu lassen,) unter welchen ich (gedach- ter Verfolgung wegen v. 13.) der Fürnehmste bin, (wiewol ich doch durch GOttes Gnade be- kehret worden.)
Anmerckungen.
1. Der Verbindung nach, welchen dieser Vers mit dem vorhergehenden hat, ist zu mer- cken, daß der Apostel von seinem eigenen Exem- pel, wie ihm durch Christum Barmhertzigkeit wiederfahren sey, auf die allgemeine Regel kömmt, nach welcher er Christum, als einen allgemeinen Heyland aller Sünder, vorstellet; dabey aber wieder auf sein eigenes Exempel zu- rück gehet. Eigene Erfahrung bringet in der Theologie die beste Gewißheit zur Applica- tion.
2. Die Worte pistos o logos, es ist ein sicheres, gewisses, glaubwürdiges Wort, und glaubwürdige Sache, darauf sich Pistis der Glaube, gründen kan, gebrauchet der Apostel auch sonst, nemlich c. 3, 1. c. 4, 9. 2 Tim. 2, 11. Tit. 3, 7. Sonsten setzet er das Wort pisos, auch bey dem Worte Theos, GOTT, 1 Cor. 1, 9. c. 10, 13. 2 Cor. 1, 18. 1 Thess. 5, 24. 2 Thess. 3, 3. da GOtt und sein Wort ist pistos, sicher und gewiß, so hat Pistis, unser Glaube einen gar sichern gedoppelten Grund.
3. Nicht weniger Nachdruck haben die fol- gende Worte: kai pases apodokhes axios, und aller Aufnahme werth; da man denn, wenn man die Wörter pistos und axios zusammen setzet, hat das schöne Wort axiopisos, glaub- würdig, welches sich sehr wohl auf GOtt und sein Wort schicket.
4. Apodokhe, die Aufnahme geschiehet durch den Glauben, sintemal dieses des Glau- bens rechte Eigenschaft ist, daß er von GOTT nimmt und empfähet, Joh. 1. v. 11. 12. und durch die Liebe widergiebet; ie mehr er nun nimmt, ie mehr hat er zu geben.
5. Es soll aber die Aufnahme rechter Art, das ist, völlig und willig seyn, welches mit dem Worte Pases angezeiget wird. Völlig, daß man im Worte GOttes nicht ein Stücke vor dem andern wehle; wie die unartigen Kin- der thun bey der Mahlzeit, da sie nicht alles, was ihnen von gesunden Speisen vorgesetzet wird, gerne essen, sondern nur dieses und jenes auswehlen. Und da die Aufnehmung von der gantzen Seele geschehen muß, so ist es nicht genug, GOttes Wort nur mit dem Verstande zur Erkenntniß aufnehmen, sondern es gehöret son- derlich auch die Willens-Kraft dazu: als in wel- cher man dasselbe recht schmecket und seiner heil- samen Wirckung nach erfähret und empfindet. Diese pasan apodokhen nennet der Apostel, ih- rer Erfahrung nach pasan aisthesin, allen Ge- schmack Phil. 1, 9. Willig ist denn diese Auf-
nah-
M
C. 1. v. 14. 15. an den Timotheum.
[Spaltenumbruch]
delt, und Paulum in der Unwiſſenheit zu ſeinem Grimm aufgebracht haben.
V. 14.
Es iſt aber deſto reichlicher geweſen, (zur Bekehrung und Vergebung der Suͤnden, auch zur Schenckung der herrlichen Gnaden- Gaben,) die Gnade unſers HErrn (des Dreyeinigen GOttes, und ſonderlich des Soh- nes GOttes, der mich auf dem Wege nach Damaſcus ergriffen Ap. Geſch. 9.) ſamt dem Glauben und der Liebe (welche durch die Gnade in mir angezuͤndet worden,) die in Chriſto JEſu iſt, (als in ihrem rechten Cen- tro und Element, darinnen ſie ruhet, und die Seligkeit ſuchet und findet.)
Anmerckungen.
1. War bey Paulo die Suͤnde maͤchtig worden, ſo war die Gnade bey ihm noch maͤch- tiger worden, nach Roͤm. 5, 20. wie ſie ihn denn nicht allein bekehret, ſondern auch vor andern Apoſteln zu der meiſten Arbeit mit Gaben zum Segen ausgeruͤſtet hatte. 1 Cor. 15, 9. 10.
2. Es koͤnnen ſich alle Bußfertige Pauli Exempel zu ihrem groſſen Troſte vorſtellen; ſon- derlich ſolche, welche ſich vor vielen andern Suͤndern mit einer ſehr groſſen Suͤnden-Schuld beladen finden; denn iſt die Suͤnde bey ihnen uͤberflieſſend, ſo koͤnnen ſie ſich dieſes Paulini- ſche und goͤttliche ὑπερεπλεόνασε, die noch mehr uͤberflieſſende Gnade in Chriſto zu ihrer Suͤnden Vergebung glaͤubig vorſtellen.
3. Es iſt eine nachdruͤckliche Redens-Art, wenn es heißt, daß die Gnade mit dem Glauben und der Liebe uͤbergefloſſen, oder ſich ſo reichlich gegen Paulum erwieſen habe; denn dadurch wird angezeiget, daß die Gnade ihre Kraft zur Anzuͤndung des Glaubens, und im Glauben zum kraͤftigen Ein- und Aus- fluß der Liebe gar maͤchtig erwieſen habe.
4. Es wird aber des Glaubens und der Lie- be deßwegen ſonderlich gedacht, weil ſie das Ge- gentheil ſind von dem zuvor gedachten blinden Unglauben und von der groſſen Feindſeligkeit wider Chriſtum und die Chriſten: daher man denn ferner ſiehet, daß man durch GOttes Gna- de am meiſten bemuͤhet ſeyn muͤſſe, davon nach der Bekehrung das Gegentheil an ſich zur Er- bauung anderer zu erweiſen, darinnen man vor- her andere am meiſten geaͤrgert hat.
5. Glaube und Liebe gehoͤren allezeit zu- ſammen; wie ſie denn alle beyde die Gnade zu ihrer Mutter haben, und der Glaube, gleich- ſam als die erſtgeborne Tochter, wie eine Mut- ter der Liebe iſt.
6. Beyde ſind in Chriſto, darinn ſie ru- hen und darinn und aus dem ſie wachſen und zunehmen.
V. 15.
Das iſt ie gewißlich wahr (πιςός ὁ λό- γος, ein ſicheres und veſtes Wort, darauf man wol ſeinen Glauben und ſeine Seligkeit bauen kan) und ein werthes Wort) λόγος πάσης ἀποδοχῆς ἄξιος, ein Wort, welches aller wil- ligen Aufnahme werth iſt,) daß Chriſtus JE- [Spaltenumbruch]
ſus kommen iſt in die Welt (vom Vater ge- ſandt, und Menſch worden) die Suͤnder ſelig zu machen, (ſie mit ſeinem Gehorſam, auch Leiden und Sterben, zu erloͤſen, und ihnen ſolche Er- loͤſung in der Ordnung wahrer Bekehrung, nach meinem Exempel zur wuͤrcklichen Seligkeit an- gedeyen zu laſſen,) unter welchen ich (gedach- ter Verfolgung wegen v. 13.) der Fuͤrnehmſte bin, (wiewol ich doch durch GOttes Gnade be- kehret worden.)
Anmerckungen.
1. Der Verbindung nach, welchen dieſer Vers mit dem vorhergehenden hat, iſt zu mer- cken, daß der Apoſtel von ſeinem eigenen Exem- pel, wie ihm durch Chriſtum Barmhertzigkeit wiederfahren ſey, auf die allgemeine Regel koͤmmt, nach welcher er Chriſtum, als einen allgemeinen Heyland aller Suͤnder, vorſtellet; dabey aber wieder auf ſein eigenes Exempel zu- ruͤck gehet. Eigene Erfahrung bringet in der Theologie die beſte Gewißheit zur Applica- tion.
2. Die Worte πιστὸς ὁ λόγος, es iſt ein ſicheres, gewiſſes, glaubwuͤrdiges Wort, und glaubwuͤrdige Sache, darauf ſich Πίστις der Glaube, gruͤnden kan, gebrauchet der Apoſtel auch ſonſt, nemlich c. 3, 1. c. 4, 9. 2 Tim. 2, 11. Tit. 3, 7. Sonſten ſetzet er das Wort ϖιςὸς, auch bey dem Worte Θεὸς, GOTT, 1 Cor. 1, 9. c. 10, 13. 2 Cor. 1, 18. 1 Theſſ. 5, 24. 2 Theſſ. 3, 3. da GOtt und ſein Wort iſt πιστὸς, ſicher und gewiß, ſo hat Πίστις, unſer Glaube einen gar ſichern gedoppelten Grund.
3. Nicht weniger Nachdruck haben die fol- gende Worte: καὶ πάσης άποδοχῆς ἄξιος, und aller Aufnahme werth; da man denn, wenn man die Woͤrter πιστὸς und ἄξιος zuſammen ſetzet, hat das ſchoͤne Wort ἀξιοπιςος, glaub- wuͤrdig, welches ſich ſehr wohl auf GOtt und ſein Wort ſchicket.
4. Ἀϖοδοχή, die Aufnahme geſchiehet durch den Glauben, ſintemal dieſes des Glau- bens rechte Eigenſchaft iſt, daß er von GOTT nimmt und empfaͤhet, Joh. 1. v. 11. 12. und durch die Liebe widergiebet; ie mehr er nun nimmt, ie mehr hat er zu geben.
5. Es ſoll aber die Aufnahme rechter Art, das iſt, voͤllig und willig ſeyn, welches mit dem Worte Πάσης angezeiget wird. Voͤllig, daß man im Worte GOttes nicht ein Stuͤcke vor dem andern wehle; wie die unartigen Kin- der thun bey der Mahlzeit, da ſie nicht alles, was ihnen von geſunden Speiſen vorgeſetzet wird, gerne eſſen, ſondern nur dieſes und jenes auswehlen. Und da die Aufnehmung von der gantzen Seele geſchehen muß, ſo iſt es nicht genug, GOttes Woꝛt nur mit dem Verſtande zur Erkenntniß aufnehmen, ſondern es gehoͤret ſon- derlich auch die Willens-Kraft dazu: als in wel- cher man daſſelbe recht ſchmecket und ſeiner heil- ſamen Wirckung nach erfaͤhret und empfindet. Dieſe ϖᾶσαν ἀποδοχήν nennet der Apoſtel, ih- rer Erfahrung nach πᾶσαν ἄισϑησιν, allen Ge- ſchmack Phil. 1, 9. Willig iſt denn dieſe Auf-
nah-
M
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0091"n="89"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">C. 1. v. 14. 15. an den Timotheum.</hi></fw><lb/><cb/>
delt, und Paulum in der Unwiſſenheit zu ſeinem<lb/>
Grimm aufgebracht haben.</p></div></div><lb/><divn="3"><head><hirendition="#b">V. 14.</hi></head><lb/><p><hirendition="#fr">Es iſt aber deſto reichlicher geweſen,</hi><lb/>
(zur Bekehrung und Vergebung der Suͤnden,<lb/>
auch zur Schenckung der herrlichen Gnaden-<lb/>
Gaben,) <hirendition="#fr">die Gnade unſers HErrn</hi> (des<lb/>
Dreyeinigen GOttes, und ſonderlich des Soh-<lb/>
nes GOttes, der mich auf dem Wege nach<lb/>
Damaſcus ergriffen Ap. Geſch. 9.) <hirendition="#fr">ſamt dem<lb/>
Glauben und der Liebe</hi> (welche durch die<lb/>
Gnade in mir angezuͤndet worden,) <hirendition="#fr">die in<lb/>
Chriſto JEſu iſt,</hi> (als in ihrem rechten <hirendition="#aq">Cen-<lb/>
tro</hi> und Element, darinnen ſie ruhet, und die<lb/>
Seligkeit ſuchet und findet.)</p><lb/><divn="4"><head><hirendition="#b">Anmerckungen.</hi></head><lb/><p>1. War bey Paulo die Suͤnde maͤchtig<lb/>
worden, ſo war die Gnade bey ihm noch maͤch-<lb/>
tiger worden, nach Roͤm. 5, 20. wie ſie ihn denn<lb/>
nicht allein bekehret, ſondern auch vor andern<lb/>
Apoſteln zu der meiſten Arbeit mit Gaben zum<lb/>
Segen ausgeruͤſtet hatte. 1 Cor. 15, 9. 10.</p><lb/><p>2. Es koͤnnen ſich alle Bußfertige Pauli<lb/>
Exempel zu ihrem groſſen Troſte vorſtellen; ſon-<lb/>
derlich ſolche, welche ſich vor vielen andern<lb/>
Suͤndern mit einer ſehr groſſen Suͤnden-Schuld<lb/>
beladen finden; denn iſt die Suͤnde bey ihnen<lb/>
uͤberflieſſend, ſo koͤnnen ſie ſich dieſes Paulini-<lb/>ſche und goͤttliche ὑπερεπλεόνασε, die noch mehr<lb/>
uͤberflieſſende Gnade in Chriſto zu ihrer Suͤnden<lb/>
Vergebung glaͤubig vorſtellen.</p><lb/><p>3. Es iſt eine nachdruͤckliche Redens-Art,<lb/>
wenn es heißt, <hirendition="#fr">daß die Gnade mit dem<lb/>
Glauben und der Liebe uͤbergefloſſen,</hi><lb/>
oder ſich ſo reichlich gegen Paulum erwieſen<lb/>
habe; denn dadurch wird angezeiget, daß die<lb/>
Gnade ihre Kraft zur Anzuͤndung des Glaubens,<lb/>
und im Glauben zum kraͤftigen Ein- und Aus-<lb/>
fluß der Liebe gar maͤchtig erwieſen habe.</p><lb/><p>4. Es wird aber des Glaubens und der Lie-<lb/>
be deßwegen ſonderlich gedacht, weil ſie das Ge-<lb/>
gentheil ſind von dem zuvor gedachten blinden<lb/>
Unglauben und von der groſſen Feindſeligkeit<lb/>
wider Chriſtum und die Chriſten: daher man<lb/>
denn ferner ſiehet, daß man durch GOttes Gna-<lb/>
de am meiſten bemuͤhet ſeyn muͤſſe, davon nach<lb/>
der Bekehrung das Gegentheil an ſich zur Er-<lb/>
bauung anderer zu erweiſen, darinnen man vor-<lb/>
her andere am meiſten geaͤrgert hat.</p><lb/><p>5. <hirendition="#fr">Glaube</hi> und <hirendition="#fr">Liebe</hi> gehoͤren allezeit zu-<lb/>ſammen; wie ſie denn alle beyde die <hirendition="#fr">Gnade</hi> zu<lb/>
ihrer Mutter haben, und der Glaube, gleich-<lb/>ſam als die erſtgeborne Tochter, wie eine Mut-<lb/>
ter der Liebe iſt.</p><lb/><p>6. Beyde ſind in Chriſto, darinn ſie ru-<lb/>
hen und darinn und aus dem ſie wachſen und<lb/>
zunehmen.</p></div></div><lb/><divn="3"><head><hirendition="#b">V. 15.</hi></head><lb/><p><hirendition="#fr">Das iſt ie gewißlich wahr</hi> (πιςόςὁλό-<lb/>γος, ein ſicheres und veſtes Wort, darauf man<lb/>
wol ſeinen Glauben und ſeine Seligkeit bauen<lb/>
kan) <hirendition="#fr">und ein werthes Wort</hi>) λόγοςπάσης<lb/>ἀποδοχῆςἄξιος, ein Wort, welches aller wil-<lb/>
ligen Aufnahme werth iſt,) <hirendition="#fr">daß Chriſtus JE-<lb/><cb/>ſus kommen iſt in die Welt</hi> (vom Vater ge-<lb/>ſandt, und Menſch worden) <hirendition="#fr">die Suͤnder ſelig zu<lb/>
machen,</hi> (ſie mit ſeinem Gehorſam, auch Leiden<lb/>
und Sterben, zu erloͤſen, und ihnen ſolche Er-<lb/>
loͤſung in der Ordnung wahrer Bekehrung, nach<lb/>
meinem Exempel zur wuͤrcklichen Seligkeit an-<lb/>
gedeyen zu laſſen,) <hirendition="#fr">unter welchen ich</hi> (gedach-<lb/>
ter Verfolgung wegen v. 13.) <hirendition="#fr">der Fuͤrnehmſte<lb/>
bin,</hi> (wiewol ich doch durch GOttes Gnade be-<lb/>
kehret worden.)</p><lb/><divn="4"><head><hirendition="#b">Anmerckungen.</hi></head><lb/><p>1. Der Verbindung nach, welchen dieſer<lb/>
Vers mit dem vorhergehenden hat, iſt zu mer-<lb/>
cken, daß der Apoſtel von ſeinem eigenen Exem-<lb/>
pel, wie ihm durch Chriſtum Barmhertzigkeit<lb/>
wiederfahren ſey, auf die allgemeine Regel<lb/>
koͤmmt, nach welcher er Chriſtum, als einen<lb/>
allgemeinen Heyland aller Suͤnder, vorſtellet;<lb/>
dabey aber wieder auf ſein eigenes Exempel zu-<lb/>
ruͤck gehet. Eigene Erfahrung bringet in der<lb/><hirendition="#aq">Theologie</hi> die beſte Gewißheit zur <hirendition="#aq">Applica-<lb/>
tion.</hi></p><lb/><p>2. Die Worte πιστὸςὁλόγος, es iſt ein<lb/>ſicheres, gewiſſes, glaubwuͤrdiges Wort, und<lb/>
glaubwuͤrdige Sache, darauf ſich Πίστις der<lb/>
Glaube, gruͤnden kan, gebrauchet der Apoſtel<lb/>
auch ſonſt, nemlich c. 3, 1. c. 4, 9. 2 Tim. 2, 11.<lb/>
Tit. 3, 7. Sonſten ſetzet er das Wort ϖιςὸς,<lb/>
auch bey dem Worte Θεὸς, GOTT, 1 Cor. 1, 9.<lb/>
c. 10, 13. 2 Cor. 1, 18. 1 Theſſ. 5, 24. 2 Theſſ. 3, 3.<lb/>
da GOtt und ſein Wort iſt πιστὸς, ſicher und<lb/>
gewiß, ſo hat Πίστις, unſer Glaube einen gar<lb/>ſichern gedoppelten Grund.</p><lb/><p>3. Nicht weniger Nachdruck haben die fol-<lb/>
gende Worte: καὶπάσηςάποδοχῆςἄξιος, <hirendition="#fr">und<lb/>
aller Aufnahme werth;</hi> da man denn, wenn<lb/>
man die Woͤrter πιστὸς und ἄξιος zuſammen<lb/>ſetzet, hat das ſchoͤne Wort ἀξιοπιςος, <hirendition="#fr">glaub-<lb/>
wuͤrdig,</hi> welches ſich ſehr wohl auf GOtt und<lb/>ſein Wort ſchicket.</p><lb/><p>4. Ἀϖοδοχή, die <hirendition="#fr">Aufnahme</hi> geſchiehet<lb/>
durch den Glauben, ſintemal dieſes des Glau-<lb/>
bens rechte Eigenſchaft iſt, daß er von GOTT<lb/><hirendition="#fr">nimmt</hi> und <hirendition="#fr">empfaͤhet,</hi> Joh. 1. v. 11. 12. und<lb/>
durch die Liebe <hirendition="#fr">widergiebet;</hi> ie mehr er nun<lb/>
nimmt, ie mehr hat er zu geben.</p><lb/><p>5. Es ſoll aber die Aufnahme rechter Art,<lb/>
das iſt, <hirendition="#fr">voͤllig</hi> und <hirendition="#fr">willig</hi>ſeyn, welches mit<lb/>
dem Worte Πάσης angezeiget wird. <hirendition="#fr">Voͤllig,</hi><lb/>
daß man im Worte GOttes nicht ein Stuͤcke<lb/>
vor dem andern wehle; wie die unartigen Kin-<lb/>
der thun bey der Mahlzeit, da ſie nicht alles,<lb/>
was ihnen von geſunden Speiſen vorgeſetzet<lb/>
wird, gerne eſſen, ſondern nur dieſes und<lb/>
jenes auswehlen. Und da die Aufnehmung von<lb/>
der gantzen Seele geſchehen muß, ſo iſt es nicht<lb/>
genug, GOttes Woꝛt nur mit dem Verſtande zur<lb/>
Erkenntniß aufnehmen, ſondern es gehoͤret ſon-<lb/>
derlich auch die Willens-Kraft dazu: als in wel-<lb/>
cher man daſſelbe recht ſchmecket und ſeiner heil-<lb/>ſamen Wirckung nach erfaͤhret und empfindet.<lb/>
Dieſe ϖᾶσανἀποδοχήν nennet der Apoſtel, ih-<lb/>
rer Erfahrung nach πᾶσανἄισϑησιν, allen Ge-<lb/>ſchmack Phil. 1, 9. <hirendition="#fr">Willig</hi> iſt denn dieſe Auf-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">M</fw><fwplace="bottom"type="catch">nah-</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[89/0091]
C. 1. v. 14. 15. an den Timotheum.
delt, und Paulum in der Unwiſſenheit zu ſeinem
Grimm aufgebracht haben.
V. 14.
Es iſt aber deſto reichlicher geweſen,
(zur Bekehrung und Vergebung der Suͤnden,
auch zur Schenckung der herrlichen Gnaden-
Gaben,) die Gnade unſers HErrn (des
Dreyeinigen GOttes, und ſonderlich des Soh-
nes GOttes, der mich auf dem Wege nach
Damaſcus ergriffen Ap. Geſch. 9.) ſamt dem
Glauben und der Liebe (welche durch die
Gnade in mir angezuͤndet worden,) die in
Chriſto JEſu iſt, (als in ihrem rechten Cen-
tro und Element, darinnen ſie ruhet, und die
Seligkeit ſuchet und findet.)
Anmerckungen.
1. War bey Paulo die Suͤnde maͤchtig
worden, ſo war die Gnade bey ihm noch maͤch-
tiger worden, nach Roͤm. 5, 20. wie ſie ihn denn
nicht allein bekehret, ſondern auch vor andern
Apoſteln zu der meiſten Arbeit mit Gaben zum
Segen ausgeruͤſtet hatte. 1 Cor. 15, 9. 10.
2. Es koͤnnen ſich alle Bußfertige Pauli
Exempel zu ihrem groſſen Troſte vorſtellen; ſon-
derlich ſolche, welche ſich vor vielen andern
Suͤndern mit einer ſehr groſſen Suͤnden-Schuld
beladen finden; denn iſt die Suͤnde bey ihnen
uͤberflieſſend, ſo koͤnnen ſie ſich dieſes Paulini-
ſche und goͤttliche ὑπερεπλεόνασε, die noch mehr
uͤberflieſſende Gnade in Chriſto zu ihrer Suͤnden
Vergebung glaͤubig vorſtellen.
3. Es iſt eine nachdruͤckliche Redens-Art,
wenn es heißt, daß die Gnade mit dem
Glauben und der Liebe uͤbergefloſſen,
oder ſich ſo reichlich gegen Paulum erwieſen
habe; denn dadurch wird angezeiget, daß die
Gnade ihre Kraft zur Anzuͤndung des Glaubens,
und im Glauben zum kraͤftigen Ein- und Aus-
fluß der Liebe gar maͤchtig erwieſen habe.
4. Es wird aber des Glaubens und der Lie-
be deßwegen ſonderlich gedacht, weil ſie das Ge-
gentheil ſind von dem zuvor gedachten blinden
Unglauben und von der groſſen Feindſeligkeit
wider Chriſtum und die Chriſten: daher man
denn ferner ſiehet, daß man durch GOttes Gna-
de am meiſten bemuͤhet ſeyn muͤſſe, davon nach
der Bekehrung das Gegentheil an ſich zur Er-
bauung anderer zu erweiſen, darinnen man vor-
her andere am meiſten geaͤrgert hat.
5. Glaube und Liebe gehoͤren allezeit zu-
ſammen; wie ſie denn alle beyde die Gnade zu
ihrer Mutter haben, und der Glaube, gleich-
ſam als die erſtgeborne Tochter, wie eine Mut-
ter der Liebe iſt.
6. Beyde ſind in Chriſto, darinn ſie ru-
hen und darinn und aus dem ſie wachſen und
zunehmen.
V. 15.
Das iſt ie gewißlich wahr (πιςός ὁ λό-
γος, ein ſicheres und veſtes Wort, darauf man
wol ſeinen Glauben und ſeine Seligkeit bauen
kan) und ein werthes Wort) λόγος πάσης
ἀποδοχῆς ἄξιος, ein Wort, welches aller wil-
ligen Aufnahme werth iſt,) daß Chriſtus JE-
ſus kommen iſt in die Welt (vom Vater ge-
ſandt, und Menſch worden) die Suͤnder ſelig zu
machen, (ſie mit ſeinem Gehorſam, auch Leiden
und Sterben, zu erloͤſen, und ihnen ſolche Er-
loͤſung in der Ordnung wahrer Bekehrung, nach
meinem Exempel zur wuͤrcklichen Seligkeit an-
gedeyen zu laſſen,) unter welchen ich (gedach-
ter Verfolgung wegen v. 13.) der Fuͤrnehmſte
bin, (wiewol ich doch durch GOttes Gnade be-
kehret worden.)
Anmerckungen.
1. Der Verbindung nach, welchen dieſer
Vers mit dem vorhergehenden hat, iſt zu mer-
cken, daß der Apoſtel von ſeinem eigenen Exem-
pel, wie ihm durch Chriſtum Barmhertzigkeit
wiederfahren ſey, auf die allgemeine Regel
koͤmmt, nach welcher er Chriſtum, als einen
allgemeinen Heyland aller Suͤnder, vorſtellet;
dabey aber wieder auf ſein eigenes Exempel zu-
ruͤck gehet. Eigene Erfahrung bringet in der
Theologie die beſte Gewißheit zur Applica-
tion.
2. Die Worte πιστὸς ὁ λόγος, es iſt ein
ſicheres, gewiſſes, glaubwuͤrdiges Wort, und
glaubwuͤrdige Sache, darauf ſich Πίστις der
Glaube, gruͤnden kan, gebrauchet der Apoſtel
auch ſonſt, nemlich c. 3, 1. c. 4, 9. 2 Tim. 2, 11.
Tit. 3, 7. Sonſten ſetzet er das Wort ϖιςὸς,
auch bey dem Worte Θεὸς, GOTT, 1 Cor. 1, 9.
c. 10, 13. 2 Cor. 1, 18. 1 Theſſ. 5, 24. 2 Theſſ. 3, 3.
da GOtt und ſein Wort iſt πιστὸς, ſicher und
gewiß, ſo hat Πίστις, unſer Glaube einen gar
ſichern gedoppelten Grund.
3. Nicht weniger Nachdruck haben die fol-
gende Worte: καὶ πάσης άποδοχῆς ἄξιος, und
aller Aufnahme werth; da man denn, wenn
man die Woͤrter πιστὸς und ἄξιος zuſammen
ſetzet, hat das ſchoͤne Wort ἀξιοπιςος, glaub-
wuͤrdig, welches ſich ſehr wohl auf GOtt und
ſein Wort ſchicket.
4. Ἀϖοδοχή, die Aufnahme geſchiehet
durch den Glauben, ſintemal dieſes des Glau-
bens rechte Eigenſchaft iſt, daß er von GOTT
nimmt und empfaͤhet, Joh. 1. v. 11. 12. und
durch die Liebe widergiebet; ie mehr er nun
nimmt, ie mehr hat er zu geben.
5. Es ſoll aber die Aufnahme rechter Art,
das iſt, voͤllig und willig ſeyn, welches mit
dem Worte Πάσης angezeiget wird. Voͤllig,
daß man im Worte GOttes nicht ein Stuͤcke
vor dem andern wehle; wie die unartigen Kin-
der thun bey der Mahlzeit, da ſie nicht alles,
was ihnen von geſunden Speiſen vorgeſetzet
wird, gerne eſſen, ſondern nur dieſes und
jenes auswehlen. Und da die Aufnehmung von
der gantzen Seele geſchehen muß, ſo iſt es nicht
genug, GOttes Woꝛt nur mit dem Verſtande zur
Erkenntniß aufnehmen, ſondern es gehoͤret ſon-
derlich auch die Willens-Kraft dazu: als in wel-
cher man daſſelbe recht ſchmecket und ſeiner heil-
ſamen Wirckung nach erfaͤhret und empfindet.
Dieſe ϖᾶσαν ἀποδοχήν nennet der Apoſtel, ih-
rer Erfahrung nach πᾶσαν ἄισϑησιν, allen Ge-
ſchmack Phil. 1, 9. Willig iſt denn dieſe Auf-
nah-
M
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lange, Joachim: Des Apostolischen Lichts und Rechts. Bd. 2. Halle, 1729, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_licht02_1729/91>, abgerufen am 16.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.