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Lange, Max: Lehrbuch des Schachspiels. Halle (Saale), 1856.

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mehr oder weniger durch feindliche Attaken in der Wahl
seiner Operationen beschränkt. Der Angriff besteht aber
keinesweges allein in der speciellen Bedrohung der oder jener
Figur, dieses oder jenes Punktes; schon in den ersten Mo-
menten der Eröffnung hat die Partei, welche um ein Tempo
voraussteht, den Angriff; sie kann jederzeit die entwickelten
Kräfte zu Attaken verwenden. Auch übt freiere und
schnellere Entwickelung der Stücke schon an und für sich
einen Druck auf die Stellung des Gegners aus, welcher voll-
kommen einem Angriffe gleich steht. Daher knüpft die
Theorie gewöhnlich an den Anzug den Angriff und giebt dem
Gegner die Vertheidigung.

§. 167. Die Kunst des eigentlichen speciellen Angriffes
besteht aber in der schnellen Vereinigung überlegener Kräfte
gegen einen Punkt, und falls dies nicht für den Augenblick
möglich ist, in der fortdauernden Beschäftigung der bereits
thätigen Stücke des Gegners. Nicht selten kann dabei eine
Figur oder ein Bauer erobert werden. Bei sonst gleicher
Stellung entscheidet gewöhnlich ein solches Uebergewicht.
Die Klugheit lehrt dann, so viel als möglich zu tauschen,
um schliesslich den Vortheil zur Geltung zu bringen.

§. 168. Grosse Schwierigkeit bietet aber die Aufgabe,
correct eine Angriffscombination einzuleiten und durchzu-
führen. Nur zu häufig laufen voreilige Züge unter, und der
Gegner gewinnt nach hartnäckiger Ausdauer Gelegenheit zum
Gegenangriff. Nichts ist aber verderblicher als ein mit Er-
folg zurückgeschlagener Angriff, denn die einzelnen zur
Attake verwendeten Stücke finden sich gewöhnlich nicht in
der Stellung, sofort zum Schutze der eigenen Partei zurück-
zukehren, so dass der Gegner mit Macht in die entblössten
Stellen einzudringen vermag.

§. 169. Jeder voreilige Zug führt Tempoverlust mit sich.
Auf Tempogewinn beruht aber zuletzt jeder Vortheil an
Figuren oder Stellung, welcher zum Siege führt. Tempo-
verluste entstehen nun hauptsächlich aus inconsequenter Ent-
wickelung der Hauptfiguren sowie aus unwirksamen Angriffen,
z. B. Attaken auf feindliche Figuren, welche mit Vortheil
anderswohin gehen können, ferner nutzlose Schachs, durch

mehr oder weniger durch feindliche Attaken in der Wahl
seiner Operationen beschränkt. Der Angriff besteht aber
keinesweges allein in der speciellen Bedrohung der oder jener
Figur, dieses oder jenes Punktes; schon in den ersten Mo-
menten der Eröffnung hat die Partei, welche um ein Tempo
voraussteht, den Angriff; sie kann jederzeit die entwickelten
Kräfte zu Attaken verwenden. Auch übt freiere und
schnellere Entwickelung der Stücke schon an und für sich
einen Druck auf die Stellung des Gegners aus, welcher voll-
kommen einem Angriffe gleich steht. Daher knüpft die
Theorie gewöhnlich an den Anzug den Angriff und giebt dem
Gegner die Vertheidigung.

§. 167. Die Kunst des eigentlichen speciellen Angriffes
besteht aber in der schnellen Vereinigung überlegener Kräfte
gegen einen Punkt, und falls dies nicht für den Augenblick
möglich ist, in der fortdauernden Beschäftigung der bereits
thätigen Stücke des Gegners. Nicht selten kann dabei eine
Figur oder ein Bauer erobert werden. Bei sonst gleicher
Stellung entscheidet gewöhnlich ein solches Uebergewicht.
Die Klugheit lehrt dann, so viel als möglich zu tauschen,
um schliesslich den Vortheil zur Geltung zu bringen.

§. 168. Grosse Schwierigkeit bietet aber die Aufgabe,
correct eine Angriffscombination einzuleiten und durchzu-
führen. Nur zu häufig laufen voreilige Züge unter, und der
Gegner gewinnt nach hartnäckiger Ausdauer Gelegenheit zum
Gegenangriff. Nichts ist aber verderblicher als ein mit Er-
folg zurückgeschlagener Angriff, denn die einzelnen zur
Attake verwendeten Stücke finden sich gewöhnlich nicht in
der Stellung, sofort zum Schutze der eigenen Partei zurück-
zukehren, so dass der Gegner mit Macht in die entblössten
Stellen einzudringen vermag.

§. 169. Jeder voreilige Zug führt Tempoverlust mit sich.
Auf Tempogewinn beruht aber zuletzt jeder Vortheil an
Figuren oder Stellung, welcher zum Siege führt. Tempo-
verluste entstehen nun hauptsächlich aus inconsequenter Ent-
wickelung der Hauptfiguren sowie aus unwirksamen Angriffen,
z. B. Attaken auf feindliche Figuren, welche mit Vortheil
anderswohin gehen können, ferner nutzlose Schachs, durch

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[107/0119] mehr oder weniger durch feindliche Attaken in der Wahl seiner Operationen beschränkt. Der Angriff besteht aber keinesweges allein in der speciellen Bedrohung der oder jener Figur, dieses oder jenes Punktes; schon in den ersten Mo- menten der Eröffnung hat die Partei, welche um ein Tempo voraussteht, den Angriff; sie kann jederzeit die entwickelten Kräfte zu Attaken verwenden. Auch übt freiere und schnellere Entwickelung der Stücke schon an und für sich einen Druck auf die Stellung des Gegners aus, welcher voll- kommen einem Angriffe gleich steht. Daher knüpft die Theorie gewöhnlich an den Anzug den Angriff und giebt dem Gegner die Vertheidigung. §. 167. Die Kunst des eigentlichen speciellen Angriffes besteht aber in der schnellen Vereinigung überlegener Kräfte gegen einen Punkt, und falls dies nicht für den Augenblick möglich ist, in der fortdauernden Beschäftigung der bereits thätigen Stücke des Gegners. Nicht selten kann dabei eine Figur oder ein Bauer erobert werden. Bei sonst gleicher Stellung entscheidet gewöhnlich ein solches Uebergewicht. Die Klugheit lehrt dann, so viel als möglich zu tauschen, um schliesslich den Vortheil zur Geltung zu bringen. §. 168. Grosse Schwierigkeit bietet aber die Aufgabe, correct eine Angriffscombination einzuleiten und durchzu- führen. Nur zu häufig laufen voreilige Züge unter, und der Gegner gewinnt nach hartnäckiger Ausdauer Gelegenheit zum Gegenangriff. Nichts ist aber verderblicher als ein mit Er- folg zurückgeschlagener Angriff, denn die einzelnen zur Attake verwendeten Stücke finden sich gewöhnlich nicht in der Stellung, sofort zum Schutze der eigenen Partei zurück- zukehren, so dass der Gegner mit Macht in die entblössten Stellen einzudringen vermag. §. 169. Jeder voreilige Zug führt Tempoverlust mit sich. Auf Tempogewinn beruht aber zuletzt jeder Vortheil an Figuren oder Stellung, welcher zum Siege führt. Tempo- verluste entstehen nun hauptsächlich aus inconsequenter Ent- wickelung der Hauptfiguren sowie aus unwirksamen Angriffen, z. B. Attaken auf feindliche Figuren, welche mit Vortheil anderswohin gehen können, ferner nutzlose Schachs, durch

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Zitationshilfe: Lange, Max: Lehrbuch des Schachspiels. Halle (Saale), 1856, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_schachspiel_1856/119>, abgerufen am 28.04.2024.