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Lange, Max: Lehrbuch des Schachspiels. Halle (Saale), 1856.

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Liebhabern des Spieles getheilt wird. Der Charakter des
Spieles beruht auf willkürlichen rein menschlichen Annahmen
von Grundbestimmungen, durch welche es constituirt wird,
während der Stoff jeder Wissenschaft erhaben über der Schö-
pfung des Einzelmenschen liegt, ja den Menschen meist un-
mittelbar aus der Hand Gottes gegeben wird.

Anmerkung. Die unrichtigen Ansichten über den Werth des
Schachspieles, das bei all seinen unzählig schönen Combi-
nationen Spiel bleibt, wurden ausser den oben erwähnten
Vorzügen meist durch die Wahrnehmung hervorgerufen,
dass im Schach neben dem Mangel des Zufalles und Glück-
reizes auch noch andere den Wissenschaften zukommende
Eigenschaften sich finden. Ausserdem zollten selbst ausser-
schachliche hochberühmte Autoritäten, wie Leibnitz,
Kant, Göthe
dem Schachspiel besondere Anerkennung,
obschon sie ihm wohl niemals (§. 141) den Rang einer
Wissenschaft ausdrücklich zuerkannt haben. Von Schach-
autoritäten ist ausser Koch und Hirschbach vorzüglich der
begeisterte Bledow, welcher das Schach halb Kunst halb
Wissenschaft nannte und der dem Spiele ganz ergebene
Bilguer hervorzuheben, welcher in die Untersuchung von
Schachwahrheiten sogar die Bestimmung des Menschen
setzen wollte. Es ist allerdings wahr, dass das Schach
einen besonderen Vorrang vor den meisten Spielen ver-
dient; doch wäre es gewiss unnütz, ihm deshalb einen
besonderen Rang, eine Mittelstellung etwa zwischen Spiel
und Wissenschaft zu geben, um so zugleich der blendenden
Antithese Kant's, das Schach sei zu ernst für ein Spiel,
zu viel Spiel für den Ernst, strenge Rechnung zu tragen.
Wir wollen vielmehr den ganzen Streit mit dem Endurtheile
abschliessen, dass das Schachspiel zwar der Uebung nach
Kunst, der Form nach Wissenschaft sein kann, dass es
aber seinem Inhalte, seiner socialen Bedeutung nach,
stets in die Klasse der Spiele gehören wird.

§. 431. Aus der richtigen Würdigung des Werthes lässt
sich der wahre Zweck und Nutzen des Schachspieles mit Sicher-
heit ableiten. Zunächst hat das Schach mit jedem anderen
Spiele denselben Zweck gemein, nämlich Vergnügen und Un-
terhaltung zu gewähren, sei es als Erholung von der Arbeit,
sei es als Abwechselung nach dem Studium der Wissenschaf-
ten. Als geselliges Spiel dient das Schach zur Bildung von
Gesellschaften und Clubs, welche es fortzubilden und weiter
zu verbreiten streben. Nur darf hiebei nicht ein scheinbarer
Nutzen, wie z. B. Schärfung des Verstandes oder Förderung
anderer Geistesthätigkeiten vorgespiegelt werden. Das Schach-
spiel hat in dieser Beziehung durchaus gar keinen Einfluss

Liebhabern des Spieles getheilt wird. Der Charakter des
Spieles beruht auf willkürlichen rein menschlichen Annahmen
von Grundbestimmungen, durch welche es constituirt wird,
während der Stoff jeder Wissenschaft erhaben über der Schö-
pfung des Einzelmenschen liegt, ja den Menschen meist un-
mittelbar aus der Hand Gottes gegeben wird.

Anmerkung. Die unrichtigen Ansichten über den Werth des
Schachspieles, das bei all seinen unzählig schönen Combi-
nationen Spiel bleibt, wurden ausser den oben erwähnten
Vorzügen meist durch die Wahrnehmung hervorgerufen,
dass im Schach neben dem Mangel des Zufalles und Glück-
reizes auch noch andere den Wissenschaften zukommende
Eigenschaften sich finden. Ausserdem zollten selbst ausser-
schachliche hochberühmte Autoritäten, wie Leibnitz,
Kant, Göthe
dem Schachspiel besondere Anerkennung,
obschon sie ihm wohl niemals (§. 141) den Rang einer
Wissenschaft ausdrücklich zuerkannt haben. Von Schach-
autoritäten ist ausser Koch und Hirschbach vorzüglich der
begeisterte Bledow, welcher das Schach halb Kunst halb
Wissenschaft nannte und der dem Spiele ganz ergebene
Bilguer hervorzuheben, welcher in die Untersuchung von
Schachwahrheiten sogar die Bestimmung des Menschen
setzen wollte. Es ist allerdings wahr, dass das Schach
einen besonderen Vorrang vor den meisten Spielen ver-
dient; doch wäre es gewiss unnütz, ihm deshalb einen
besonderen Rang, eine Mittelstellung etwa zwischen Spiel
und Wissenschaft zu geben, um so zugleich der blendenden
Antithese Kant’s, das Schach sei zu ernst für ein Spiel,
zu viel Spiel für den Ernst, strenge Rechnung zu tragen.
Wir wollen vielmehr den ganzen Streit mit dem Endurtheile
abschliessen, dass das Schachspiel zwar der Uebung nach
Kunst, der Form nach Wissenschaft sein kann, dass es
aber seinem Inhalte, seiner socialen Bedeutung nach,
stets in die Klasse der Spiele gehören wird.

§. 431. Aus der richtigen Würdigung des Werthes lässt
sich der wahre Zweck und Nutzen des Schachspieles mit Sicher-
heit ableiten. Zunächst hat das Schach mit jedem anderen
Spiele denselben Zweck gemein, nämlich Vergnügen und Un-
terhaltung zu gewähren, sei es als Erholung von der Arbeit,
sei es als Abwechselung nach dem Studium der Wissenschaf-
ten. Als geselliges Spiel dient das Schach zur Bildung von
Gesellschaften und Clubs, welche es fortzubilden und weiter
zu verbreiten streben. Nur darf hiebei nicht ein scheinbarer
Nutzen, wie z. B. Schärfung des Verstandes oder Förderung
anderer Geistesthätigkeiten vorgespiegelt werden. Das Schach-
spiel hat in dieser Beziehung durchaus gar keinen Einfluss

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[248/0260] Liebhabern des Spieles getheilt wird. Der Charakter des Spieles beruht auf willkürlichen rein menschlichen Annahmen von Grundbestimmungen, durch welche es constituirt wird, während der Stoff jeder Wissenschaft erhaben über der Schö- pfung des Einzelmenschen liegt, ja den Menschen meist un- mittelbar aus der Hand Gottes gegeben wird. Anmerkung. Die unrichtigen Ansichten über den Werth des Schachspieles, das bei all seinen unzählig schönen Combi- nationen Spiel bleibt, wurden ausser den oben erwähnten Vorzügen meist durch die Wahrnehmung hervorgerufen, dass im Schach neben dem Mangel des Zufalles und Glück- reizes auch noch andere den Wissenschaften zukommende Eigenschaften sich finden. Ausserdem zollten selbst ausser- schachliche hochberühmte Autoritäten, wie Leibnitz, Kant, Göthe dem Schachspiel besondere Anerkennung, obschon sie ihm wohl niemals (§. 141) den Rang einer Wissenschaft ausdrücklich zuerkannt haben. Von Schach- autoritäten ist ausser Koch und Hirschbach vorzüglich der begeisterte Bledow, welcher das Schach halb Kunst halb Wissenschaft nannte und der dem Spiele ganz ergebene Bilguer hervorzuheben, welcher in die Untersuchung von Schachwahrheiten sogar die Bestimmung des Menschen setzen wollte. Es ist allerdings wahr, dass das Schach einen besonderen Vorrang vor den meisten Spielen ver- dient; doch wäre es gewiss unnütz, ihm deshalb einen besonderen Rang, eine Mittelstellung etwa zwischen Spiel und Wissenschaft zu geben, um so zugleich der blendenden Antithese Kant’s, das Schach sei zu ernst für ein Spiel, zu viel Spiel für den Ernst, strenge Rechnung zu tragen. Wir wollen vielmehr den ganzen Streit mit dem Endurtheile abschliessen, dass das Schachspiel zwar der Uebung nach Kunst, der Form nach Wissenschaft sein kann, dass es aber seinem Inhalte, seiner socialen Bedeutung nach, stets in die Klasse der Spiele gehören wird. §. 431. Aus der richtigen Würdigung des Werthes lässt sich der wahre Zweck und Nutzen des Schachspieles mit Sicher- heit ableiten. Zunächst hat das Schach mit jedem anderen Spiele denselben Zweck gemein, nämlich Vergnügen und Un- terhaltung zu gewähren, sei es als Erholung von der Arbeit, sei es als Abwechselung nach dem Studium der Wissenschaf- ten. Als geselliges Spiel dient das Schach zur Bildung von Gesellschaften und Clubs, welche es fortzubilden und weiter zu verbreiten streben. Nur darf hiebei nicht ein scheinbarer Nutzen, wie z. B. Schärfung des Verstandes oder Förderung anderer Geistesthätigkeiten vorgespiegelt werden. Das Schach- spiel hat in dieser Beziehung durchaus gar keinen Einfluss

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Zitationshilfe: Lange, Max: Lehrbuch des Schachspiels. Halle (Saale), 1856, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lange_schachspiel_1856/260>, abgerufen am 29.04.2024.