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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

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ben, die Frucht seiner Bemühungen für
Sie in der Fassung ihrer Seele zu zeigen.
Sie that alles. "Bester Vater! Sie ha-
"ben mich leben gelernt, Sie lernen mich
"auch sterben; Gott mache Sie zu mei-
"nem Schutzgeist, und zum Zeugen aller
"meiner Handlungen und Gedanken! Jch
"will Jhrer würdig seyn!

Wie er dahin war, und sein ganzes
Haus voll weinender Unterthanen, sein
Sterbezimmer voll knieender schluchzender
Hausbedienten waren, das Fräulein vor
seinem Bette die kalten Hände küssend
nichts sagen konnte, bald knieend, bald
sich erhebend die Hände rang -- O
meine Freundin! wie leicht grub sich das
Andenken dieses Tages in mein Herz! Wie
viel Gutes kann eine empfindende Seele
an dem Sterbebette des Gerechten sam-
meln! --

Mein Vater sah stillschweigend zu; er
war selbst so stark gerührt, daß er nicht
gleich reden konnte. Endlich nahm er
das Fräulein bey der Hand: Gott lasse
Sie die Erbin der Tugend Jhres Herrn

Vaters

ben, die Frucht ſeiner Bemuͤhungen fuͤr
Sie in der Faſſung ihrer Seele zu zeigen.
Sie that alles. „Beſter Vater! Sie ha-
„ben mich leben gelernt, Sie lernen mich
„auch ſterben; Gott mache Sie zu mei-
„nem Schutzgeiſt, und zum Zeugen aller
„meiner Handlungen und Gedanken! Jch
„will Jhrer wuͤrdig ſeyn!

Wie er dahin war, und ſein ganzes
Haus voll weinender Unterthanen, ſein
Sterbezimmer voll knieender ſchluchzender
Hausbedienten waren, das Fraͤulein vor
ſeinem Bette die kalten Haͤnde kuͤſſend
nichts ſagen konnte, bald knieend, bald
ſich erhebend die Haͤnde rang — O
meine Freundin! wie leicht grub ſich das
Andenken dieſes Tages in mein Herz! Wie
viel Gutes kann eine empfindende Seele
an dem Sterbebette des Gerechten ſam-
meln! —

Mein Vater ſah ſtillſchweigend zu; er
war ſelbſt ſo ſtark geruͤhrt, daß er nicht
gleich reden konnte. Endlich nahm er
das Fraͤulein bey der Hand: Gott laſſe
Sie die Erbin der Tugend Jhres Herrn

Vaters
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[77/0103] ben, die Frucht ſeiner Bemuͤhungen fuͤr Sie in der Faſſung ihrer Seele zu zeigen. Sie that alles. „Beſter Vater! Sie ha- „ben mich leben gelernt, Sie lernen mich „auch ſterben; Gott mache Sie zu mei- „nem Schutzgeiſt, und zum Zeugen aller „meiner Handlungen und Gedanken! Jch „will Jhrer wuͤrdig ſeyn! Wie er dahin war, und ſein ganzes Haus voll weinender Unterthanen, ſein Sterbezimmer voll knieender ſchluchzender Hausbedienten waren, das Fraͤulein vor ſeinem Bette die kalten Haͤnde kuͤſſend nichts ſagen konnte, bald knieend, bald ſich erhebend die Haͤnde rang — O meine Freundin! wie leicht grub ſich das Andenken dieſes Tages in mein Herz! Wie viel Gutes kann eine empfindende Seele an dem Sterbebette des Gerechten ſam- meln! — Mein Vater ſah ſtillſchweigend zu; er war ſelbſt ſo ſtark geruͤhrt, daß er nicht gleich reden konnte. Endlich nahm er das Fraͤulein bey der Hand: Gott laſſe Sie die Erbin der Tugend Jhres Herrn Vaters

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Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/103>, abgerufen am 29.04.2024.