Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

Bild:
<< vorherige Seite

Die zwey größern Kinder liefen der
Mutter zu, fielen um ihren Hals und
fiengen an zu weinen. Jch umarmte sie,
hob sie auf, umfaßte die Kinder, und
bat die Frau sich zu fassen und stille zu re-
den. Es sollte hier niemand als ich, ihr
Herz und ihre Umstände kennen; sie sollte
glauben, daß ich mich glücklich achten
würde, ihr Dienste zu beweisen; voritzt
aber wollte ich nichts als den Ort ihres
Aufenthalts wissen, und ihr meinen Nah-
men aufschreiben, welches ich auch sogleich
mit Reißbley that, und ihr das Papier
überreichte.

Sie sagte mir, daß sie wieder nach
D* wo ihr Mann wäre, zurücke gienge,
nachdem sie von einem Bruder, zu dem
sie Zuflucht hätte nehmen wollen, abge-
wiesen worden wäre. Sie wollte mir
alle Ursachen ihres Elends aufschreiben,
und sich dann meiner Güte in Beurthei-
lung ihrer Fehler empfehlen. Nach die-
sem las sie mein Papier. Sind Sie das
Fräulein von Sternheim? O was ist der
heutige Tag für mich? Jch bin die Frau

des

Die zwey groͤßern Kinder liefen der
Mutter zu, fielen um ihren Hals und
fiengen an zu weinen. Jch umarmte ſie,
hob ſie auf, umfaßte die Kinder, und
bat die Frau ſich zu faſſen und ſtille zu re-
den. Es ſollte hier niemand als ich, ihr
Herz und ihre Umſtaͤnde kennen; ſie ſollte
glauben, daß ich mich gluͤcklich achten
wuͤrde, ihr Dienſte zu beweiſen; voritzt
aber wollte ich nichts als den Ort ihres
Aufenthalts wiſſen, und ihr meinen Nah-
men aufſchreiben, welches ich auch ſogleich
mit Reißbley that, und ihr das Papier
uͤberreichte.

Sie ſagte mir, daß ſie wieder nach
D* wo ihr Mann waͤre, zuruͤcke gienge,
nachdem ſie von einem Bruder, zu dem
ſie Zuflucht haͤtte nehmen wollen, abge-
wieſen worden waͤre. Sie wollte mir
alle Urſachen ihres Elends aufſchreiben,
und ſich dann meiner Guͤte in Beurthei-
lung ihrer Fehler empfehlen. Nach die-
ſem las ſie mein Papier. Sind Sie das
Fraͤulein von Sternheim? O was iſt der
heutige Tag fuͤr mich? Jch bin die Frau

des
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0226" n="200"/>
          <p>Die zwey gro&#x0364;ßern Kinder liefen der<lb/>
Mutter zu, fielen um ihren Hals und<lb/>
fiengen an zu weinen. Jch umarmte &#x017F;ie,<lb/>
hob &#x017F;ie auf, umfaßte die Kinder, und<lb/>
bat die Frau &#x017F;ich zu fa&#x017F;&#x017F;en und &#x017F;tille zu re-<lb/>
den. Es &#x017F;ollte hier niemand als ich, ihr<lb/>
Herz und ihre Um&#x017F;ta&#x0364;nde kennen; &#x017F;ie &#x017F;ollte<lb/>
glauben, daß ich mich glu&#x0364;cklich achten<lb/>
wu&#x0364;rde, ihr Dien&#x017F;te zu bewei&#x017F;en; voritzt<lb/>
aber wollte ich nichts als den Ort ihres<lb/>
Aufenthalts wi&#x017F;&#x017F;en, und ihr meinen Nah-<lb/>
men auf&#x017F;chreiben, welches ich auch &#x017F;ogleich<lb/>
mit Reißbley that, und ihr das Papier<lb/>
u&#x0364;berreichte.</p><lb/>
          <p>Sie &#x017F;agte mir, daß &#x017F;ie wieder nach<lb/>
D* wo ihr Mann wa&#x0364;re, zuru&#x0364;cke gienge,<lb/>
nachdem &#x017F;ie von einem Bruder, zu dem<lb/>
&#x017F;ie Zuflucht ha&#x0364;tte nehmen wollen, abge-<lb/>
wie&#x017F;en worden wa&#x0364;re. Sie wollte mir<lb/>
alle Ur&#x017F;achen ihres Elends auf&#x017F;chreiben,<lb/>
und &#x017F;ich dann meiner Gu&#x0364;te in Beurthei-<lb/>
lung ihrer Fehler empfehlen. Nach die-<lb/>
&#x017F;em las &#x017F;ie mein Papier. Sind Sie das<lb/>
Fra&#x0364;ulein von Sternheim? O was i&#x017F;t der<lb/>
heutige Tag fu&#x0364;r mich? Jch bin die Frau<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">des</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[200/0226] Die zwey groͤßern Kinder liefen der Mutter zu, fielen um ihren Hals und fiengen an zu weinen. Jch umarmte ſie, hob ſie auf, umfaßte die Kinder, und bat die Frau ſich zu faſſen und ſtille zu re- den. Es ſollte hier niemand als ich, ihr Herz und ihre Umſtaͤnde kennen; ſie ſollte glauben, daß ich mich gluͤcklich achten wuͤrde, ihr Dienſte zu beweiſen; voritzt aber wollte ich nichts als den Ort ihres Aufenthalts wiſſen, und ihr meinen Nah- men aufſchreiben, welches ich auch ſogleich mit Reißbley that, und ihr das Papier uͤberreichte. Sie ſagte mir, daß ſie wieder nach D* wo ihr Mann waͤre, zuruͤcke gienge, nachdem ſie von einem Bruder, zu dem ſie Zuflucht haͤtte nehmen wollen, abge- wieſen worden waͤre. Sie wollte mir alle Urſachen ihres Elends aufſchreiben, und ſich dann meiner Guͤte in Beurthei- lung ihrer Fehler empfehlen. Nach die- ſem las ſie mein Papier. Sind Sie das Fraͤulein von Sternheim? O was iſt der heutige Tag fuͤr mich? Jch bin die Frau des

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/226
Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 1. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte01_1771/226>, abgerufen am 03.05.2024.