Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite

Scholastik: Innerweltliches Vacuum.
fortbewegt, würde ein Vacuum veranlassen, bis eine andre
an diese Stelle tritt. Doch ist dagegen zu bemerken, daß das
Vacuum, als reine Negation, nicht ein positiver Erklärungs-
grund für physikalische Thatsachen werden kann, weshalb
R. Baco1 auf diesen Beweis für die Sphärizität der Welt keinen
Wert legt. Auch lassen sich die Theologen, welche eine vier-
eckige Gestaltung des Empyreums lehren, durch diese Bedenken
nicht von ihrer Meinung abbringen. Bei Annahme der Kugel-
gestalt der Welt ist übrigens die Unmöglichkeit eines Vacuums
zugleich ein Grund für die Einzigkeit der Welt; denn mehrere
Welten müßten leere Räume zwischen sich haben.

Bei der Frage nach der Existenz eines leeren Raumes
zwischen den Körpern kommen einige praktische Erfahrungen
in Betracht, welche der Scholastik willkommene empirische
Beweise für den horror vacui zu bieten scheinen. Es sind dies
alle diejenigen Beobachtungen, welche wir gegenwärtig durch
den Druck der Luft erklären, also hauptsächlich die Er-
scheinungen des Saugens und Pumpens, ferner die Thatsache,
daß Flüssigkeit aus einer kleinen Öffnung am untern Ende
eines Gefäßes nicht ausfließt, wenn nicht der Luft an andrer
Stelle ein Zutritt gewährt wird. Zu Bedenken gibt der Fall
Veranlassung, daß zwei ebene Platten voneinander gerissen
werden, und es scheint, als ob im Momente der Trennung, da
doch die Luft nicht mit unendlicher Geschwindigkeit in den
Zwischenraum stürzen kann, ein Vacuum entstehen müsse.
Dieses Bedenken widerlegt sich jedoch dadurch, daß die
Trennung der Platten in Wirklichkeit nicht auf allen Punkten
zugleich, sondern nur successive geschehen kann; gerade der
Versuch, eine ebene Platte vom Wasser abzuheben, wobei die
Platte vom Wasser benetzt bleibt, scheint ein neuer Beweis
für die Unmöglichkeit des Vacuums.2 Auch die Erwägung, daß
warmes Wasser, welches in einem luftdicht verschlossenen Ge-
fäße dem Erkalten ausgesetzt wird, indem es sich zusammen-
zieht, einen leeren Raum erzeugen müsse, könne nichts beweisen.
Denn wenn sich das Wasser, wie allerdings anzunehmen, selbst

1 Opus majus p. 70, 71 nach Werner, Wiener Sitzungsber. 1879. Bd.
94 S. 529, 530.
2 Vgl. u. a. Comment. Colleg. Conimbricensis in phys. Arist. lib. IV. c. 9.
Quaest. 1. p. 77 u. 83. Ferner Scotus, Phys. 1. IV. qu. 13. Tom. II p. 269.

Scholastik: Innerweltliches Vacuum.
fortbewegt, würde ein Vacuum veranlassen, bis eine andre
an diese Stelle tritt. Doch ist dagegen zu bemerken, daß das
Vacuum, als reine Negation, nicht ein positiver Erklärungs-
grund für physikalische Thatsachen werden kann, weshalb
R. Baco1 auf diesen Beweis für die Sphärizität der Welt keinen
Wert legt. Auch lassen sich die Theologen, welche eine vier-
eckige Gestaltung des Empyreums lehren, durch diese Bedenken
nicht von ihrer Meinung abbringen. Bei Annahme der Kugel-
gestalt der Welt ist übrigens die Unmöglichkeit eines Vacuums
zugleich ein Grund für die Einzigkeit der Welt; denn mehrere
Welten müßten leere Räume zwischen sich haben.

Bei der Frage nach der Existenz eines leeren Raumes
zwischen den Körpern kommen einige praktische Erfahrungen
in Betracht, welche der Scholastik willkommene empirische
Beweise für den horror vacui zu bieten scheinen. Es sind dies
alle diejenigen Beobachtungen, welche wir gegenwärtig durch
den Druck der Luft erklären, also hauptsächlich die Er-
scheinungen des Saugens und Pumpens, ferner die Thatsache,
daß Flüssigkeit aus einer kleinen Öffnung am untern Ende
eines Gefäßes nicht ausfließt, wenn nicht der Luft an andrer
Stelle ein Zutritt gewährt wird. Zu Bedenken gibt der Fall
Veranlassung, daß zwei ebene Platten voneinander gerissen
werden, und es scheint, als ob im Momente der Trennung, da
doch die Luft nicht mit unendlicher Geschwindigkeit in den
Zwischenraum stürzen kann, ein Vacuum entstehen müsse.
Dieses Bedenken widerlegt sich jedoch dadurch, daß die
Trennung der Platten in Wirklichkeit nicht auf allen Punkten
zugleich, sondern nur successive geschehen kann; gerade der
Versuch, eine ebene Platte vom Wasser abzuheben, wobei die
Platte vom Wasser benetzt bleibt, scheint ein neuer Beweis
für die Unmöglichkeit des Vacuums.2 Auch die Erwägung, daß
warmes Wasser, welches in einem luftdicht verschlossenen Ge-
fäße dem Erkalten ausgesetzt wird, indem es sich zusammen-
zieht, einen leeren Raum erzeugen müsse, könne nichts beweisen.
Denn wenn sich das Wasser, wie allerdings anzunehmen, selbst

1 Opus majus p. 70, 71 nach Werner, Wiener Sitzungsber. 1879. Bd.
94 S. 529, 530.
2 Vgl. u. a. Comment. Colleg. Conimbricensis in phys. Arist. lib. IV. c. 9.
Quaest. 1. p. 77 u. 83. Ferner Scotus, Phys. 1. IV. qu. 13. Tom. II p. 269.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0223" n="205"/><fw place="top" type="header">Scholastik: Innerweltliches Vacuum.</fw><lb/>
fortbewegt, würde ein Vacuum veranlassen, bis eine andre<lb/>
an diese Stelle tritt. Doch ist dagegen zu bemerken, daß das<lb/>
Vacuum, als reine Negation, nicht ein positiver Erklärungs-<lb/>
grund für physikalische Thatsachen werden kann, weshalb<lb/>
R. <hi rendition="#k">Baco</hi><note place="foot" n="1"><hi rendition="#i">Opus majus</hi> p. 70, 71 nach <hi rendition="#k">Werner</hi>, <hi rendition="#i">Wiener Sitzungsber.</hi> 1879. Bd.<lb/>
94 S. 529, 530.</note> auf diesen Beweis für die Sphärizität der Welt keinen<lb/>
Wert legt. Auch lassen sich die Theologen, welche eine vier-<lb/>
eckige Gestaltung des Empyreums lehren, durch diese Bedenken<lb/>
nicht von ihrer Meinung abbringen. Bei Annahme der Kugel-<lb/>
gestalt der Welt ist übrigens die Unmöglichkeit eines Vacuums<lb/>
zugleich ein Grund für die Einzigkeit der Welt; denn mehrere<lb/>
Welten müßten leere Räume zwischen sich haben.</p><lb/>
            <p>Bei der Frage nach der Existenz eines leeren Raumes<lb/>
zwischen den Körpern kommen einige praktische Erfahrungen<lb/>
in Betracht, welche der Scholastik willkommene empirische<lb/>
Beweise für den <hi rendition="#i">horror vacui</hi> zu bieten scheinen. Es sind dies<lb/>
alle diejenigen Beobachtungen, welche wir gegenwärtig durch<lb/>
den Druck der Luft erklären, also hauptsächlich die Er-<lb/>
scheinungen des Saugens und Pumpens, ferner die Thatsache,<lb/>
daß Flüssigkeit aus einer kleinen Öffnung am untern Ende<lb/>
eines Gefäßes nicht ausfließt, wenn nicht der Luft an andrer<lb/>
Stelle ein Zutritt gewährt wird. Zu Bedenken gibt der Fall<lb/>
Veranlassung, daß zwei ebene Platten voneinander gerissen<lb/>
werden, und es scheint, als ob im Momente der Trennung, da<lb/>
doch die Luft nicht mit unendlicher Geschwindigkeit in den<lb/>
Zwischenraum stürzen kann, ein Vacuum entstehen müsse.<lb/>
Dieses Bedenken widerlegt sich jedoch dadurch, daß die<lb/>
Trennung der Platten in Wirklichkeit nicht auf allen Punkten<lb/>
zugleich, sondern nur successive geschehen kann; gerade der<lb/>
Versuch, eine ebene Platte vom Wasser abzuheben, wobei die<lb/>
Platte vom Wasser benetzt bleibt, scheint ein neuer Beweis<lb/>
für die Unmöglichkeit des Vacuums.<note place="foot" n="2">Vgl. u. a. <hi rendition="#i">Comment.</hi> Colleg. Conimbricensis <hi rendition="#i">in phys. Arist.</hi> lib. IV. c. 9.<lb/>
Quaest. 1. p. 77 u. 83. Ferner <hi rendition="#k">Scotus</hi>, <hi rendition="#i">Phys.</hi> 1. IV. qu. 13. Tom. II p. 269.</note> Auch die Erwägung, daß<lb/>
warmes Wasser, welches in einem luftdicht verschlossenen Ge-<lb/>
fäße dem Erkalten ausgesetzt wird, indem es sich zusammen-<lb/>
zieht, einen leeren Raum erzeugen müsse, könne nichts beweisen.<lb/>
Denn wenn sich das Wasser, wie allerdings anzunehmen, selbst<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[205/0223] Scholastik: Innerweltliches Vacuum. fortbewegt, würde ein Vacuum veranlassen, bis eine andre an diese Stelle tritt. Doch ist dagegen zu bemerken, daß das Vacuum, als reine Negation, nicht ein positiver Erklärungs- grund für physikalische Thatsachen werden kann, weshalb R. Baco 1 auf diesen Beweis für die Sphärizität der Welt keinen Wert legt. Auch lassen sich die Theologen, welche eine vier- eckige Gestaltung des Empyreums lehren, durch diese Bedenken nicht von ihrer Meinung abbringen. Bei Annahme der Kugel- gestalt der Welt ist übrigens die Unmöglichkeit eines Vacuums zugleich ein Grund für die Einzigkeit der Welt; denn mehrere Welten müßten leere Räume zwischen sich haben. Bei der Frage nach der Existenz eines leeren Raumes zwischen den Körpern kommen einige praktische Erfahrungen in Betracht, welche der Scholastik willkommene empirische Beweise für den horror vacui zu bieten scheinen. Es sind dies alle diejenigen Beobachtungen, welche wir gegenwärtig durch den Druck der Luft erklären, also hauptsächlich die Er- scheinungen des Saugens und Pumpens, ferner die Thatsache, daß Flüssigkeit aus einer kleinen Öffnung am untern Ende eines Gefäßes nicht ausfließt, wenn nicht der Luft an andrer Stelle ein Zutritt gewährt wird. Zu Bedenken gibt der Fall Veranlassung, daß zwei ebene Platten voneinander gerissen werden, und es scheint, als ob im Momente der Trennung, da doch die Luft nicht mit unendlicher Geschwindigkeit in den Zwischenraum stürzen kann, ein Vacuum entstehen müsse. Dieses Bedenken widerlegt sich jedoch dadurch, daß die Trennung der Platten in Wirklichkeit nicht auf allen Punkten zugleich, sondern nur successive geschehen kann; gerade der Versuch, eine ebene Platte vom Wasser abzuheben, wobei die Platte vom Wasser benetzt bleibt, scheint ein neuer Beweis für die Unmöglichkeit des Vacuums. 2 Auch die Erwägung, daß warmes Wasser, welches in einem luftdicht verschlossenen Ge- fäße dem Erkalten ausgesetzt wird, indem es sich zusammen- zieht, einen leeren Raum erzeugen müsse, könne nichts beweisen. Denn wenn sich das Wasser, wie allerdings anzunehmen, selbst 1 Opus majus p. 70, 71 nach Werner, Wiener Sitzungsber. 1879. Bd. 94 S. 529, 530. 2 Vgl. u. a. Comment. Colleg. Conimbricensis in phys. Arist. lib. IV. c. 9. Quaest. 1. p. 77 u. 83. Ferner Scotus, Phys. 1. IV. qu. 13. Tom. II p. 269.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/223
Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/223>, abgerufen am 15.05.2024.