Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite

Scholastik: Horror vacui.
in diesem Falle zusammenzieht, so wird entweder das Gefäß
zerbrochen, oder es werden sich aus dem Wasser feine Exha-
lationen entwickeln, welche den freien Raum ausfüllen. Ähn-
liches würde eintreten, wenn man einen zusammengedrückten
Schlauch, der luftdicht an ein Gefäß mit Wasser geschlossen
ist, gewaltsam auseinanderziehen wollte, so daß das Wasser
gezwungen wäre, einen größeren Raum einzunehmen. Ein
Grund mehr gemütlicher Natur, der für das Vacuum sprechen
soll, daß nämlich die Körper, um einen leeren Raum zu ver-
meiden, häufig zu Bewegungen gezwungen würden, welche
ihrem natürlichen Triebe widersprächen, wird durch den Hin-
weis erledigt, daß das Interesse des Ganzen und Allgemeinen
den Sondertrieben der Einzelkörper vorgehe. Es herrsche in
der Welt überhaupt eine natürliche Disposition, den Zusammen-
hang der Körper aufrecht zu erhalten. Alle Dinge streben
nach Vereinigung und suchen sich möglichst zu konzentrieren,
so wie das Wasser sich selbst überlassen Kugelgestalt annimmt.
Dieser natürliche Zusammenhang der Körper sei die physische
Ursache, durch welche das Vacuum in der Natur vermieden
wird. Die Bewegungen, zu welchen die Körper zu diesem
Zwecke gezwungen werden, seien daher gar nicht in die Kate-
gorie der gewaltsamen Bewegungen, sondern mit besserem
Rechte in die der natürlichen Bewegungen zu rechnen. Dieses
Streben der Körper nach Vereinigung und gegenseitiger Be-
rührung erkläre auch, daß selbst nicht einmal vorübergehend,
für einen Augenblick ein Vacuum in der Natur entstehen könne,
während ein dauerndes Vacuum als überhaupt zwecklos und
zweckwidrig in der Natur gar nicht denkbar sei.

Aber noch ein Bedenken! Als Gott die heilige Jungfrau
von der Erde in den Himmel versetzte, mußte da nicht ein
leerer Raum in der Welt zurückbleiben? Hier hilft man sich
mit der Annahme, daß Gott dieses Vacuum als unnötig mit
neuerschaffenen Körpern angefüllt habe.1

Bei der dritten Art des Vacuums endlich, dem leeren
Raum zwischen den Teilchen der Körper, spielt die Frage
nach der Ernährung der Pflanzen und Tiere eine Hauptrolle.
Doch scheint sich in dieser Beziehung nichts zu finden, was

1 De Arriaga, Cursus philosophicus, Lugduni 1669. p. 540.

Scholastik: Horror vacui.
in diesem Falle zusammenzieht, so wird entweder das Gefäß
zerbrochen, oder es werden sich aus dem Wasser feine Exha-
lationen entwickeln, welche den freien Raum ausfüllen. Ähn-
liches würde eintreten, wenn man einen zusammengedrückten
Schlauch, der luftdicht an ein Gefäß mit Wasser geschlossen
ist, gewaltsam auseinanderziehen wollte, so daß das Wasser
gezwungen wäre, einen größeren Raum einzunehmen. Ein
Grund mehr gemütlicher Natur, der für das Vacuum sprechen
soll, daß nämlich die Körper, um einen leeren Raum zu ver-
meiden, häufig zu Bewegungen gezwungen würden, welche
ihrem natürlichen Triebe widersprächen, wird durch den Hin-
weis erledigt, daß das Interesse des Ganzen und Allgemeinen
den Sondertrieben der Einzelkörper vorgehe. Es herrsche in
der Welt überhaupt eine natürliche Disposition, den Zusammen-
hang der Körper aufrecht zu erhalten. Alle Dinge streben
nach Vereinigung und suchen sich möglichst zu konzentrieren,
so wie das Wasser sich selbst überlassen Kugelgestalt annimmt.
Dieser natürliche Zusammenhang der Körper sei die physische
Ursache, durch welche das Vacuum in der Natur vermieden
wird. Die Bewegungen, zu welchen die Körper zu diesem
Zwecke gezwungen werden, seien daher gar nicht in die Kate-
gorie der gewaltsamen Bewegungen, sondern mit besserem
Rechte in die der natürlichen Bewegungen zu rechnen. Dieses
Streben der Körper nach Vereinigung und gegenseitiger Be-
rührung erkläre auch, daß selbst nicht einmal vorübergehend,
für einen Augenblick ein Vacuum in der Natur entstehen könne,
während ein dauerndes Vacuum als überhaupt zwecklos und
zweckwidrig in der Natur gar nicht denkbar sei.

Aber noch ein Bedenken! Als Gott die heilige Jungfrau
von der Erde in den Himmel versetzte, mußte da nicht ein
leerer Raum in der Welt zurückbleiben? Hier hilft man sich
mit der Annahme, daß Gott dieses Vacuum als unnötig mit
neuerschaffenen Körpern angefüllt habe.1

Bei der dritten Art des Vacuums endlich, dem leeren
Raum zwischen den Teilchen der Körper, spielt die Frage
nach der Ernährung der Pflanzen und Tiere eine Hauptrolle.
Doch scheint sich in dieser Beziehung nichts zu finden, was

1 De Arriaga, Cursus philosophicus, Lugduni 1669. p. 540.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0224" n="206"/><fw place="top" type="header">Scholastik: <hi rendition="#i">Horror vacui.</hi></fw><lb/>
in diesem Falle zusammenzieht, so wird entweder das Gefäß<lb/>
zerbrochen, oder es werden sich aus dem Wasser feine Exha-<lb/>
lationen entwickeln, welche den freien Raum ausfüllen. Ähn-<lb/>
liches würde eintreten, wenn man einen zusammengedrückten<lb/>
Schlauch, der luftdicht an ein Gefäß mit Wasser geschlossen<lb/>
ist, gewaltsam auseinanderziehen wollte, so daß das Wasser<lb/>
gezwungen wäre, einen größeren Raum einzunehmen. Ein<lb/>
Grund mehr gemütlicher Natur, der für das Vacuum sprechen<lb/>
soll, daß nämlich die Körper, um einen leeren Raum zu ver-<lb/>
meiden, häufig zu Bewegungen gezwungen würden, welche<lb/>
ihrem natürlichen Triebe widersprächen, wird durch den Hin-<lb/>
weis erledigt, daß das Interesse des Ganzen und Allgemeinen<lb/>
den Sondertrieben der Einzelkörper vorgehe. Es herrsche in<lb/>
der Welt überhaupt eine natürliche Disposition, den Zusammen-<lb/>
hang der Körper aufrecht zu erhalten. Alle Dinge streben<lb/>
nach Vereinigung und suchen sich möglichst zu konzentrieren,<lb/>
so wie das Wasser sich selbst überlassen Kugelgestalt annimmt.<lb/>
Dieser natürliche Zusammenhang der Körper sei die physische<lb/>
Ursache, durch welche das Vacuum in der Natur vermieden<lb/>
wird. Die Bewegungen, zu welchen die Körper zu diesem<lb/>
Zwecke gezwungen werden, seien daher gar nicht in die Kate-<lb/>
gorie der gewaltsamen Bewegungen, sondern mit besserem<lb/>
Rechte in die der natürlichen Bewegungen zu rechnen. Dieses<lb/>
Streben der Körper nach Vereinigung und gegenseitiger Be-<lb/>
rührung erkläre auch, daß selbst nicht einmal vorübergehend,<lb/>
für einen Augenblick ein Vacuum in der Natur entstehen könne,<lb/>
während ein dauerndes Vacuum als überhaupt zwecklos und<lb/>
zweckwidrig in der Natur gar nicht denkbar sei.</p><lb/>
            <p>Aber noch ein Bedenken! Als Gott die heilige Jungfrau<lb/>
von der Erde in den Himmel versetzte, mußte da nicht ein<lb/>
leerer Raum in der Welt zurückbleiben? Hier hilft man sich<lb/>
mit der Annahme, daß Gott dieses Vacuum als unnötig mit<lb/>
neuerschaffenen Körpern angefüllt habe.<note place="foot" n="1"><hi rendition="#k">De Arriaga</hi>, <hi rendition="#i">Cursus philosophicus</hi>, Lugduni 1669. p. 540.</note></p><lb/>
            <p>Bei der dritten Art des Vacuums endlich, dem leeren<lb/>
Raum zwischen den Teilchen der Körper, spielt die Frage<lb/>
nach der Ernährung der Pflanzen und Tiere eine Hauptrolle.<lb/>
Doch scheint sich in dieser Beziehung nichts zu finden, was<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[206/0224] Scholastik: Horror vacui. in diesem Falle zusammenzieht, so wird entweder das Gefäß zerbrochen, oder es werden sich aus dem Wasser feine Exha- lationen entwickeln, welche den freien Raum ausfüllen. Ähn- liches würde eintreten, wenn man einen zusammengedrückten Schlauch, der luftdicht an ein Gefäß mit Wasser geschlossen ist, gewaltsam auseinanderziehen wollte, so daß das Wasser gezwungen wäre, einen größeren Raum einzunehmen. Ein Grund mehr gemütlicher Natur, der für das Vacuum sprechen soll, daß nämlich die Körper, um einen leeren Raum zu ver- meiden, häufig zu Bewegungen gezwungen würden, welche ihrem natürlichen Triebe widersprächen, wird durch den Hin- weis erledigt, daß das Interesse des Ganzen und Allgemeinen den Sondertrieben der Einzelkörper vorgehe. Es herrsche in der Welt überhaupt eine natürliche Disposition, den Zusammen- hang der Körper aufrecht zu erhalten. Alle Dinge streben nach Vereinigung und suchen sich möglichst zu konzentrieren, so wie das Wasser sich selbst überlassen Kugelgestalt annimmt. Dieser natürliche Zusammenhang der Körper sei die physische Ursache, durch welche das Vacuum in der Natur vermieden wird. Die Bewegungen, zu welchen die Körper zu diesem Zwecke gezwungen werden, seien daher gar nicht in die Kate- gorie der gewaltsamen Bewegungen, sondern mit besserem Rechte in die der natürlichen Bewegungen zu rechnen. Dieses Streben der Körper nach Vereinigung und gegenseitiger Be- rührung erkläre auch, daß selbst nicht einmal vorübergehend, für einen Augenblick ein Vacuum in der Natur entstehen könne, während ein dauerndes Vacuum als überhaupt zwecklos und zweckwidrig in der Natur gar nicht denkbar sei. Aber noch ein Bedenken! Als Gott die heilige Jungfrau von der Erde in den Himmel versetzte, mußte da nicht ein leerer Raum in der Welt zurückbleiben? Hier hilft man sich mit der Annahme, daß Gott dieses Vacuum als unnötig mit neuerschaffenen Körpern angefüllt habe. 1 Bei der dritten Art des Vacuums endlich, dem leeren Raum zwischen den Teilchen der Körper, spielt die Frage nach der Ernährung der Pflanzen und Tiere eine Hauptrolle. Doch scheint sich in dieser Beziehung nichts zu finden, was 1 De Arriaga, Cursus philosophicus, Lugduni 1669. p. 540.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/224
Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/224>, abgerufen am 15.05.2024.