Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite
Herons Eklekticismus. Vitruvius.

Beim Diamant könnte man zweifelhaft sein, ob er viel-
leicht keine Poren enthielte, weil er weder verbrannt noch
zerbrochen werden kann und, wenn man darauf schlägt, gänzlich
in Hammer und Ambos eindringt. Aber das geschieht nicht
wegen des Fehlens der Poren, sondern wegen seiner konti-
nuierlichen Dichtigkeit. Die Feuerteilchen sind nämlich dicker
als die Hohlräume im Stein und können daher nicht eindringen.
Daher führen sie auch keine Wärme in ihn ein.

Es ist somit bewiesen, daß sämtliche Körper -- auch die
Metalle -- ein gewisses Maß von leeren Hohlräumen enthalten,
das ihrer Natur entspricht. Jede Veränderung dieses natür-
lichen Maßes an Vacuum durch Vergrößerung oder Verklei-
nerung kann nur durch äußere Kräfte bewirkt werden und
strebt seinerseits wieder nach Ausgleichung.

Wir finden bei Heron vollständig die Korpuskulartheorie
des praktischen Physikers, wie sie auch im 17. Jahrhundert
wieder auftritt. Es kommt ihm nicht darauf an, seine physi-
kalische Hypothese in den Zusammenhang einheitlicher Natur-
erkenntnis zu bringen. Warum die Natur gerade bloß das
bestimmte Maß zerstreuten Vacuums, aber kein größeres zu-
läßt, wird nicht erörtert. Über die Beschaffenheit der Kor-
puskeln werden keine genaueren Angaben gemacht. Herons Ab-
sicht richtet sich nur darauf, eine Erklärung der speziellen pneuma-
tischen Probleme zu geben, mit welchen er sich gerade beschäftigt,
und dazu genügt es ihm, aus den Annahmen der Atomiker
ebensogut wie aus der Theorie der Mischung der Elemente
und aus der Lehre vom Abscheu der Natur vor einem größeren
Vacuum das herauszunehmen, was ihm im physikalischen Inter-
esse verwertbar erscheint.

Wo die Ansätze zu empirischer Physik auftreten, sehen
wir sie also zugleich mit Anfängen zur Korpuskulartheorie
verknüpft. Auch spätere Techniker setzen für ihre Erklärungen
derartige synkretistische Hypothesen ohne Bedenken voraus.
So erklärt Vitruv das Brennen und Löschen des Kalkes aus
einer korpuskularen Zusammensetzung der Grundstoffe.1 Die
Steine bestehen aus den vier Elementen, je nach ihren Eigen-
schaften in verschiedener Mischung. Wenn sie, in den Ofen

1 De architectura l. II. c. 5, 2. Ed. Lorentzen. Gotha 1857. S. 74--77.
Herons Eklekticismus. Vitruvius.

Beim Diamant könnte man zweifelhaft sein, ob er viel-
leicht keine Poren enthielte, weil er weder verbrannt noch
zerbrochen werden kann und, wenn man darauf schlägt, gänzlich
in Hammer und Ambos eindringt. Aber das geschieht nicht
wegen des Fehlens der Poren, sondern wegen seiner konti-
nuierlichen Dichtigkeit. Die Feuerteilchen sind nämlich dicker
als die Hohlräume im Stein und können daher nicht eindringen.
Daher führen sie auch keine Wärme in ihn ein.

Es ist somit bewiesen, daß sämtliche Körper — auch die
Metalle — ein gewisses Maß von leeren Hohlräumen enthalten,
das ihrer Natur entspricht. Jede Veränderung dieses natür-
lichen Maßes an Vacuum durch Vergrößerung oder Verklei-
nerung kann nur durch äußere Kräfte bewirkt werden und
strebt seinerseits wieder nach Ausgleichung.

Wir finden bei Heron vollständig die Korpuskulartheorie
des praktischen Physikers, wie sie auch im 17. Jahrhundert
wieder auftritt. Es kommt ihm nicht darauf an, seine physi-
kalische Hypothese in den Zusammenhang einheitlicher Natur-
erkenntnis zu bringen. Warum die Natur gerade bloß das
bestimmte Maß zerstreuten Vacuums, aber kein größeres zu-
läßt, wird nicht erörtert. Über die Beschaffenheit der Kor-
puskeln werden keine genaueren Angaben gemacht. Herons Ab-
sicht richtet sich nur darauf, eine Erklärung der speziellen pneuma-
tischen Probleme zu geben, mit welchen er sich gerade beschäftigt,
und dazu genügt es ihm, aus den Annahmen der Atomiker
ebensogut wie aus der Theorie der Mischung der Elemente
und aus der Lehre vom Abscheu der Natur vor einem größeren
Vacuum das herauszunehmen, was ihm im physikalischen Inter-
esse verwertbar erscheint.

Wo die Ansätze zu empirischer Physik auftreten, sehen
wir sie also zugleich mit Anfängen zur Korpuskulartheorie
verknüpft. Auch spätere Techniker setzen für ihre Erklärungen
derartige synkretistische Hypothesen ohne Bedenken voraus.
So erklärt Vitruv das Brennen und Löschen des Kalkes aus
einer korpuskularen Zusammensetzung der Grundstoffe.1 Die
Steine bestehen aus den vier Elementen, je nach ihren Eigen-
schaften in verschiedener Mischung. Wenn sie, in den Ofen

1 De architectura l. II. c. 5, 2. Ed. Lorentzen. Gotha 1857. S. 74—77.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0235" n="217"/>
            <fw place="top" type="header"><hi rendition="#k">Herons</hi> Eklekticismus. <hi rendition="#k">Vitruvius</hi>.</fw><lb/>
            <p>Beim Diamant könnte man zweifelhaft sein, ob er viel-<lb/>
leicht keine Poren enthielte, weil er weder verbrannt noch<lb/>
zerbrochen werden kann und, wenn man darauf schlägt, gänzlich<lb/>
in Hammer und Ambos eindringt. Aber das geschieht nicht<lb/>
wegen des Fehlens der Poren, sondern wegen seiner konti-<lb/>
nuierlichen Dichtigkeit. Die Feuerteilchen sind nämlich dicker<lb/>
als die Hohlräume im Stein und können daher nicht eindringen.<lb/>
Daher führen sie auch keine Wärme in ihn ein.</p><lb/>
            <p>Es ist somit bewiesen, daß sämtliche Körper &#x2014; auch die<lb/>
Metalle &#x2014; ein gewisses Maß von leeren Hohlräumen enthalten,<lb/>
das ihrer Natur entspricht. Jede Veränderung dieses natür-<lb/>
lichen Maßes an Vacuum durch Vergrößerung oder Verklei-<lb/>
nerung kann nur durch äußere Kräfte bewirkt werden und<lb/>
strebt seinerseits wieder nach Ausgleichung.</p><lb/>
            <p>Wir finden bei <hi rendition="#k">Heron</hi> vollständig die Korpuskulartheorie<lb/>
des praktischen Physikers, wie sie auch im 17. Jahrhundert<lb/>
wieder auftritt. Es kommt ihm nicht darauf an, seine physi-<lb/>
kalische Hypothese in den Zusammenhang einheitlicher Natur-<lb/>
erkenntnis zu bringen. Warum die Natur gerade bloß das<lb/>
bestimmte Maß zerstreuten Vacuums, aber kein größeres zu-<lb/>
läßt, wird nicht erörtert. Über die Beschaffenheit der Kor-<lb/>
puskeln werden keine genaueren Angaben gemacht. <hi rendition="#k">Herons</hi> Ab-<lb/>
sicht richtet sich nur darauf, eine Erklärung der speziellen pneuma-<lb/>
tischen Probleme zu geben, mit welchen er sich gerade beschäftigt,<lb/>
und dazu genügt es ihm, aus den Annahmen der Atomiker<lb/>
ebensogut wie aus der Theorie der Mischung der Elemente<lb/>
und aus der Lehre vom Abscheu der Natur vor einem größeren<lb/>
Vacuum das herauszunehmen, was ihm im physikalischen Inter-<lb/>
esse verwertbar erscheint.</p><lb/>
            <p>Wo die Ansätze zu empirischer Physik auftreten, sehen<lb/>
wir sie also zugleich mit Anfängen zur Korpuskulartheorie<lb/>
verknüpft. Auch spätere Techniker setzen für ihre Erklärungen<lb/>
derartige synkretistische Hypothesen ohne Bedenken voraus.<lb/>
So erklärt <hi rendition="#k">Vitruv</hi> das Brennen und Löschen des Kalkes aus<lb/>
einer korpuskularen Zusammensetzung der Grundstoffe.<note place="foot" n="1"><hi rendition="#i">De architectura</hi> l. II. c. 5, 2. Ed. <hi rendition="#k">Lorentzen</hi>. Gotha 1857. S. 74&#x2014;77.</note> Die<lb/>
Steine bestehen aus den vier Elementen, je nach ihren Eigen-<lb/>
schaften in verschiedener Mischung. Wenn sie, in den Ofen<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[217/0235] Herons Eklekticismus. Vitruvius. Beim Diamant könnte man zweifelhaft sein, ob er viel- leicht keine Poren enthielte, weil er weder verbrannt noch zerbrochen werden kann und, wenn man darauf schlägt, gänzlich in Hammer und Ambos eindringt. Aber das geschieht nicht wegen des Fehlens der Poren, sondern wegen seiner konti- nuierlichen Dichtigkeit. Die Feuerteilchen sind nämlich dicker als die Hohlräume im Stein und können daher nicht eindringen. Daher führen sie auch keine Wärme in ihn ein. Es ist somit bewiesen, daß sämtliche Körper — auch die Metalle — ein gewisses Maß von leeren Hohlräumen enthalten, das ihrer Natur entspricht. Jede Veränderung dieses natür- lichen Maßes an Vacuum durch Vergrößerung oder Verklei- nerung kann nur durch äußere Kräfte bewirkt werden und strebt seinerseits wieder nach Ausgleichung. Wir finden bei Heron vollständig die Korpuskulartheorie des praktischen Physikers, wie sie auch im 17. Jahrhundert wieder auftritt. Es kommt ihm nicht darauf an, seine physi- kalische Hypothese in den Zusammenhang einheitlicher Natur- erkenntnis zu bringen. Warum die Natur gerade bloß das bestimmte Maß zerstreuten Vacuums, aber kein größeres zu- läßt, wird nicht erörtert. Über die Beschaffenheit der Kor- puskeln werden keine genaueren Angaben gemacht. Herons Ab- sicht richtet sich nur darauf, eine Erklärung der speziellen pneuma- tischen Probleme zu geben, mit welchen er sich gerade beschäftigt, und dazu genügt es ihm, aus den Annahmen der Atomiker ebensogut wie aus der Theorie der Mischung der Elemente und aus der Lehre vom Abscheu der Natur vor einem größeren Vacuum das herauszunehmen, was ihm im physikalischen Inter- esse verwertbar erscheint. Wo die Ansätze zu empirischer Physik auftreten, sehen wir sie also zugleich mit Anfängen zur Korpuskulartheorie verknüpft. Auch spätere Techniker setzen für ihre Erklärungen derartige synkretistische Hypothesen ohne Bedenken voraus. So erklärt Vitruv das Brennen und Löschen des Kalkes aus einer korpuskularen Zusammensetzung der Grundstoffe. 1 Die Steine bestehen aus den vier Elementen, je nach ihren Eigen- schaften in verschiedener Mischung. Wenn sie, in den Ofen 1 De architectura l. II. c. 5, 2. Ed. Lorentzen. Gotha 1857. S. 74—77.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/235
Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/235>, abgerufen am 15.05.2024.