Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 2. Leipzig, 1833.

Bild:
<< vorherige Seite

ohne Weiber ist ein Rechenexempel, oder eine langweilge
Schulstube. Ich trat mit ihr ins offne Fenster und
sah in die lebendige Rue Honore! -- Das war ein
ganz ander Paris, wie es sich in ihren Augen wieder¬
spiegelte, von ihren Lippen wieder zu mir kam. Noch
will ihr die tolle Stadt nicht behagen, es geht ihr
Alles so wüst und regellos durcheinander; "ich bin
ein kleiner Pedant, sagte sie, wo ich die Regel nicht
entdecken kann, da wird mir unruhig zu Muth; ich habe
mich zum teutschen Gott der schönen Ordnung und
Harmonie, zu Göthe geflüchtet und seine Iphigenia,
seinen Tasso gelesen, um mir Ruhe zu verschaffen vor
dem Getümmel."

Liebenswürdiges Mädchen, wie harmonisch klang
das in das Streben meines jetzigen Wesens. Ich sprach
freudeglühend davon, wie angenehm es mich überrasche,
in den hüpfenden Jugendjahren solche Besonnenheit zu
finden, sie lächelte und meinte, Du habest sie oft des¬
halb geneckt und eine junge Matrone genannt. "Aber
-- fuhr sie fort -- hat das Weib bei seiner schönen un¬
betheiligten Stellung in der gesellschaftlichen Stellung et¬
was Passenderes zu erwählen als das Princip der Ord¬
nung, der Einfachheit und Ruhe? Einfachheit und Ruhe

ohne Weiber iſt ein Rechenexempel, oder eine langweilge
Schulſtube. Ich trat mit ihr ins offne Fenſter und
ſah in die lebendige Rue Honoré! — Das war ein
ganz ander Paris, wie es ſich in ihren Augen wieder¬
ſpiegelte, von ihren Lippen wieder zu mir kam. Noch
will ihr die tolle Stadt nicht behagen, es geht ihr
Alles ſo wüſt und regellos durcheinander; „ich bin
ein kleiner Pedant, ſagte ſie, wo ich die Regel nicht
entdecken kann, da wird mir unruhig zu Muth; ich habe
mich zum teutſchen Gott der ſchönen Ordnung und
Harmonie, zu Göthe geflüchtet und ſeine Iphigenia,
ſeinen Taſſo geleſen, um mir Ruhe zu verſchaffen vor
dem Getümmel.“

Liebenswürdiges Mädchen, wie harmoniſch klang
das in das Streben meines jetzigen Weſens. Ich ſprach
freudeglühend davon, wie angenehm es mich überraſche,
in den hüpfenden Jugendjahren ſolche Beſonnenheit zu
finden, ſie lächelte und meinte, Du habeſt ſie oft des¬
halb geneckt und eine junge Matrone genannt. „Aber
— fuhr ſie fort — hat das Weib bei ſeiner ſchönen un¬
betheiligten Stellung in der geſellſchaftlichen Stellung et¬
was Paſſenderes zu erwählen als das Princip der Ord¬
nung, der Einfachheit und Ruhe? Einfachheit und Ruhe

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0185" n="173"/>
ohne Weiber i&#x017F;t ein Rechenexempel, oder eine langweilge<lb/>
Schul&#x017F;tube. Ich trat mit ihr ins offne Fen&#x017F;ter und<lb/>
&#x017F;ah in die lebendige <hi rendition="#aq">Rue Honoré</hi>! &#x2014; Das war ein<lb/>
ganz ander Paris, wie es &#x017F;ich in ihren Augen wieder¬<lb/>
&#x017F;piegelte, von ihren Lippen wieder zu mir kam. Noch<lb/>
will ihr die tolle Stadt nicht behagen, es geht ihr<lb/>
Alles &#x017F;o wü&#x017F;t und regellos durcheinander; &#x201E;ich bin<lb/>
ein kleiner Pedant, &#x017F;agte &#x017F;ie, wo ich die Regel nicht<lb/>
entdecken kann, da wird mir unruhig zu Muth; ich habe<lb/>
mich zum teut&#x017F;chen Gott der &#x017F;chönen Ordnung und<lb/>
Harmonie, zu Göthe geflüchtet und &#x017F;eine Iphigenia,<lb/>
&#x017F;einen Ta&#x017F;&#x017F;o gele&#x017F;en, um mir Ruhe zu ver&#x017F;chaffen vor<lb/>
dem Getümmel.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Liebenswürdiges Mädchen, wie harmoni&#x017F;ch klang<lb/>
das in das Streben meines jetzigen We&#x017F;ens. Ich &#x017F;prach<lb/>
freudeglühend davon, wie angenehm es mich überra&#x017F;che,<lb/>
in den hüpfenden Jugendjahren &#x017F;olche Be&#x017F;onnenheit zu<lb/>
finden, &#x017F;ie lächelte und meinte, Du habe&#x017F;t &#x017F;ie oft des¬<lb/>
halb geneckt und eine junge Matrone genannt. &#x201E;Aber<lb/>
&#x2014; fuhr &#x017F;ie fort &#x2014; hat das Weib bei &#x017F;einer &#x017F;chönen un¬<lb/>
betheiligten Stellung in der ge&#x017F;ell&#x017F;chaftlichen Stellung et¬<lb/>
was Pa&#x017F;&#x017F;enderes zu erwählen als das Princip der Ord¬<lb/>
nung, der Einfachheit und Ruhe? Einfachheit und Ruhe<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[173/0185] ohne Weiber iſt ein Rechenexempel, oder eine langweilge Schulſtube. Ich trat mit ihr ins offne Fenſter und ſah in die lebendige Rue Honoré! — Das war ein ganz ander Paris, wie es ſich in ihren Augen wieder¬ ſpiegelte, von ihren Lippen wieder zu mir kam. Noch will ihr die tolle Stadt nicht behagen, es geht ihr Alles ſo wüſt und regellos durcheinander; „ich bin ein kleiner Pedant, ſagte ſie, wo ich die Regel nicht entdecken kann, da wird mir unruhig zu Muth; ich habe mich zum teutſchen Gott der ſchönen Ordnung und Harmonie, zu Göthe geflüchtet und ſeine Iphigenia, ſeinen Taſſo geleſen, um mir Ruhe zu verſchaffen vor dem Getümmel.“ Liebenswürdiges Mädchen, wie harmoniſch klang das in das Streben meines jetzigen Weſens. Ich ſprach freudeglühend davon, wie angenehm es mich überraſche, in den hüpfenden Jugendjahren ſolche Beſonnenheit zu finden, ſie lächelte und meinte, Du habeſt ſie oft des¬ halb geneckt und eine junge Matrone genannt. „Aber — fuhr ſie fort — hat das Weib bei ſeiner ſchönen un¬ betheiligten Stellung in der geſellſchaftlichen Stellung et¬ was Paſſenderes zu erwählen als das Princip der Ord¬ nung, der Einfachheit und Ruhe? Einfachheit und Ruhe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0102_1833
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0102_1833/185
Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 2. Leipzig, 1833, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0102_1833/185>, abgerufen am 30.04.2024.