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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 2. Leipzig, 1833.

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natorium mit ihm an und legt ihm schwierige Fälle ror.
William ist natürlich entzückt, seinen Kram so anzu¬
bringen und wird lächerlich hochmüthig; solche Geduld
ist ihm lange Zeit von verständigen Leuten nicht gewor¬
den. Die Fürstin schloß meist die Gespräche damit, daß
sie plötzlich kopfschüttelnd, und lächelnd aufstand, vor sich
hinsprach: "Ja, ja, das sind schlimme Dinge." Nur
das Lächeln sah William nie und er fiel natürlich heut'
aus seines Himmels Wolken, als Konstantie die Si¬
tzung mit den Worten aufhob: "Mein lieber Herr Wil¬
liam, das ist lauter Büchermoral, die bestaubt aussieht
in dem Sonnenschein, welcher in unsern modernen Zim¬
mern lagert. Unsre Menschen sind nicht mehr die Vor¬
dersätze zu Ihren Schlüssen, die Dinge können also un¬
möglich zu einander passen. Es giebt eine Moral, die in
die Poren des leichtsinnigen Burschen dringt; aber die holt
man nicht aus dem Grunde eines alten abgestandenen
Gewässers, man greift in die Fluthen, in welchen jener
leichtsinnige Bursch eben treibt; nicht in Syrien heilen
kluge Leute den Pariser, sondern in Paris. Ihr Zeug
ist langweilig wie alles Unzeitige." -- Beim Zeus, es
ist ein verständig Weib, und der Blick, der mich in
diesem Augenblicke aus ihren blitzenden Augen traf, er¬

natorium mit ihm an und legt ihm ſchwierige Fälle ror.
William iſt natürlich entzückt, ſeinen Kram ſo anzu¬
bringen und wird lächerlich hochmüthig; ſolche Geduld
iſt ihm lange Zeit von verſtändigen Leuten nicht gewor¬
den. Die Fürſtin ſchloß meiſt die Geſpräche damit, daß
ſie plötzlich kopfſchüttelnd, und lächelnd aufſtand, vor ſich
hinſprach: „Ja, ja, das ſind ſchlimme Dinge.“ Nur
das Lächeln ſah William nie und er fiel natürlich heut'
aus ſeines Himmels Wolken, als Konſtantie die Si¬
tzung mit den Worten aufhob: „Mein lieber Herr Wil¬
liam, das iſt lauter Büchermoral, die beſtaubt ausſieht
in dem Sonnenſchein, welcher in unſern modernen Zim¬
mern lagert. Unſre Menſchen ſind nicht mehr die Vor¬
derſätze zu Ihren Schlüſſen, die Dinge können alſo un¬
möglich zu einander paſſen. Es giebt eine Moral, die in
die Poren des leichtſinnigen Burſchen dringt; aber die holt
man nicht aus dem Grunde eines alten abgeſtandenen
Gewäſſers, man greift in die Fluthen, in welchen jener
leichtſinnige Burſch eben treibt; nicht in Syrien heilen
kluge Leute den Pariſer, ſondern in Paris. Ihr Zeug
iſt langweilig wie alles Unzeitige.“ — Beim Zeus, es
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[85/0097] natorium mit ihm an und legt ihm ſchwierige Fälle ror. William iſt natürlich entzückt, ſeinen Kram ſo anzu¬ bringen und wird lächerlich hochmüthig; ſolche Geduld iſt ihm lange Zeit von verſtändigen Leuten nicht gewor¬ den. Die Fürſtin ſchloß meiſt die Geſpräche damit, daß ſie plötzlich kopfſchüttelnd, und lächelnd aufſtand, vor ſich hinſprach: „Ja, ja, das ſind ſchlimme Dinge.“ Nur das Lächeln ſah William nie und er fiel natürlich heut' aus ſeines Himmels Wolken, als Konſtantie die Si¬ tzung mit den Worten aufhob: „Mein lieber Herr Wil¬ liam, das iſt lauter Büchermoral, die beſtaubt ausſieht in dem Sonnenſchein, welcher in unſern modernen Zim¬ mern lagert. Unſre Menſchen ſind nicht mehr die Vor¬ derſätze zu Ihren Schlüſſen, die Dinge können alſo un¬ möglich zu einander paſſen. Es giebt eine Moral, die in die Poren des leichtſinnigen Burſchen dringt; aber die holt man nicht aus dem Grunde eines alten abgeſtandenen Gewäſſers, man greift in die Fluthen, in welchen jener leichtſinnige Burſch eben treibt; nicht in Syrien heilen kluge Leute den Pariſer, ſondern in Paris. Ihr Zeug iſt langweilig wie alles Unzeitige.“ — Beim Zeus, es iſt ein verſtändig Weib, und der Blick, der mich in dieſem Augenblicke aus ihren blitzenden Augen traf, er¬

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Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 2. Leipzig, 1833, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0102_1833/97>, abgerufen am 27.04.2024.