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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 2. Leipzig, 1833.

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innerte mich an jene Nächte neben der Bibiliothek, an
jene Herrscherblicke, mit denen sie mich regierte. Sie
sah, was in mir vorging, und wie ein schneller Wind¬
stoß flog jene nächtliche Liebe über unsre Augen und
Lippen. Wir hätten uns umarmt, wären wir allein
gewesen. William stand so zerschmettert da, daß ich
ihn das erste Mal in meinem Leben bedauert habe.
Die Fürstin hatte am Fenster gesessen, er vor ihr gestan¬
den, Julia saß auf dem Sopha und hatte ein großes
Gemälde vor sich, nach welchem sie einen Teppich stickte.
Ich saß ihr gegenüber am Tisch und erzählte ihr von
Spanien, von der Einsamkeit der öden Straßen, von
dem romantischen Zauber dieses Alleinseins und dergleichen;
sie war freundlicher als gewöhnlich und ließ zuweilen
die Nadel ruhen, indem sie forschend auf mich hinsah.
Dies träumerische Zuhören gab ihr einen so rührend
unschuldigen, harmlosen Ausdruck, daß ich gar zu gern
zu ihr gesprungen wäre. Ich wünschte Konstantien
und William zum Henker. Bald darauf schloß sich das
Gespräch, wie ich Dir erzählte. Die Fürstin ging, und
gleich darauf auch William. Julia ward unruhig, und
machte Miene ihre Arbeit zusammenzulegen und aufzu¬
brechen; sie scheint wie etwas Unheimliches das Allein¬

innerte mich an jene Nächte neben der Bibiliothek, an
jene Herrſcherblicke, mit denen ſie mich regierte. Sie
ſah, was in mir vorging, und wie ein ſchneller Wind¬
ſtoß flog jene nächtliche Liebe über unſre Augen und
Lippen. Wir hätten uns umarmt, wären wir allein
geweſen. William ſtand ſo zerſchmettert da, daß ich
ihn das erſte Mal in meinem Leben bedauert habe.
Die Fürſtin hatte am Fenſter geſeſſen, er vor ihr geſtan¬
den, Julia ſaß auf dem Sopha und hatte ein großes
Gemälde vor ſich, nach welchem ſie einen Teppich ſtickte.
Ich ſaß ihr gegenüber am Tiſch und erzählte ihr von
Spanien, von der Einſamkeit der öden Straßen, von
dem romantiſchen Zauber dieſes Alleinſeins und dergleichen;
ſie war freundlicher als gewöhnlich und ließ zuweilen
die Nadel ruhen, indem ſie forſchend auf mich hinſah.
Dies träumeriſche Zuhören gab ihr einen ſo rührend
unſchuldigen, harmloſen Ausdruck, daß ich gar zu gern
zu ihr geſprungen wäre. Ich wünſchte Konſtantien
und William zum Henker. Bald darauf ſchloß ſich das
Geſpräch, wie ich Dir erzählte. Die Fürſtin ging, und
gleich darauf auch William. Julia ward unruhig, und
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brechen; ſie ſcheint wie etwas Unheimliches das Allein¬

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[86/0098] innerte mich an jene Nächte neben der Bibiliothek, an jene Herrſcherblicke, mit denen ſie mich regierte. Sie ſah, was in mir vorging, und wie ein ſchneller Wind¬ ſtoß flog jene nächtliche Liebe über unſre Augen und Lippen. Wir hätten uns umarmt, wären wir allein geweſen. William ſtand ſo zerſchmettert da, daß ich ihn das erſte Mal in meinem Leben bedauert habe. Die Fürſtin hatte am Fenſter geſeſſen, er vor ihr geſtan¬ den, Julia ſaß auf dem Sopha und hatte ein großes Gemälde vor ſich, nach welchem ſie einen Teppich ſtickte. Ich ſaß ihr gegenüber am Tiſch und erzählte ihr von Spanien, von der Einſamkeit der öden Straßen, von dem romantiſchen Zauber dieſes Alleinſeins und dergleichen; ſie war freundlicher als gewöhnlich und ließ zuweilen die Nadel ruhen, indem ſie forſchend auf mich hinſah. Dies träumeriſche Zuhören gab ihr einen ſo rührend unſchuldigen, harmloſen Ausdruck, daß ich gar zu gern zu ihr geſprungen wäre. Ich wünſchte Konſtantien und William zum Henker. Bald darauf ſchloß ſich das Geſpräch, wie ich Dir erzählte. Die Fürſtin ging, und gleich darauf auch William. Julia ward unruhig, und machte Miene ihre Arbeit zuſammenzulegen und aufzu¬ brechen; ſie ſcheint wie etwas Unheimliches das Allein¬

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Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 2. Leipzig, 1833, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0102_1833/98>, abgerufen am 28.04.2024.