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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 2. Halle, 1792.

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Köster verfolgte mich, so sehr ich mich bemühte
auszureissen. Endlich fuhr ich in ein Loch, worin
ich noch niemals gewesen war. Köster fuhr mir nach.
Es saßen Gnoten, Soldaten und Menscher drin l).
Die Leute waren gewaltig lustig, tanzten, hüpften,
spielten, thaten schön und zeigten auch keine Spur
von Gram oder Unmuth. O wie beneidete ich diese
Gnoten und diese Soldaten! -- Soldaten, und
vergnügt? -- Und du Magister, und so elend? --
Soldaten? -- Dieser Gedanke umfaßte meine ganze
Seele, hallte anhaltend wieder, und vertiefte mich
immer mehr in mich. -- Köster forderte Brandte-
wein, setzte sich, fing an lateinisch zu sprechen, und
drang jetzt dringender in mich, um die Ursache mei-
nes Kummers mir zu entlocken: aber ich war stumm:
es schwärmten dunkle Bilder in mir herum, von
dem, was ich thun wollte. So sehr auch Köster
zudrang, so sehr verhärtete ich mich. Endlich sagte
er: Hör' Bruder, ich habe noch deine particulas
graecas
: vergieb, daß ich sie noch habe. -- Es
hat nichts zu sagen, erwiederte ich. Wenn du je-
manden weist, der sie kaufen will, so gieb sie hin, und

l) Dieses für mich und meine Psychologie so merkwür-
dige Loch war eine Branteweinskneipe auf dem soge-
nannten Bechershofe zu Halle am Markte. Man nann-
te diese Kneipe gewöhnlich die Knochenkammer oder
Sankt Lukas Residenz.

Koͤſter verfolgte mich, ſo ſehr ich mich bemuͤhte
auszureiſſen. Endlich fuhr ich in ein Loch, worin
ich noch niemals geweſen war. Koͤſter fuhr mir nach.
Es ſaßen Gnoten, Soldaten und Menſcher drin l).
Die Leute waren gewaltig luſtig, tanzten, huͤpften,
ſpielten, thaten ſchoͤn und zeigten auch keine Spur
von Gram oder Unmuth. O wie beneidete ich dieſe
Gnoten und dieſe Soldaten! — Soldaten, und
vergnuͤgt? — Und du Magiſter, und ſo elend? —
Soldaten? — Dieſer Gedanke umfaßte meine ganze
Seele, hallte anhaltend wieder, und vertiefte mich
immer mehr in mich. — Koͤſter forderte Brandte-
wein, ſetzte ſich, fing an lateiniſch zu ſprechen, und
drang jetzt dringender in mich, um die Urſache mei-
nes Kummers mir zu entlocken: aber ich war ſtumm:
es ſchwaͤrmten dunkle Bilder in mir herum, von
dem, was ich thun wollte. So ſehr auch Koͤſter
zudrang, ſo ſehr verhaͤrtete ich mich. Endlich ſagte
er: Hoͤr' Bruder, ich habe noch deine particulas
graecas
: vergieb, daß ich ſie noch habe. — Es
hat nichts zu ſagen, erwiederte ich. Wenn du je-
manden weiſt, der ſie kaufen will, ſo gieb ſie hin, und

l) Dieſes fuͤr mich und meine Pſychologie ſo merkwuͤr-
dige Loch war eine Branteweinskneipe auf dem ſoge-
nannten Bechershofe zu Halle am Markte. Man nann-
te dieſe Kneipe gewoͤhnlich die Knochenkammer oder
Sankt Lukas Reſidenz.
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[230[240]/0242] Koͤſter verfolgte mich, ſo ſehr ich mich bemuͤhte auszureiſſen. Endlich fuhr ich in ein Loch, worin ich noch niemals geweſen war. Koͤſter fuhr mir nach. Es ſaßen Gnoten, Soldaten und Menſcher drin l). Die Leute waren gewaltig luſtig, tanzten, huͤpften, ſpielten, thaten ſchoͤn und zeigten auch keine Spur von Gram oder Unmuth. O wie beneidete ich dieſe Gnoten und dieſe Soldaten! — Soldaten, und vergnuͤgt? — Und du Magiſter, und ſo elend? — Soldaten? — Dieſer Gedanke umfaßte meine ganze Seele, hallte anhaltend wieder, und vertiefte mich immer mehr in mich. — Koͤſter forderte Brandte- wein, ſetzte ſich, fing an lateiniſch zu ſprechen, und drang jetzt dringender in mich, um die Urſache mei- nes Kummers mir zu entlocken: aber ich war ſtumm: es ſchwaͤrmten dunkle Bilder in mir herum, von dem, was ich thun wollte. So ſehr auch Koͤſter zudrang, ſo ſehr verhaͤrtete ich mich. Endlich ſagte er: Hoͤr' Bruder, ich habe noch deine particulas graecas: vergieb, daß ich ſie noch habe. — Es hat nichts zu ſagen, erwiederte ich. Wenn du je- manden weiſt, der ſie kaufen will, ſo gieb ſie hin, und l) Dieſes fuͤr mich und meine Pſychologie ſo merkwuͤr- dige Loch war eine Branteweinskneipe auf dem ſoge- nannten Bechershofe zu Halle am Markte. Man nann- te dieſe Kneipe gewoͤhnlich die Knochenkammer oder Sankt Lukas Reſidenz.

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Zitationshilfe: Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 2. Halle, 1792, S. 230[240]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben02_1792/242>, abgerufen am 12.05.2024.