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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 2. Halle, 1792.

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hört, so rief er: aha! nun weiß ichs. Sie sind
der Sohn des guten Laukhards, den ich vor langer
Zeit recht gut gekannt habe. Was macht denn Ihr
Vater? -- Ich gab ihm alle Auskunft, und Herr
Semler freute sich, daß der alte Metaphysikus noch
recht gesund wäre. Wir waren, fuhr er fort, ra-
tione studiorum
niemals so recht einig: er gab
mir gern zu, daß ein richtiges Studium der Ge-
schichte und der Philologie allerdings einem Theolo-
gen nöthig sey: er hat sich auch, das muß ich ihm
nachrühmen, nicht faul in dergleichen umgesehen;
aber da hatte er seine Wolfische Metaphysik, das
war sein Steckenpferd, dadurch glaubte er alle
Wahrheit zu finden und alle Irrthümer widerlegen
zu können. Gebe Gott! daß es ihm gelungen ist,
die einzige Wahrheit gefunden zu haben: daß alles,
was uns bessert und beruhigt, für uns nüzlich und
folglich wahr ist. Aber wenn ich nach Briefen schlies-
sen soll, die er mir zuweilen schrieb, so muß ich denken,
er hat fortgegrübelt, und sich ein System erbauet,
das nicht fern ist vom kalten Spinozismus, der das
Herz so leer läst und schwache Seelen leicht zu Misan-
tropen machen kann. Ich vermuthe aber, daß das
leztere bei ihrem alten Vater der Fall nicht ist: er war
dazu immer zu human und zu liberal.

Ich fand dieses Urtheil des rechtschaffnen
Doctors über meinen Vater sehr gegründet und

hoͤrt, ſo rief er: aha! nun weiß ichs. Sie ſind
der Sohn des guten Laukhards, den ich vor langer
Zeit recht gut gekannt habe. Was macht denn Ihr
Vater? — Ich gab ihm alle Auskunft, und Herr
Semler freute ſich, daß der alte Metaphyſikus noch
recht geſund waͤre. Wir waren, fuhr er fort, ra-
tione ſtudiorum
niemals ſo recht einig: er gab
mir gern zu, daß ein richtiges Studium der Ge-
ſchichte und der Philologie allerdings einem Theolo-
gen noͤthig ſey: er hat ſich auch, das muß ich ihm
nachruͤhmen, nicht faul in dergleichen umgeſehen;
aber da hatte er ſeine Wolfiſche Metaphyſik, das
war ſein Steckenpferd, dadurch glaubte er alle
Wahrheit zu finden und alle Irrthuͤmer widerlegen
zu koͤnnen. Gebe Gott! daß es ihm gelungen iſt,
die einzige Wahrheit gefunden zu haben: daß alles,
was uns beſſert und beruhigt, fuͤr uns nuͤzlich und
folglich wahr iſt. Aber wenn ich nach Briefen ſchlieſ-
ſen ſoll, die er mir zuweilen ſchrieb, ſo muß ich denken,
er hat fortgegruͤbelt, und ſich ein Syſtem erbauet,
das nicht fern iſt vom kalten Spinozismus, der das
Herz ſo leer laͤſt und ſchwache Seelen leicht zu Miſan-
tropen machen kann. Ich vermuthe aber, daß das
leztere bei ihrem alten Vater der Fall nicht iſt: er war
dazu immer zu human und zu liberal.

Ich fand dieſes Urtheil des rechtſchaffnen
Doctors uͤber meinen Vater ſehr gegruͤndet und

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[89/0091] hoͤrt, ſo rief er: aha! nun weiß ichs. Sie ſind der Sohn des guten Laukhards, den ich vor langer Zeit recht gut gekannt habe. Was macht denn Ihr Vater? — Ich gab ihm alle Auskunft, und Herr Semler freute ſich, daß der alte Metaphyſikus noch recht geſund waͤre. Wir waren, fuhr er fort, ra- tione ſtudiorum niemals ſo recht einig: er gab mir gern zu, daß ein richtiges Studium der Ge- ſchichte und der Philologie allerdings einem Theolo- gen noͤthig ſey: er hat ſich auch, das muß ich ihm nachruͤhmen, nicht faul in dergleichen umgeſehen; aber da hatte er ſeine Wolfiſche Metaphyſik, das war ſein Steckenpferd, dadurch glaubte er alle Wahrheit zu finden und alle Irrthuͤmer widerlegen zu koͤnnen. Gebe Gott! daß es ihm gelungen iſt, die einzige Wahrheit gefunden zu haben: daß alles, was uns beſſert und beruhigt, fuͤr uns nuͤzlich und folglich wahr iſt. Aber wenn ich nach Briefen ſchlieſ- ſen ſoll, die er mir zuweilen ſchrieb, ſo muß ich denken, er hat fortgegruͤbelt, und ſich ein Syſtem erbauet, das nicht fern iſt vom kalten Spinozismus, der das Herz ſo leer laͤſt und ſchwache Seelen leicht zu Miſan- tropen machen kann. Ich vermuthe aber, daß das leztere bei ihrem alten Vater der Fall nicht iſt: er war dazu immer zu human und zu liberal. Ich fand dieſes Urtheil des rechtſchaffnen Doctors uͤber meinen Vater ſehr gegruͤndet und

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Zitationshilfe: Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 2. Halle, 1792, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben02_1792/91>, abgerufen am 25.04.2024.