Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,1. Leipzig, 1797.

Bild:
<< vorherige Seite

öffentlichen Häuser zu besuchen und da den Debat-
ten der Leute zuzuhören, oder die angeschlaguen
Zettel an den Ecken der Straßen zu lesen, oder in
Weinschenken mich mit Leuten von Kopf zu unter-
halten, um das jetzige Frankreich, soviel als mög-
lich war, kennen zu lernen, auch die Maschinerie
genau zu erforschen, wodurch es das geworden ist,
was es jezt ist, u. dgl. Diese Art von psycholo-
gisch-politischem Studium trieb ich von Ort zu
Ort, verglich meine Ausbeute mit der Geschichte,
und fand dabey soviel Unterhaltung, daß es mir
zum Bedürfniß geworden war. Dieses Bedürfniß
konnte ich jezt nicht befriedigen, und meine Wir-
thin, eine Wittfrau, ging oft weg, und ließ mich
allein; und wenn sie auch da war, so wußte sie
doch wenig zu erzählen.

Nach ohngefähr 10 oder 12 Tagen entschloß ich
mich, Lyon zu verlassen: meine Freunde, die Oh-
nehosen, versicherten mich, solche Wunden heilten
von selbst, wenn man nur Pflaster darauf legte.
Die Wirthin begehrte auch, daß ich aufs Hospital
gehen sollte, weil sie befürchtete, mein Aufenthalt
in ihrem Hause mögte ihr Ungelegenheit zuziehen.
Ich entdeckte meinen Vorsatz dem Arzte, der ihn
aber stracks verwarf, und mir rieth, mich im La-
zarethe vollends kuriren zu lassen. Der Mann

oͤffentlichen Haͤuſer zu beſuchen und da den Debat-
ten der Leute zuzuhoͤren, oder die angeſchlaguen
Zettel an den Ecken der Straßen zu leſen, oder in
Weinſchenken mich mit Leuten von Kopf zu unter-
halten, um das jetzige Frankreich, ſoviel als moͤg-
lich war, kennen zu lernen, auch die Maſchinerie
genau zu erforſchen, wodurch es das geworden iſt,
was es jezt iſt, u. dgl. Dieſe Art von pſycholo-
giſch-politiſchem Studium trieb ich von Ort zu
Ort, verglich meine Ausbeute mit der Geſchichte,
und fand dabey ſoviel Unterhaltung, daß es mir
zum Beduͤrfniß geworden war. Dieſes Beduͤrfniß
konnte ich jezt nicht befriedigen, und meine Wir-
thin, eine Wittfrau, ging oft weg, und ließ mich
allein; und wenn ſie auch da war, ſo wußte ſie
doch wenig zu erzaͤhlen.

Nach ohngefaͤhr 10 oder 12 Tagen entſchloß ich
mich, Lyon zu verlaſſen: meine Freunde, die Oh-
nehoſen, verſicherten mich, ſolche Wunden heilten
von ſelbſt, wenn man nur Pflaſter darauf legte.
Die Wirthin begehrte auch, daß ich aufs Hoſpital
gehen ſollte, weil ſie befuͤrchtete, mein Aufenthalt
in ihrem Hauſe moͤgte ihr Ungelegenheit zuziehen.
Ich entdeckte meinen Vorſatz dem Arzte, der ihn
aber ſtracks verwarf, und mir rieth, mich im La-
zarethe vollends kuriren zu laſſen. Der Mann

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0438" n="434"/>
o&#x0364;ffentlichen Ha&#x0364;u&#x017F;er zu be&#x017F;uchen und da den Debat-<lb/>
ten der Leute zuzuho&#x0364;ren, oder die ange&#x017F;chlaguen<lb/>
Zettel an den Ecken der Straßen zu le&#x017F;en, oder in<lb/>
Wein&#x017F;chenken mich mit Leuten von Kopf zu unter-<lb/>
halten, um das jetzige Frankreich, &#x017F;oviel als mo&#x0364;g-<lb/>
lich war, kennen zu lernen, auch die Ma&#x017F;chinerie<lb/>
genau zu erfor&#x017F;chen, wodurch es das geworden i&#x017F;t,<lb/>
was es jezt i&#x017F;t, u. dgl. Die&#x017F;e Art von p&#x017F;ycholo-<lb/>
gi&#x017F;ch-politi&#x017F;chem Studium trieb ich von Ort zu<lb/>
Ort, verglich meine Ausbeute mit der Ge&#x017F;chichte,<lb/>
und fand dabey &#x017F;oviel Unterhaltung, daß es mir<lb/>
zum Bedu&#x0364;rfniß geworden war. Die&#x017F;es Bedu&#x0364;rfniß<lb/>
konnte ich jezt nicht befriedigen, und meine Wir-<lb/>
thin, eine Wittfrau, ging oft weg, und ließ mich<lb/>
allein; und wenn &#x017F;ie auch da war, &#x017F;o wußte &#x017F;ie<lb/>
doch wenig zu erza&#x0364;hlen.</p><lb/>
        <p>Nach ohngefa&#x0364;hr 10 oder 12 Tagen ent&#x017F;chloß ich<lb/>
mich, Lyon zu verla&#x017F;&#x017F;en: meine Freunde, die Oh-<lb/>
neho&#x017F;en, ver&#x017F;icherten mich, &#x017F;olche Wunden heilten<lb/>
von &#x017F;elb&#x017F;t, wenn man nur Pfla&#x017F;ter darauf legte.<lb/>
Die Wirthin begehrte auch, daß ich aufs Ho&#x017F;pital<lb/>
gehen &#x017F;ollte, weil &#x017F;ie befu&#x0364;rchtete, mein Aufenthalt<lb/>
in ihrem Hau&#x017F;e mo&#x0364;gte ihr Ungelegenheit zuziehen.<lb/>
Ich entdeckte meinen Vor&#x017F;atz dem Arzte, der ihn<lb/>
aber &#x017F;tracks verwarf, und mir rieth, mich im La-<lb/>
zarethe vollends kuriren zu la&#x017F;&#x017F;en. Der Mann<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[434/0438] oͤffentlichen Haͤuſer zu beſuchen und da den Debat- ten der Leute zuzuhoͤren, oder die angeſchlaguen Zettel an den Ecken der Straßen zu leſen, oder in Weinſchenken mich mit Leuten von Kopf zu unter- halten, um das jetzige Frankreich, ſoviel als moͤg- lich war, kennen zu lernen, auch die Maſchinerie genau zu erforſchen, wodurch es das geworden iſt, was es jezt iſt, u. dgl. Dieſe Art von pſycholo- giſch-politiſchem Studium trieb ich von Ort zu Ort, verglich meine Ausbeute mit der Geſchichte, und fand dabey ſoviel Unterhaltung, daß es mir zum Beduͤrfniß geworden war. Dieſes Beduͤrfniß konnte ich jezt nicht befriedigen, und meine Wir- thin, eine Wittfrau, ging oft weg, und ließ mich allein; und wenn ſie auch da war, ſo wußte ſie doch wenig zu erzaͤhlen. Nach ohngefaͤhr 10 oder 12 Tagen entſchloß ich mich, Lyon zu verlaſſen: meine Freunde, die Oh- nehoſen, verſicherten mich, ſolche Wunden heilten von ſelbſt, wenn man nur Pflaſter darauf legte. Die Wirthin begehrte auch, daß ich aufs Hoſpital gehen ſollte, weil ſie befuͤrchtete, mein Aufenthalt in ihrem Hauſe moͤgte ihr Ungelegenheit zuziehen. Ich entdeckte meinen Vorſatz dem Arzte, der ihn aber ſtracks verwarf, und mir rieth, mich im La- zarethe vollends kuriren zu laſſen. Der Mann

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben0401_1797
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben0401_1797/438
Zitationshilfe: Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,1. Leipzig, 1797, S. 434. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben0401_1797/438>, abgerufen am 08.05.2024.