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Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778.

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V. Abschnitt. I. Fragment.
Personen erscheint. So wenigstens scheint es mir nach meiner bisherigen Erfahrung. Einzelne
Gesichter öffnen uns eher die Augen für das Charakteristische ganzer Nationen, als ganze Nationen
für das Nationale einzelner Gesichter.*) Durch Beobachtung aller Fremden, die mir begegnen,
habe ich jedoch nichts weiter herausgebracht, als folgendes unendlich wenige.

Die
*) [Spaltenumbruch] Jch glaube, daß ein feiner Geruch die Nationen
riechen -- und vielleicht eher unterscheiden könnte, als
das Gesicht. Jch habe zwar keinen so feinen Geruch,
wie einer meiner Brüder, dessen Bild auch im dritten
Bande dieser Fragmente vorkömmt, von sich versichert,
daß er einen an einem Zänglein ihm nah an die Nase
gehaltenen Dukaten von einer Silbermünze durch den
bloßen Geruch, mit verbundenen Augen, unterscheiden
könne. Dessen ungeachtet ist er fein genug, das Da-
seyn oder Naheseyn gewisser Krankheiten zu bemerken,
und wenn ich in gewisse leere Zimmer eintrete, so kann
ich manchmal mit Zuversicht sagen: "Hier muß ein
"Hektikus, oder Maniakus, oder einer, der im Be-
"griff ist, es zu werden, gewesen seyn." -- Und zwar
waren mehrmals solche da gewesen, an deren Gesichte
sich die Krankheit noch nicht zeigte. So kam mir ein-
mal ein gewisser Geruch mit dem Besuch eines Fremden
in mein Zimmer, den ich natürlicher Weise für ganz
individuell hielt, und w[verlorenes Material - 1 Zeichen fehlt]r nicht achtete. Mehr als
ein halb Jahr hernach kam mir derselbe Geruch, von
dem ich ein halb Jahr lang keine Spur mehr hatte, so
wie ich vorher keine davon gehabt hatte, wieder mit ei-
nem Fremden in mein Zimmer. Bald vernahm ich, daß
dieser aus derselben Gegend kam. Jch mußte also so-
gleich auf den Gedanken fallen, daß es Nationalgerü-
che geben könne. Diese Vermuthungen bestätigten sich
durch mehrere Erfahrungen, und ich habe seitdem mehr-
mals sogar entscheidende Familiengerüche, die von al-
len Gliedern so unzertrennbar waren, wie die Physiog-
[Spaltenumbruch] nomie, wahrgenommen. Nahrung, Lebensart, Ge-
blüte, und die Natur der Schweißlöcher können sehr
begreifliche Gründe dieses charakteristischen Geruchs
seyn. Es ist nicht von Gerüchen der Unreinlichkeit die
Rede; sondern von solchen, die nicht abzuwaschen sind.
Es ist auch weltbekannt, daß Mohren, Calmucken und
die Juden, auch die, so am reinlichsten gehalten wer-
den, gewisse eigenthümliche Nationalgerüche an sich
haben.
"Il y avoit a Corte, sagt Lamberg, un homme rare,
"qui distinguoit au gout & a l'odorat des terres, la
"patrie de tout etranger, qui eut de sa terre natale
"sur lui ... L'Etat l'etablit examinateur d'un hom-
"me qui s'etoit cache & qui declinoit le pais d' ou il
"etoit ... Cet expert d'un nouveau genre commen-
"ca ses essais en se faisant donner la valise du prison-
"nier, il flaira ses bottes & a l'odeur de la terre atta-
"chee sous le talon il reconnut, que l'homme en que-
"stion etoit des alpes Suisses ... Cet essai deconte-
"nanca l'anonyme, il avoua." ...

Bey dieser Gelegenheit kann ich auch nicht unbemerkt
lassen, daß sich von gewissen Gestalten und Gesichtern
ganz bestimmt und eigentlich sagen oder vielmehr ahn-
den läßt, welcher Geruch ihnen eigen ist. Dieß läßt
sich besonders aus der Gesichtsfarbe, und der Gestalt,
und dem Charakter der Backen, dem Umrisse der Nase,
besonders bey der Nasenwurzel; (Man sehe z. E. Mah-
ler Läreße und D. Carisius nach.) bekanntestermaßen
aber aus der Farbe der Lippen, und der Gestalt und
Farbe

V. Abſchnitt. I. Fragment.
Perſonen erſcheint. So wenigſtens ſcheint es mir nach meiner bisherigen Erfahrung. Einzelne
Geſichter oͤffnen uns eher die Augen fuͤr das Charakteriſtiſche ganzer Nationen, als ganze Nationen
fuͤr das Nationale einzelner Geſichter.*) Durch Beobachtung aller Fremden, die mir begegnen,
habe ich jedoch nichts weiter herausgebracht, als folgendes unendlich wenige.

Die
*) [Spaltenumbruch] Jch glaube, daß ein feiner Geruch die Nationen
riechen — und vielleicht eher unterſcheiden koͤnnte, als
das Geſicht. Jch habe zwar keinen ſo feinen Geruch,
wie einer meiner Bruͤder, deſſen Bild auch im dritten
Bande dieſer Fragmente vorkoͤmmt, von ſich verſichert,
daß er einen an einem Zaͤnglein ihm nah an die Naſe
gehaltenen Dukaten von einer Silbermuͤnze durch den
bloßen Geruch, mit verbundenen Augen, unterſcheiden
koͤnne. Deſſen ungeachtet iſt er fein genug, das Da-
ſeyn oder Naheſeyn gewiſſer Krankheiten zu bemerken,
und wenn ich in gewiſſe leere Zimmer eintrete, ſo kann
ich manchmal mit Zuverſicht ſagen: „Hier muß ein
Hektikus, oder Maniakus, oder einer, der im Be-
„griff iſt, es zu werden, geweſen ſeyn.“ — Und zwar
waren mehrmals ſolche da geweſen, an deren Geſichte
ſich die Krankheit noch nicht zeigte. So kam mir ein-
mal ein gewiſſer Geruch mit dem Beſuch eines Fremden
in mein Zimmer, den ich natuͤrlicher Weiſe fuͤr ganz
individuell hielt, und w[verlorenes Material – 1 Zeichen fehlt]r nicht achtete. Mehr als
ein halb Jahr hernach kam mir derſelbe Geruch, von
dem ich ein halb Jahr lang keine Spur mehr hatte, ſo
wie ich vorher keine davon gehabt hatte, wieder mit ei-
nem Fremden in mein Zimmer. Bald vernahm ich, daß
dieſer aus derſelben Gegend kam. Jch mußte alſo ſo-
gleich auf den Gedanken fallen, daß es Nationalgeruͤ-
che geben koͤnne. Dieſe Vermuthungen beſtaͤtigten ſich
durch mehrere Erfahrungen, und ich habe ſeitdem mehr-
mals ſogar entſcheidende Familiengeruͤche, die von al-
len Gliedern ſo unzertrennbar waren, wie die Phyſiog-
[Spaltenumbruch] nomie, wahrgenommen. Nahrung, Lebensart, Ge-
bluͤte, und die Natur der Schweißloͤcher koͤnnen ſehr
begreifliche Gruͤnde dieſes charakteriſtiſchen Geruchs
ſeyn. Es iſt nicht von Geruͤchen der Unreinlichkeit die
Rede; ſondern von ſolchen, die nicht abzuwaſchen ſind.
Es iſt auch weltbekannt, daß Mohren, Calmucken und
die Juden, auch die, ſo am reinlichſten gehalten wer-
den, gewiſſe eigenthuͤmliche Nationalgeruͤche an ſich
haben.
„Il y avoit à Corte, ſagt Lamberg, un homme rare,
„qui diſtinguoit au gout & à l’odorat des terres, la
„patrie de tout étranger, qui eut de ſa terre natale
„ſur lui ... L’Etat l’établit examinateur d’un hom-
„me qui s’étoit caché & qui declinoit le païs d’ où il
„étoit ... Cet expert d’un nouveau genre commen-
„ça ſes eſſais en ſe faiſant donner la valiſe du priſon-
„nier, il flaira ſes bottes & à l’odeur de la terre atta-
„chée ſous le talon il reconnut, que l’homme en que-
„ſtion étoit des alpes Suiſſes ... Cet eſſai déconte-
„nança l’anonyme, il avoua.“ ...

Bey dieſer Gelegenheit kann ich auch nicht unbemerkt
laſſen, daß ſich von gewiſſen Geſtalten und Geſichtern
ganz beſtimmt und eigentlich ſagen oder vielmehr ahn-
den laͤßt, welcher Geruch ihnen eigen iſt. Dieß laͤßt
ſich beſonders aus der Geſichtsfarbe, und der Geſtalt,
und dem Charakter der Backen, dem Umriſſe der Naſe,
beſonders bey der Naſenwurzel; (Man ſehe z. E. Mah-
ler Laͤreße und D. Cariſius nach.) bekannteſtermaßen
aber aus der Farbe der Lippen, und der Geſtalt und
Farbe
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[268/0308] V. Abſchnitt. I. Fragment. Perſonen erſcheint. So wenigſtens ſcheint es mir nach meiner bisherigen Erfahrung. Einzelne Geſichter oͤffnen uns eher die Augen fuͤr das Charakteriſtiſche ganzer Nationen, als ganze Nationen fuͤr das Nationale einzelner Geſichter. *) Durch Beobachtung aller Fremden, die mir begegnen, habe ich jedoch nichts weiter herausgebracht, als folgendes unendlich wenige. Die *) Jch glaube, daß ein feiner Geruch die Nationen riechen — und vielleicht eher unterſcheiden koͤnnte, als das Geſicht. Jch habe zwar keinen ſo feinen Geruch, wie einer meiner Bruͤder, deſſen Bild auch im dritten Bande dieſer Fragmente vorkoͤmmt, von ſich verſichert, daß er einen an einem Zaͤnglein ihm nah an die Naſe gehaltenen Dukaten von einer Silbermuͤnze durch den bloßen Geruch, mit verbundenen Augen, unterſcheiden koͤnne. Deſſen ungeachtet iſt er fein genug, das Da- ſeyn oder Naheſeyn gewiſſer Krankheiten zu bemerken, und wenn ich in gewiſſe leere Zimmer eintrete, ſo kann ich manchmal mit Zuverſicht ſagen: „Hier muß ein „Hektikus, oder Maniakus, oder einer, der im Be- „griff iſt, es zu werden, geweſen ſeyn.“ — Und zwar waren mehrmals ſolche da geweſen, an deren Geſichte ſich die Krankheit noch nicht zeigte. So kam mir ein- mal ein gewiſſer Geruch mit dem Beſuch eines Fremden in mein Zimmer, den ich natuͤrlicher Weiſe fuͤr ganz individuell hielt, und w_r nicht achtete. Mehr als ein halb Jahr hernach kam mir derſelbe Geruch, von dem ich ein halb Jahr lang keine Spur mehr hatte, ſo wie ich vorher keine davon gehabt hatte, wieder mit ei- nem Fremden in mein Zimmer. Bald vernahm ich, daß dieſer aus derſelben Gegend kam. Jch mußte alſo ſo- gleich auf den Gedanken fallen, daß es Nationalgeruͤ- che geben koͤnne. Dieſe Vermuthungen beſtaͤtigten ſich durch mehrere Erfahrungen, und ich habe ſeitdem mehr- mals ſogar entſcheidende Familiengeruͤche, die von al- len Gliedern ſo unzertrennbar waren, wie die Phyſiog- nomie, wahrgenommen. Nahrung, Lebensart, Ge- bluͤte, und die Natur der Schweißloͤcher koͤnnen ſehr begreifliche Gruͤnde dieſes charakteriſtiſchen Geruchs ſeyn. Es iſt nicht von Geruͤchen der Unreinlichkeit die Rede; ſondern von ſolchen, die nicht abzuwaſchen ſind. Es iſt auch weltbekannt, daß Mohren, Calmucken und die Juden, auch die, ſo am reinlichſten gehalten wer- den, gewiſſe eigenthuͤmliche Nationalgeruͤche an ſich haben. „Il y avoit à Corte, ſagt Lamberg, un homme rare, „qui diſtinguoit au gout & à l’odorat des terres, la „patrie de tout étranger, qui eut de ſa terre natale „ſur lui ... L’Etat l’établit examinateur d’un hom- „me qui s’étoit caché & qui declinoit le païs d’ où il „étoit ... Cet expert d’un nouveau genre commen- „ça ſes eſſais en ſe faiſant donner la valiſe du priſon- „nier, il flaira ſes bottes & à l’odeur de la terre atta- „chée ſous le talon il reconnut, que l’homme en que- „ſtion étoit des alpes Suiſſes ... Cet eſſai déconte- „nança l’anonyme, il avoua.“ ... Bey dieſer Gelegenheit kann ich auch nicht unbemerkt laſſen, daß ſich von gewiſſen Geſtalten und Geſichtern ganz beſtimmt und eigentlich ſagen oder vielmehr ahn- den laͤßt, welcher Geruch ihnen eigen iſt. Dieß laͤßt ſich beſonders aus der Geſichtsfarbe, und der Geſtalt, und dem Charakter der Backen, dem Umriſſe der Naſe, beſonders bey der Naſenwurzel; (Man ſehe z. E. Mah- ler Laͤreße und D. Cariſius nach.) bekannteſtermaßen aber aus der Farbe der Lippen, und der Geſtalt und Farbe

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Zitationshilfe: Lavater, Johann Caspar: Physiognomische Fragmente, zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe. Bd. 4. Leipzig u. a., 1778, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lavater_fragmente04_1778/308>, abgerufen am 28.04.2024.