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Leisewitz, Johann Anton: Julius von Tarent. Leipzig, 1776.

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Aspermonte. Heute früh wolten Sie noch
einen ganzen Monat abwarten, und jezt keinen
Tag, und doch haben Sie keinen einzigen Grund
zur Flucht mehr, als heute früh.
Julius. Keinen Grund mehr? Hab' ich
sie denn nicht weinen sehen?
Aspermonte. Ziehen Sie hin, und lassen Sie
Jhren Vater in seinem Sterbezimmer umsonst
nach einem Sohne suchen -- Ach, Sie wissen
es noch nicht, was es für eine Wollust ist, einem
kranken Vater die Küssen zu legen -- Ziehen
Sie hin! -- Sie haben es noch nicht gesehen,
wie ein Sohn jeden Morgen auf dem Gesicht
des Vaters nach dem Lächeln der Genesung spührt
-- wie er auf den Nordwind zürnt, der um das
Zimmer des Kranken heult, wenn er schlafen mögte.
-- Ziehen Sie hin! -- Wahrhaftig, Sie kön-
nen es nicht gesehen haben, wie der schon sprach-
lose Vater das Gesicht noch einmal nach dem
Jüngling drehet, und es nicht wieder wendet;
-- Ziehen Sie hin!
Julius. Aspermonte, der Gedanke an meinen
Vater, den Sie mir da erwecken, durchbohrt
mir das Herz! -- und doch: -- meinen Plan
auf ewig aufzugeben!
D


Aſpermonte. Heute fruͤh wolten Sie noch
einen ganzen Monat abwarten, und jezt keinen
Tag, und doch haben Sie keinen einzigen Grund
zur Flucht mehr, als heute fruͤh.
Julius. Keinen Grund mehr? Hab’ ich
ſie denn nicht weinen ſehen?
Aſpermonte. Ziehen Sie hin, und laſſen Sie
Jhren Vater in ſeinem Sterbezimmer umſonſt
nach einem Sohne ſuchen — Ach, Sie wiſſen
es noch nicht, was es fuͤr eine Wolluſt iſt, einem
kranken Vater die Kuͤſſen zu legen — Ziehen
Sie hin! — Sie haben es noch nicht geſehen,
wie ein Sohn jeden Morgen auf dem Geſicht
des Vaters nach dem Laͤcheln der Geneſung ſpuͤhrt
— wie er auf den Nordwind zuͤrnt, der um das
Zimmer des Kranken heult, wenn er ſchlafen moͤgte.
— Ziehen Sie hin! — Wahrhaftig, Sie koͤn-
nen es nicht geſehen haben, wie der ſchon ſprach-
loſe Vater das Geſicht noch einmal nach dem
Juͤngling drehet, und es nicht wieder wendet;
— Ziehen Sie hin!
Julius. Aſpermonte, der Gedanke an meinen
Vater, den Sie mir da erwecken, durchbohrt
mir das Herz! — und doch: — meinen Plan
auf ewig aufzugeben!
D
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[49/0053] Aſpermonte. Heute fruͤh wolten Sie noch einen ganzen Monat abwarten, und jezt keinen Tag, und doch haben Sie keinen einzigen Grund zur Flucht mehr, als heute fruͤh. Julius. Keinen Grund mehr? Hab’ ich ſie denn nicht weinen ſehen? Aſpermonte. Ziehen Sie hin, und laſſen Sie Jhren Vater in ſeinem Sterbezimmer umſonſt nach einem Sohne ſuchen — Ach, Sie wiſſen es noch nicht, was es fuͤr eine Wolluſt iſt, einem kranken Vater die Kuͤſſen zu legen — Ziehen Sie hin! — Sie haben es noch nicht geſehen, wie ein Sohn jeden Morgen auf dem Geſicht des Vaters nach dem Laͤcheln der Geneſung ſpuͤhrt — wie er auf den Nordwind zuͤrnt, der um das Zimmer des Kranken heult, wenn er ſchlafen moͤgte. — Ziehen Sie hin! — Wahrhaftig, Sie koͤn- nen es nicht geſehen haben, wie der ſchon ſprach- loſe Vater das Geſicht noch einmal nach dem Juͤngling drehet, und es nicht wieder wendet; — Ziehen Sie hin! Julius. Aſpermonte, der Gedanke an meinen Vater, den Sie mir da erwecken, durchbohrt mir das Herz! — und doch: — meinen Plan auf ewig aufzugeben! D

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Zitationshilfe: Leisewitz, Johann Anton: Julius von Tarent. Leipzig, 1776, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/leisewitz_julius_1776/53>, abgerufen am 28.04.2024.