Leisewitz, Johann Anton: Julius von Tarent. Leipzig, 1776.
ihrer Fürsten unter den Reichskleinodien aufbe- wahren. Sie solte immer offen vor dem Throne liegen; da sehe der Regent das Zittern des Tyran- nen, der es zum erstenmale empfindet, daß er ein Unterthan ist; Aber er sehe auch die Ruhe des guten Fürsten, und bezeuge durch eine gute That, daß er sie gesehen habe. Was ihr auch erblicken werdet, meine Kin- der, so solt ihr an meinem Sterbebett gegenwärtig seyn. Jch hoffe, ihr solt nicht erschrecken. Ein alter Bauer. (der einen Blumenkranz in der Hand hat, und sich durch die Hofleute drängt.) Das werden sie nicht, wahrhaftig, das werden sie nicht! Gnädiger Herr, ich bin ein Bauer aus Jh- rem Dorfe Ostiala. Die Gemeine schikt Jhnen den Kranz zum Zeichen ihrer Liebe. Wir können Jhnen nichts bessers schenken, denn wir sind so arm, daß wir verhungert wären, wenn Sie es ge- macht hätten wie Jhr Vater. Fürst. (giebt ihm die Hand) O daß die Blu- men so lange frisch blieben, bis ich sterbe. Jch wolte sie über mein Bett aufhängen lassen! -- Jhr Duft wär doch wohl Erquickung für einen Sterbenden. -- Nimm den Kranz, Julius, er ge- hört auch unter die Reichskleinodien. ihrer Fuͤrſten unter den Reichskleinodien aufbe- wahren. Sie ſolte immer offen vor dem Throne liegen; da ſehe der Regent das Zittern des Tyran- nen, der es zum erſtenmale empfindet, daß er ein Unterthan iſt; Aber er ſehe auch die Ruhe des guten Fuͤrſten, und bezeuge durch eine gute That, daß er ſie geſehen habe. Was ihr auch erblicken werdet, meine Kin- der, ſo ſolt ihr an meinem Sterbebett gegenwaͤrtig ſeyn. Jch hoffe, ihr ſolt nicht erſchrecken. Ein alter Bauer. (der einen Blumenkranz in der Hand hat, und ſich durch die Hofleute draͤngt.) Das werden ſie nicht, wahrhaftig, das werden ſie nicht! Gnaͤdiger Herr, ich bin ein Bauer aus Jh- rem Dorfe Oſtiala. Die Gemeine ſchikt Jhnen den Kranz zum Zeichen ihrer Liebe. Wir koͤnnen Jhnen nichts beſſers ſchenken, denn wir ſind ſo arm, daß wir verhungert waͤren, wenn Sie es ge- macht haͤtten wie Jhr Vater. Fuͤrſt. (giebt ihm die Hand) O daß die Blu- men ſo lange friſch blieben, bis ich ſterbe. Jch wolte ſie uͤber mein Bett aufhaͤngen laſſen! — Jhr Duft waͤr doch wohl Erquickung fuͤr einen Sterbenden. — Nimm den Kranz, Julius, er ge- hoͤrt auch unter die Reichskleinodien. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <sp who="#CON"> <p><pb facs="#f0060" n="56"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> ihrer Fuͤrſten unter den Reichskleinodien aufbe-<lb/> wahren. Sie ſolte immer offen vor dem Throne<lb/> liegen; da ſehe der Regent das Zittern des Tyran-<lb/> nen, der es zum erſtenmale empfindet, daß er ein<lb/> Unterthan iſt; Aber er ſehe auch die Ruhe des<lb/> guten Fuͤrſten, und bezeuge durch eine gute That,<lb/> daß er ſie geſehen habe.</p><lb/> <p>Was ihr auch erblicken werdet, meine Kin-<lb/> der, ſo ſolt ihr an meinem Sterbebett gegenwaͤrtig<lb/> ſeyn.</p><lb/> <p>Jch hoffe, ihr ſolt nicht erſchrecken.</p> </sp><lb/> <sp who="#BAU"> <speaker>Ein alter Bauer.</speaker> <stage>(der einen Blumenkranz in<lb/> der Hand hat, und ſich durch die Hofleute draͤngt.)</stage><lb/> <p>Das werden ſie nicht, wahrhaftig, das werden ſie<lb/> nicht!</p><lb/> <p>Gnaͤdiger Herr, ich bin ein Bauer aus Jh-<lb/> rem Dorfe Oſtiala. Die Gemeine ſchikt Jhnen<lb/> den Kranz zum Zeichen ihrer Liebe. Wir koͤnnen<lb/> Jhnen nichts beſſers ſchenken, denn wir ſind ſo<lb/> arm, daß wir verhungert waͤren, wenn Sie es ge-<lb/> macht haͤtten wie Jhr Vater.</p> </sp><lb/> <sp who="#CON"> <speaker>Fuͤrſt.</speaker> <stage>(giebt ihm die Hand)</stage> <p>O daß die Blu-<lb/> men ſo lange friſch blieben, bis ich ſterbe. Jch<lb/> wolte ſie uͤber mein Bett aufhaͤngen laſſen! —<lb/> Jhr Duft waͤr doch wohl Erquickung fuͤr einen<lb/> Sterbenden. — Nimm den Kranz, Julius, er ge-<lb/> hoͤrt auch unter die Reichskleinodien.</p><lb/> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [56/0060]
ihrer Fuͤrſten unter den Reichskleinodien aufbe-
wahren. Sie ſolte immer offen vor dem Throne
liegen; da ſehe der Regent das Zittern des Tyran-
nen, der es zum erſtenmale empfindet, daß er ein
Unterthan iſt; Aber er ſehe auch die Ruhe des
guten Fuͤrſten, und bezeuge durch eine gute That,
daß er ſie geſehen habe.
Was ihr auch erblicken werdet, meine Kin-
der, ſo ſolt ihr an meinem Sterbebett gegenwaͤrtig
ſeyn.
Jch hoffe, ihr ſolt nicht erſchrecken.
Ein alter Bauer. (der einen Blumenkranz in
der Hand hat, und ſich durch die Hofleute draͤngt.)
Das werden ſie nicht, wahrhaftig, das werden ſie
nicht!
Gnaͤdiger Herr, ich bin ein Bauer aus Jh-
rem Dorfe Oſtiala. Die Gemeine ſchikt Jhnen
den Kranz zum Zeichen ihrer Liebe. Wir koͤnnen
Jhnen nichts beſſers ſchenken, denn wir ſind ſo
arm, daß wir verhungert waͤren, wenn Sie es ge-
macht haͤtten wie Jhr Vater.
Fuͤrſt. (giebt ihm die Hand) O daß die Blu-
men ſo lange friſch blieben, bis ich ſterbe. Jch
wolte ſie uͤber mein Bett aufhaͤngen laſſen! —
Jhr Duft waͤr doch wohl Erquickung fuͤr einen
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| Zitationshilfe: | Leisewitz, Johann Anton: Julius von Tarent. Leipzig, 1776, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/leisewitz_julius_1776/60>, abgerufen am 29.04.2024. |
