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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843.

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seitigen Bemühungen bis jetzt nicht gelungen
war. Reinhard traute Jenny die höchste Selbst-
verleugnung und jede Tugend zu; er glaubte
an ihr Herz, in dessen Besitz er sich heute über-
reich und glücklich fühlte -- er liebte sie, wie
ein kräftiges Gemüth nur zu lieben vermag --
und doch fühlte er eine Scheidewand zwischen
sich und der Geliebten; doch konnte er die bange
Ahnung nicht unterdrücken, es stehe ein Etwas,
das er kaum zu definiren vermochte, trennend
zwischen ihm und ihr. Jetzt bei Jenny's
letzten Worten erwachte das Gefühl aufs Neue
und um so schmerzlicher, als es kalt sein Herz
berührte, das heute warm und ungetheilt ihr
entgegenwallte. Er wurde traurig, und als die
Gesellschaft sich später trennte, und er von
Jenny Abschied genommen, ging er verstimmt
und trübe von ihr, die ihn so innig liebte, und
schritt schweigend neben seiner Mutter nach
Hause, während Jenny in ihrem Zimmer Thrä-

ſeitigen Bemühungen bis jetzt nicht gelungen
war. Reinhard traute Jenny die höchſte Selbſt-
verleugnung und jede Tugend zu; er glaubte
an ihr Herz, in deſſen Beſitz er ſich heute über-
reich und glücklich fühlte — er liebte ſie, wie
ein kräftiges Gemüth nur zu lieben vermag —
und doch fühlte er eine Scheidewand zwiſchen
ſich und der Geliebten; doch konnte er die bange
Ahnung nicht unterdrücken, es ſtehe ein Etwas,
das er kaum zu definiren vermochte, trennend
zwiſchen ihm und ihr. Jetzt bei Jenny's
letzten Worten erwachte das Gefühl aufs Neue
und um ſo ſchmerzlicher, als es kalt ſein Herz
berührte, das heute warm und ungetheilt ihr
entgegenwallte. Er wurde traurig, und als die
Geſellſchaft ſich ſpäter trennte, und er von
Jenny Abſchied genommen, ging er verſtimmt
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ſchritt ſchweigend neben ſeiner Mutter nach
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[111/0123] ſeitigen Bemühungen bis jetzt nicht gelungen war. Reinhard traute Jenny die höchſte Selbſt- verleugnung und jede Tugend zu; er glaubte an ihr Herz, in deſſen Beſitz er ſich heute über- reich und glücklich fühlte — er liebte ſie, wie ein kräftiges Gemüth nur zu lieben vermag — und doch fühlte er eine Scheidewand zwiſchen ſich und der Geliebten; doch konnte er die bange Ahnung nicht unterdrücken, es ſtehe ein Etwas, das er kaum zu definiren vermochte, trennend zwiſchen ihm und ihr. Jetzt bei Jenny's letzten Worten erwachte das Gefühl aufs Neue und um ſo ſchmerzlicher, als es kalt ſein Herz berührte, das heute warm und ungetheilt ihr entgegenwallte. Er wurde traurig, und als die Geſellſchaft ſich ſpäter trennte, und er von Jenny Abſchied genommen, ging er verſtimmt und trübe von ihr, die ihn ſo innig liebte, und ſchritt ſchweigend neben ſeiner Mutter nach Hauſe, während Jenny in ihrem Zimmer Thrä-

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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/123>, abgerufen am 27.04.2024.