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Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie. Braunschweig, 1840.

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Die anorganischen Bestandtheile der Vegetabilien.

Wieviel wunderbarer und unerklärlicher erscheint die Eigen-
schaft feuerbeständiger Körper unter gewissen Bedingungen
sich zu verflüchtigen, bei gewöhnlicher Temperatur in einen
Zustand überzugehen, von dem wir nicht zu sagen vermögen,
ob sie zu Gas geworden oder durch ein Gas in Auflösung
übergegangen sind. Der Wasserdampf, die Vergasung über-
haupt, ist bei diesen Körpern die sonderbarste Ursache der Ver-
flüchtigung, ein in Gas übergehender, ein verdampfender flüs-
siger Körper ertheilt allen Materien, welche darin gelös't sind,
in höherem oder geringerem Grade die Fähigkeit den nemli-
chen Zustand anzunehmen, eine Eigenschaft, die sie für sich
nicht besitzen.

Die Borsäure gehört zu den feuerbeständigsten Materien,
auch in der stärksten Weißglühhitze erleidet sie keine durch die
feinsten Wagen bemerkbare Gewichtsveränderung, sie ist nicht
flüchtig, aber ihre Auflösungen im Wasser können auch bei der
gelindesten Erwärmung nicht verdampft werden, ohne daß den
Wasserdämpfen nicht eine bemerkbare Menge Borsäure folgt.
Diese Eigenschaft ist der Grund, warum wir bei allen Ana-

genwassertümpeln, Forellen in Gebirgsgewässern etc. ist nach demselben
Naturforscher nicht unmöglich." Man bedenke, daß einem Boden, der
aus verwitterten Felsarten, faulenden Vegetabilien, Regenwasser, Salz-
wasser etc. besteht, die Fähigkeit zugeschrieben wird, Muscheln, Forellen,
Salicornien etc. zu erzeugen. Wie alle Forschungen vernichtend sind
Meinungen dieser Art, von einem Lehrer ausgehend, der sich eines
verdienten Beifalls erfreut, der sich durch gediegene Arbeiten Zutrauen
und Anerkennung verschafft hat. Alles dieß sind doch zuletzt nur Ge-
genstände der oberflächlichsten Beobachtung gewesen, die sich zum Ge-
genstand gründlicher Untersuchung wohl eignen, allein das Geheimniß-
volle, Dunkle, Mystische, das Räthselhafte, es ist zu verführerisch für
den jugendlichen, für den philosophischen Geist, welcher die tiefsten
Tiefen der Natur durchdringt, ohne wie der Bergmann eines Schach-
tes und Leitern zu bedürfen. Dies ist Poesie, aber keine nüchterne
Naturforschung.
Die anorganiſchen Beſtandtheile der Vegetabilien.

Wieviel wunderbarer und unerklärlicher erſcheint die Eigen-
ſchaft feuerbeſtändiger Körper unter gewiſſen Bedingungen
ſich zu verflüchtigen, bei gewöhnlicher Temperatur in einen
Zuſtand überzugehen, von dem wir nicht zu ſagen vermögen,
ob ſie zu Gas geworden oder durch ein Gas in Auflöſung
übergegangen ſind. Der Waſſerdampf, die Vergaſung über-
haupt, iſt bei dieſen Körpern die ſonderbarſte Urſache der Ver-
flüchtigung, ein in Gas übergehender, ein verdampfender flüſ-
ſiger Körper ertheilt allen Materien, welche darin gelöſ’t ſind,
in höherem oder geringerem Grade die Fähigkeit den nemli-
chen Zuſtand anzunehmen, eine Eigenſchaft, die ſie für ſich
nicht beſitzen.

Die Borſäure gehört zu den feuerbeſtändigſten Materien,
auch in der ſtärkſten Weißglühhitze erleidet ſie keine durch die
feinſten Wagen bemerkbare Gewichtsveränderung, ſie iſt nicht
flüchtig, aber ihre Auflöſungen im Waſſer können auch bei der
gelindeſten Erwärmung nicht verdampft werden, ohne daß den
Waſſerdämpfen nicht eine bemerkbare Menge Borſäure folgt.
Dieſe Eigenſchaft iſt der Grund, warum wir bei allen Ana-

genwaſſertümpeln, Forellen in Gebirgsgewäſſern ꝛc. iſt nach demſelben
Naturforſcher nicht unmöglich.« Man bedenke, daß einem Boden, der
aus verwitterten Felsarten, faulenden Vegetabilien, Regenwaſſer, Salz-
waſſer ꝛc. beſteht, die Fähigkeit zugeſchrieben wird, Muſcheln, Forellen,
Salicornien ꝛc. zu erzeugen. Wie alle Forſchungen vernichtend ſind
Meinungen dieſer Art, von einem Lehrer ausgehend, der ſich eines
verdienten Beifalls erfreut, der ſich durch gediegene Arbeiten Zutrauen
und Anerkennung verſchafft hat. Alles dieß ſind doch zuletzt nur Ge-
genſtände der oberflächlichſten Beobachtung geweſen, die ſich zum Ge-
genſtand gründlicher Unterſuchung wohl eignen, allein das Geheimniß-
volle, Dunkle, Myſtiſche, das Räthſelhafte, es iſt zu verführeriſch für
den jugendlichen, für den philoſophiſchen Geiſt, welcher die tiefſten
Tiefen der Natur durchdringt, ohne wie der Bergmann eines Schach-
tes und Leitern zu bedürfen. Dies iſt Poeſie, aber keine nüchterne
Naturforſchung.
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[101/0119] Die anorganiſchen Beſtandtheile der Vegetabilien. Wieviel wunderbarer und unerklärlicher erſcheint die Eigen- ſchaft feuerbeſtändiger Körper unter gewiſſen Bedingungen ſich zu verflüchtigen, bei gewöhnlicher Temperatur in einen Zuſtand überzugehen, von dem wir nicht zu ſagen vermögen, ob ſie zu Gas geworden oder durch ein Gas in Auflöſung übergegangen ſind. Der Waſſerdampf, die Vergaſung über- haupt, iſt bei dieſen Körpern die ſonderbarſte Urſache der Ver- flüchtigung, ein in Gas übergehender, ein verdampfender flüſ- ſiger Körper ertheilt allen Materien, welche darin gelöſ’t ſind, in höherem oder geringerem Grade die Fähigkeit den nemli- chen Zuſtand anzunehmen, eine Eigenſchaft, die ſie für ſich nicht beſitzen. Die Borſäure gehört zu den feuerbeſtändigſten Materien, auch in der ſtärkſten Weißglühhitze erleidet ſie keine durch die feinſten Wagen bemerkbare Gewichtsveränderung, ſie iſt nicht flüchtig, aber ihre Auflöſungen im Waſſer können auch bei der gelindeſten Erwärmung nicht verdampft werden, ohne daß den Waſſerdämpfen nicht eine bemerkbare Menge Borſäure folgt. Dieſe Eigenſchaft iſt der Grund, warum wir bei allen Ana- *) *) genwaſſertümpeln, Forellen in Gebirgsgewäſſern ꝛc. iſt nach demſelben Naturforſcher nicht unmöglich.« Man bedenke, daß einem Boden, der aus verwitterten Felsarten, faulenden Vegetabilien, Regenwaſſer, Salz- waſſer ꝛc. beſteht, die Fähigkeit zugeſchrieben wird, Muſcheln, Forellen, Salicornien ꝛc. zu erzeugen. Wie alle Forſchungen vernichtend ſind Meinungen dieſer Art, von einem Lehrer ausgehend, der ſich eines verdienten Beifalls erfreut, der ſich durch gediegene Arbeiten Zutrauen und Anerkennung verſchafft hat. Alles dieß ſind doch zuletzt nur Ge- genſtände der oberflächlichſten Beobachtung geweſen, die ſich zum Ge- genſtand gründlicher Unterſuchung wohl eignen, allein das Geheimniß- volle, Dunkle, Myſtiſche, das Räthſelhafte, es iſt zu verführeriſch für den jugendlichen, für den philoſophiſchen Geiſt, welcher die tiefſten Tiefen der Natur durchdringt, ohne wie der Bergmann eines Schach- tes und Leitern zu bedürfen. Dies iſt Poeſie, aber keine nüchterne Naturforſchung.

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Zitationshilfe: Liebig, Justus von: Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie. Braunschweig, 1840, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liebig_agricultur_1840/119>, abgerufen am 28.04.2024.