Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689.Arminius und Thußnelda. [Spaltenumbruch]
ne Verträgligkeit/ und keine gäntzliche Enteus-serung der Welt/ oder eine so strenge Lebens-art von nöthen hätten. Die denen Fürsten gleich sam eigenthümliche Groß müthigkeit vermöchte über Glück und Tod zu gebieten. Mir fielen über dieser zwar vernünfftigen Zusetzung für Weh- muth die Thränen aus den Augen. Die oberste Priesterin aber nahm sich mein an; und setzte dem Könige entgegen: Die Andacht wäre eine Vermählung der Seele mit GOtt/ und eine Vergötterung der Menschen. Warum solte sie denn Fürsten verschmählich/ oder denen zarten zu rau seyn? Adler/ keine Kefer wären dem Jupiter gewiedmet. Der Weyrauch/ nicht geringes Baumharzt würde bey den Opfern angezündet. Wenn Helfenbein und Alabaster unter die Hand des Bildhauers/ das zärteste Ertzt das Gold in den Guß des Künstlers/ das weiche Gespinste des Seiden-Wurmes auf die Werffte des We- bers käme/ würde das voll kommenste Gemächte daraus; warum solten nur raue Felsen zu heili- gen Bildern aus gehauen werden; oder ein zartes Geschöpffe nicht den Zwang unser Gesetze/ wie der Marmel die Feile/ und das Gold die Glut ausstehen? was die wenigsten Hülsen eines irrdi- schen Talgs an sich hätte/ wäre desto geschickter zu denen Durchwürckungen des Geistes. Die- ser selbst hätte nicht seinen Sitz in den harten Knochen/ noch in denen starrenden Spann-A- dern; sondern in dem weichsten und zärtesten Theile des Menschen/ nehmlich in dem Gehir- ne. Andere Tugenden verdienten zwar ihren Preiß; und die/ welche Fürsten machten/ hätten einen grössern Glantz/ als die Gottesfurcht; a- ber alle wären ohne diese eine Bländung/ ohne Geist und Bestand; die Tapfferkeit ohne An- dacht ein hitziger Trieb eines grimmigen Thie- res/ die Klugheit ein verführerisches Jrrlicht/ die Anmuth halb Mensch und halb Schlange. Die Gottesfurcht wäre die Zungein der Wage der Gerechtigkeit/ sie hielte der Großmüthigkeit den Rücken: daß sie weder die sanfften Lüffte des [Spaltenumbruch] Glückes zu hoch empor hübe/ noch das Elend zu Bodem trete; Sie schwinge die Seele so hoch: daß sie ihres mit dem Leibe und seinen fleischlichen Reitzungen gepflogenen Bündnüs- ses vergässe; Die ansehnlichste Würckung aber hätte sie wieder den Tod/ den alle Klugheit und Tugend selten für den Auflöser der irrdischen Banden/ sondern ins gemein für den Scheusal alles lebenden/ für das Schrecken der Natur/ und die Abscheu der Hertzhafftigkeit/ die An- dacht aber alleine für einen Pförtner des Him- mels anschaute. Denn sie lehrte bey dem An- tritte der unendlichen Ewigkeit: daß der Zir- ckel der Zeit in vergänglichen Augenblicken be- stünde; und daslängste Leben nach der Span- ne auszumessen/ die wahrhaffte Ruhe und Lust der Seele aber erst nach Ablegung der Sterb- ligkeit zu finden wäre. Die Gottesfurcht wäre endlich die von dem Himmel henckende Kette; die ein Reich so befestigte: daß alle Kräfften der Welt es nicht versehren könten. Diesemnach möchte der König versichert leben: daß der Für- stin Asblaste Vermählung ihm zwar einige Vergnügung/ ihre Andacht aber dem Cim- brischen Reiche eine beständige Schutz-Seule abgeben würde; für welch letzteres er als ein Fürst und Werckzeug Gottes/ durch welchen seine erste Bewegungs-Krafft ein ziemlich Stü- cke der Welt bewegte/ mehr als für sich selbst Sorge zu tragen hätte. Diese Zuredung hatte in des Königs Frotho Gemüthe einen solchen Nachdruck: daß er sich erklärte meine heilig- Einsamkeit nicht mehr zu stören; noch der Wol- farth seines Reiches einigen Abbruch zu thun. Seine Schwester Tirchanis aber war mit ihm noch nicht allerdinges/ wie ich/ vergnüget; son- dern hielt ihr für unverantwortlich/ dem weibli- chen Geschlechte für nachtheilig: daß er die Weißheit nicht für sie so wol/ als für die Män- ner gewiedmet zu seyn meinte. Sie bescheidete sich wol: daß diese für ihnen mehr Stärcke und weniger Feuchtigkeit von der Natur be- kommen G g g g g g g g 3
Arminius und Thußnelda. [Spaltenumbruch]
ne Vertraͤgligkeit/ und keine gaͤntzliche Enteuſ-ſerung der Welt/ oder eine ſo ſtrenge Lebens-art von noͤthen haͤtten. Die denen Fuͤꝛſten gleich ſam eigenthuͤmliche Gꝛoß muͤthigkeit veꝛmoͤchte uͤbeꝛ Gluͤck und Tod zu gebieten. Mir fielen uͤber dieſer zwar vernuͤnfftigen Zuſetzung fuͤr Weh- muth die Thraͤnen aus den Augen. Die oberſte Prieſterin aber nahm ſich mein an; und ſetzte dem Koͤnige entgegen: Die Andacht waͤre eine Vermaͤhlung der Seele mit GOtt/ und eine Vergoͤtterung der Menſchen. Warum ſolte ſie deñ Fuͤrſten verſchmaͤhlich/ oder denen zarten zu rau ſeyn? Adler/ keine Kefer waͤren dem Jupiter gewiedmet. Der Weyrauch/ nicht geringes Baumharzt wuͤrde bey den Opfern angezuͤndet. Weñ Helfenbein und Alabaſter unter die Hand des Bildhauers/ das zaͤrteſte Ertzt das Gold in den Guß des Kuͤnſtlers/ das weiche Geſpinſte des Seiden-Wurmes auf die Werffte des We- bers kaͤme/ wuͤrde das voll kom̃enſte Gemaͤchte daraus; warum ſolten nur raue Felſen zu heili- gen Bildern aus gehauen weꝛden; odeꝛ ein zaꝛtes Geſchoͤpffe nicht den Zwang unſer Geſetze/ wie der Marmel die Feile/ und das Gold die Glut ausſtehen? was die wenigſten Huͤlſen eines irrdi- ſchen Talgs an ſich haͤtte/ waͤre deſto geſchickter zu denen Durchwuͤrckungen des Geiſtes. Die- ſer ſelbſt haͤtte nicht ſeinen Sitz in den harten Knochen/ noch in denen ſtarrenden Spann-A- dern; ſondern in dem weichſten und zaͤrteſten Theile des Menſchen/ nehmlich in dem Gehir- ne. Andere Tugenden verdienten zwar ihren Preiß; und die/ welche Fuͤrſten machten/ haͤtten einen groͤſſern Glantz/ als die Gottesfurcht; a- ber alle waͤren ohne dieſe eine Blaͤndung/ ohne Geiſt und Beſtand; die Tapfferkeit ohne An- dacht ein hitziger Trieb eines grimmigen Thie- res/ die Klugheit ein verfuͤhreriſches Jrꝛlicht/ die Anmuth halb Menſch und halb Schlange. Die Gottesfurcht waͤre die Zungein der Wage der Gerechtigkeit/ ſie hielte der Gꝛoßmuͤthigkeit den Ruͤcken: daß ſie weder die ſanfften Luͤffte des [Spaltenumbruch] Gluͤckes zu hoch empor huͤbe/ noch das Elend zu Bodem trete; Sie ſchwinge die Seele ſo hoch: daß ſie ihres mit dem Leibe und ſeinen fleiſchlichen Reitzungen gepflogenen Buͤndnuͤſ- ſes vergaͤſſe; Die anſehnlichſte Wuͤrckung aber haͤtte ſie wieder den Tod/ den alle Klugheit und Tugend ſelten fuͤr den Aufloͤſer der irrdiſchen Banden/ ſondern ins gemein fuͤr den Scheuſal alles lebenden/ fuͤr das Schrecken der Natur/ und die Abſcheu der Hertzhafftigkeit/ die An- dacht aber alleine fuͤr einen Pfoͤrtner des Him- mels anſchaute. Denn ſie lehrte bey dem An- tritte der unendlichen Ewigkeit: daß der Zir- ckel der Zeit in vergaͤnglichen Augenblicken be- ſtuͤnde; und daslaͤngſte Leben nach der Span- ne auszumeſſen/ die wahrhaffte Ruhe und Luſt der Seele aber erſt nach Ablegung der Sterb- ligkeit zu finden waͤre. Die Gottesfurcht waͤre endlich die von dem Himmel henckende Kette; die ein Reich ſo befeſtigte: daß alle Kraͤfften der Welt es nicht verſehren koͤnten. Dieſemnach moͤchte der Koͤnig verſichert leben: daß der Fuͤr- ſtin Asblaſte Vermaͤhlung ihm zwar einige Vergnuͤgung/ ihre Andacht aber dem Cim- briſchen Reiche eine beſtaͤndige Schutz-Seule abgeben wuͤrde; fuͤr welch letzteres er als ein Fuͤrſt und Werckzeug Gottes/ durch welchen ſeine erſte Bewegungs-Krafft ein ziemlich Stuͤ- cke der Welt bewegte/ mehr als fuͤr ſich ſelbſt Sorge zu tragen haͤtte. Dieſe Zuredung hatte in des Koͤnigs Frotho Gemuͤthe einen ſolchen Nachdruck: daß er ſich erklaͤrte meine heilig- Einſamkeit nicht mehr zu ſtoͤren; noch der Wol- farth ſeines Reiches einigen Abbruch zu thun. Seine Schweſter Tirchanis aber war mit ihm noch nicht allerdinges/ wie ich/ vergnuͤget; ſon- dern hielt ihr fuͤr unverantwortlich/ dem weibli- chen Geſchlechte fuͤr nachtheilig: daß er die Weißheit nicht fuͤr ſie ſo wol/ als fuͤr die Maͤn- ner gewiedmet zu ſeyn meinte. Sie beſcheidete ſich wol: daß dieſe fuͤr ihnen mehr Staͤrcke und weniger Feuchtigkeit von der Natur be- kommen G g g g g g g g 3
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Arminius und Thußnelda.
ne Vertraͤgligkeit/ und keine gaͤntzliche Enteuſ-
ſerung der Welt/ oder eine ſo ſtrenge Lebens-art
von noͤthen haͤtten. Die denen Fuͤꝛſten gleich ſam
eigenthuͤmliche Gꝛoß muͤthigkeit veꝛmoͤchte uͤbeꝛ
Gluͤck und Tod zu gebieten. Mir fielen uͤber
dieſer zwar vernuͤnfftigen Zuſetzung fuͤr Weh-
muth die Thraͤnen aus den Augen. Die oberſte
Prieſterin aber nahm ſich mein an; und ſetzte
dem Koͤnige entgegen: Die Andacht waͤre eine
Vermaͤhlung der Seele mit GOtt/ und eine
Vergoͤtterung der Menſchen. Warum ſolte ſie
deñ Fuͤrſten verſchmaͤhlich/ oder denen zarten zu
rau ſeyn? Adler/ keine Kefer waͤren dem Jupiter
gewiedmet. Der Weyrauch/ nicht geringes
Baumharzt wuͤrde bey den Opfern angezuͤndet.
Weñ Helfenbein und Alabaſter unter die Hand
des Bildhauers/ das zaͤrteſte Ertzt das Gold in
den Guß des Kuͤnſtlers/ das weiche Geſpinſte
des Seiden-Wurmes auf die Werffte des We-
bers kaͤme/ wuͤrde das voll kom̃enſte Gemaͤchte
daraus; warum ſolten nur raue Felſen zu heili-
gen Bildern aus gehauen weꝛden; odeꝛ ein zaꝛtes
Geſchoͤpffe nicht den Zwang unſer Geſetze/ wie
der Marmel die Feile/ und das Gold die Glut
ausſtehen? was die wenigſten Huͤlſen eines irrdi-
ſchen Talgs an ſich haͤtte/ waͤre deſto geſchickter
zu denen Durchwuͤrckungen des Geiſtes. Die-
ſer ſelbſt haͤtte nicht ſeinen Sitz in den harten
Knochen/ noch in denen ſtarrenden Spann-A-
dern; ſondern in dem weichſten und zaͤrteſten
Theile des Menſchen/ nehmlich in dem Gehir-
ne. Andere Tugenden verdienten zwar ihren
Preiß; und die/ welche Fuͤrſten machten/ haͤtten
einen groͤſſern Glantz/ als die Gottesfurcht; a-
ber alle waͤren ohne dieſe eine Blaͤndung/ ohne
Geiſt und Beſtand; die Tapfferkeit ohne An-
dacht ein hitziger Trieb eines grimmigen Thie-
res/ die Klugheit ein verfuͤhreriſches Jrꝛlicht/ die
Anmuth halb Menſch und halb Schlange. Die
Gottesfurcht waͤre die Zungein der Wage der
Gerechtigkeit/ ſie hielte der Gꝛoßmuͤthigkeit den
Ruͤcken: daß ſie weder die ſanfften Luͤffte des
Gluͤckes zu hoch empor huͤbe/ noch das Elend
zu Bodem trete; Sie ſchwinge die Seele ſo
hoch: daß ſie ihres mit dem Leibe und ſeinen
fleiſchlichen Reitzungen gepflogenen Buͤndnuͤſ-
ſes vergaͤſſe; Die anſehnlichſte Wuͤrckung aber
haͤtte ſie wieder den Tod/ den alle Klugheit und
Tugend ſelten fuͤr den Aufloͤſer der irrdiſchen
Banden/ ſondern ins gemein fuͤr den Scheuſal
alles lebenden/ fuͤr das Schrecken der Natur/
und die Abſcheu der Hertzhafftigkeit/ die An-
dacht aber alleine fuͤr einen Pfoͤrtner des Him-
mels anſchaute. Denn ſie lehrte bey dem An-
tritte der unendlichen Ewigkeit: daß der Zir-
ckel der Zeit in vergaͤnglichen Augenblicken be-
ſtuͤnde; und daslaͤngſte Leben nach der Span-
ne auszumeſſen/ die wahrhaffte Ruhe und Luſt
der Seele aber erſt nach Ablegung der Sterb-
ligkeit zu finden waͤre. Die Gottesfurcht waͤre
endlich die von dem Himmel henckende Kette;
die ein Reich ſo befeſtigte: daß alle Kraͤfften der
Welt es nicht verſehren koͤnten. Dieſemnach
moͤchte der Koͤnig verſichert leben: daß der Fuͤr-
ſtin Asblaſte Vermaͤhlung ihm zwar einige
Vergnuͤgung/ ihre Andacht aber dem Cim-
briſchen Reiche eine beſtaͤndige Schutz-Seule
abgeben wuͤrde; fuͤr welch letzteres er als ein
Fuͤrſt und Werckzeug Gottes/ durch welchen
ſeine erſte Bewegungs-Krafft ein ziemlich Stuͤ-
cke der Welt bewegte/ mehr als fuͤr ſich ſelbſt
Sorge zu tragen haͤtte. Dieſe Zuredung hatte
in des Koͤnigs Frotho Gemuͤthe einen ſolchen
Nachdruck: daß er ſich erklaͤrte meine heilig-
Einſamkeit nicht mehr zu ſtoͤren; noch der Wol-
farth ſeines Reiches einigen Abbruch zu thun.
Seine Schweſter Tirchanis aber war mit ihm
noch nicht allerdinges/ wie ich/ vergnuͤget; ſon-
dern hielt ihr fuͤr unverantwortlich/ dem weibli-
chen Geſchlechte fuͤr nachtheilig: daß er die
Weißheit nicht fuͤr ſie ſo wol/ als fuͤr die Maͤn-
ner gewiedmet zu ſeyn meinte. Sie beſcheidete
ſich wol: daß dieſe fuͤr ihnen mehr Staͤrcke und
weniger Feuchtigkeit von der Natur be-
kommen
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Zitationshilfe: | Lohenstein, Daniel Casper von: Großmüthiger Feldherr Arminius oder Herrmann. Bd. 1. Leipzig, 1689, S. 1341[1343]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lohenstein_feldherr01_1689/1409>, abgerufen am 17.06.2024. |