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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856.

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Andacht und Zerknirschung zu, bis der Blechschmiedge¬
selle hereinkam. Herr Nettenmair faßte den Stock, den
ihm Valentin in die Hände gab, setzte den Hut tief
in die Stirne, um der Welt soviel, als möglich, von dem
unfreiwilligen Geständniß der todten Augen zu entziehn,
und schüttelte sich majestätisch in dem blauen Rock zurecht.
Valentin wollte ihn führen, aber er sagte: "die Frau
braucht Ihn; und Er wird wissen, was Er in meinem
Hause zu thun hat." Valentin verstand den Sinn der
diplomatischen Rede. Der alte Herr machte ihn ver¬
antwortlich für das Benehmen der Frau. Herr Net¬
tenmair aber wandte sich nun dahin, wo des Blech¬
schmiedegesellen Respekt in ein leises Räuspern aus¬
brach, und fragte ihn, ob er Zeit habe, ihn bis auf
das Thurmdach von Sankt Georg zu begleiten, wo
sein älterer Sohn arbeite. Der Blechschmied bejahte.
Valentin wagte noch den Vorschlag, Herrn Fritz lieber
rufen zu lassen. Der alte Herr sagte grimmig: "ich
muß ihn oben sprechen. Es ist wegen der Reparatur."
Darauf wandte er sich wieder zu dem Blechschmiedege¬
sellen. "Ich werde Seinen Arm nehmen", sagte er
mit herablassendem Grimm. "Ich leide etwas an den
Augen, aber es hat Nichts zu sagen." Valentin sah
den Gehenden eine Weile kopfschüttelnd nach. Als der
alte Herr aus seinen Augen war, fiel die Zuversicht,
die er der resoluten Gegenwart des alten Herrn ver¬
dankt, wiederum zusammen. Er schlug die Hände in

Andacht und Zerknirſchung zu, bis der Blechſchmiedge¬
ſelle hereinkam. Herr Nettenmair faßte den Stock, den
ihm Valentin in die Hände gab, ſetzte den Hut tief
in die Stirne, um der Welt ſoviel, als möglich, von dem
unfreiwilligen Geſtändniß der todten Augen zu entziehn,
und ſchüttelte ſich majeſtätiſch in dem blauen Rock zurecht.
Valentin wollte ihn führen, aber er ſagte: „die Frau
braucht Ihn; und Er wird wiſſen, was Er in meinem
Hauſe zu thun hat.“ Valentin verſtand den Sinn der
diplomatiſchen Rede. Der alte Herr machte ihn ver¬
antwortlich für das Benehmen der Frau. Herr Net¬
tenmair aber wandte ſich nun dahin, wo des Blech¬
ſchmiedegeſellen Reſpekt in ein leiſes Räuſpern aus¬
brach, und fragte ihn, ob er Zeit habe, ihn bis auf
das Thurmdach von Sankt Georg zu begleiten, wo
ſein älterer Sohn arbeite. Der Blechſchmied bejahte.
Valentin wagte noch den Vorſchlag, Herrn Fritz lieber
rufen zu laſſen. Der alte Herr ſagte grimmig: „ich
muß ihn oben ſprechen. Es iſt wegen der Reparatur.“
Darauf wandte er ſich wieder zu dem Blechſchmiedege¬
ſellen. „Ich werde Seinen Arm nehmen“, ſagte er
mit herablaſſendem Grimm. „Ich leide etwas an den
Augen, aber es hat Nichts zu ſagen.“ Valentin ſah
den Gehenden eine Weile kopfſchüttelnd nach. Als der
alte Herr aus ſeinen Augen war, fiel die Zuverſicht,
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[205/0214] Andacht und Zerknirſchung zu, bis der Blechſchmiedge¬ ſelle hereinkam. Herr Nettenmair faßte den Stock, den ihm Valentin in die Hände gab, ſetzte den Hut tief in die Stirne, um der Welt ſoviel, als möglich, von dem unfreiwilligen Geſtändniß der todten Augen zu entziehn, und ſchüttelte ſich majeſtätiſch in dem blauen Rock zurecht. Valentin wollte ihn führen, aber er ſagte: „die Frau braucht Ihn; und Er wird wiſſen, was Er in meinem Hauſe zu thun hat.“ Valentin verſtand den Sinn der diplomatiſchen Rede. Der alte Herr machte ihn ver¬ antwortlich für das Benehmen der Frau. Herr Net¬ tenmair aber wandte ſich nun dahin, wo des Blech¬ ſchmiedegeſellen Reſpekt in ein leiſes Räuſpern aus¬ brach, und fragte ihn, ob er Zeit habe, ihn bis auf das Thurmdach von Sankt Georg zu begleiten, wo ſein älterer Sohn arbeite. Der Blechſchmied bejahte. Valentin wagte noch den Vorſchlag, Herrn Fritz lieber rufen zu laſſen. Der alte Herr ſagte grimmig: „ich muß ihn oben ſprechen. Es iſt wegen der Reparatur.“ Darauf wandte er ſich wieder zu dem Blechſchmiedege¬ ſellen. „Ich werde Seinen Arm nehmen“, ſagte er mit herablaſſendem Grimm. „Ich leide etwas an den Augen, aber es hat Nichts zu ſagen.“ Valentin ſah den Gehenden eine Weile kopfſchüttelnd nach. Als der alte Herr aus ſeinen Augen war, fiel die Zuverſicht, die er der reſoluten Gegenwart des alten Herrn ver¬ dankt, wiederum zuſammen. Er ſchlug die Hände in

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Zitationshilfe: Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/214>, abgerufen am 29.04.2024.