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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856.

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dann voll Angst. Nichts klingt herauf. Vor ihm
auf den Bretern des Gerüstes röchelt ein schwerer
Athem. Er hört, der Zufall, der ihm mitleidig helfend
vorgreifen konnte, hat es nicht gethan. Er muß es
thun, denn gethan muß es sein. Sonst zeigen die
Menschen mit den Fingern auf die Kinder: Die sind's,
deren Vater seinen Bruder erschlug und auf dem Hoch¬
gericht oder im Zuchthause starb. Und wo es längst
vergessen ist, da dürfen sie sich nur zeigen, da wird
es wieder wach; da deuten die Menschen wieder mit
den Fingern und wenden mit Schaudern von ihnen
sich ab. Das Vertrau'n, das er von den Aeltern erbt,
ist das Kapital, womit der Mensch anfängt. Es muß
ihm erwiesen werden, eh er's hat verdienen können, da¬
mit er lernt, Vertrauen zu verdienen. Wer wird ih¬
nen Vertrauen erweisen, die mit ihres Vaters Schande
gezeichnet gehn? Wie sollen sie Vertrauen verdienen
lernen? Mitten unter den Menschen von den Menschen
ausgestoßen, müssen sie nicht werden, wie ihr Vater
war? Und sein eigenes langes Leben voll Anstrengung,
Ehre zu erwerben und zu bewahren, wird rückwärts
angesteckt von des Sohnes Schmach. Die Kinder
hält man für fähig zu thun, wie der Vater that, und
es kann kein ehrlicher Vater gewesen sein, der solchen
Sohn hatte! -- Die Röthe glühte immer brennender
auf der eingefallenen Wange; die zusammengesunkene
Brust richtete sich keuchend empor. Er machte unwill¬

dann voll Angſt. Nichts klingt herauf. Vor ihm
auf den Bretern des Gerüſtes röchelt ein ſchwerer
Athem. Er hört, der Zufall, der ihm mitleidig helfend
vorgreifen konnte, hat es nicht gethan. Er muß es
thun, denn gethan muß es ſein. Sonſt zeigen die
Menſchen mit den Fingern auf die Kinder: Die ſind's,
deren Vater ſeinen Bruder erſchlug und auf dem Hoch¬
gericht oder im Zuchthauſe ſtarb. Und wo es längſt
vergeſſen iſt, da dürfen ſie ſich nur zeigen, da wird
es wieder wach; da deuten die Menſchen wieder mit
den Fingern und wenden mit Schaudern von ihnen
ſich ab. Das Vertrau'n, das er von den Aeltern erbt,
iſt das Kapital, womit der Menſch anfängt. Es muß
ihm erwieſen werden, eh er's hat verdienen können, da¬
mit er lernt, Vertrauen zu verdienen. Wer wird ih¬
nen Vertrauen erweiſen, die mit ihres Vaters Schande
gezeichnet gehn? Wie ſollen ſie Vertrauen verdienen
lernen? Mitten unter den Menſchen von den Menſchen
ausgeſtoßen, müſſen ſie nicht werden, wie ihr Vater
war? Und ſein eigenes langes Leben voll Anſtrengung,
Ehre zu erwerben und zu bewahren, wird rückwärts
angeſteckt von des Sohnes Schmach. Die Kinder
hält man für fähig zu thun, wie der Vater that, und
es kann kein ehrlicher Vater geweſen ſein, der ſolchen
Sohn hatte! — Die Röthe glühte immer brennender
auf der eingefallenen Wange; die zuſammengeſunkene
Bruſt richtete ſich keuchend empor. Er machte unwill¬

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[214/0223] dann voll Angſt. Nichts klingt herauf. Vor ihm auf den Bretern des Gerüſtes röchelt ein ſchwerer Athem. Er hört, der Zufall, der ihm mitleidig helfend vorgreifen konnte, hat es nicht gethan. Er muß es thun, denn gethan muß es ſein. Sonſt zeigen die Menſchen mit den Fingern auf die Kinder: Die ſind's, deren Vater ſeinen Bruder erſchlug und auf dem Hoch¬ gericht oder im Zuchthauſe ſtarb. Und wo es längſt vergeſſen iſt, da dürfen ſie ſich nur zeigen, da wird es wieder wach; da deuten die Menſchen wieder mit den Fingern und wenden mit Schaudern von ihnen ſich ab. Das Vertrau'n, das er von den Aeltern erbt, iſt das Kapital, womit der Menſch anfängt. Es muß ihm erwieſen werden, eh er's hat verdienen können, da¬ mit er lernt, Vertrauen zu verdienen. Wer wird ih¬ nen Vertrauen erweiſen, die mit ihres Vaters Schande gezeichnet gehn? Wie ſollen ſie Vertrauen verdienen lernen? Mitten unter den Menſchen von den Menſchen ausgeſtoßen, müſſen ſie nicht werden, wie ihr Vater war? Und ſein eigenes langes Leben voll Anſtrengung, Ehre zu erwerben und zu bewahren, wird rückwärts angeſteckt von des Sohnes Schmach. Die Kinder hält man für fähig zu thun, wie der Vater that, und es kann kein ehrlicher Vater geweſen ſein, der ſolchen Sohn hatte! — Die Röthe glühte immer brennender auf der eingefallenen Wange; die zuſammengeſunkene Bruſt richtete ſich keuchend empor. Er machte unwill¬

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Zitationshilfe: Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/223>, abgerufen am 29.04.2024.