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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856.

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sich sagte, und als besänne sie sich, wen wohl es be¬
treffen möge. Sie ahnte wohl, es war Schreck und
Schmerz, wenn sie dahinter kam, aber sie wußte in
dem Augenblicke nicht, was Schreck ist und Schmerz;
ein traumhaftes Vorausgefühl von Händezusammen¬
schlagen, Erbleichen, Umsinken, Aufspringen, hände¬
ringendem Umhergehn, Müdigkeit, die auf jeden Stuhl,
an dem sie vorbeiwankt, niedersinken möchte, und doch
weiter getrieben wird, von fortwährendem wilden Zu¬
rückbäumen und wieder matt nach vorn auf die Brust
Sinken des Kopfes; ein traumhaftes Vorausgefühl
von alle dem wandelte in der Stube vor ihr wie ihr eigenes
undeutliches fernes Spiegelbild hinter einem bergenden
Florschleier. Näher und unterscheidbarer war ein
dumpfer Druck über der Herzgrube, der zum stechenden
Schmerze wuchs, und das angstvolle Wissen, er müsse
sie ersticken, könne sie das Weinen nicht finden, das
Alles heilen müsse. So saß sie lange regungslos und
hörte nichts von alle dem, was der alte Valentin in
seiner Angst ihr vorsprach. Es war nichts daran ver¬
loren; der Alte glaubte selbst nicht an seine Trost¬
gründe, wenn er ihr beweisen wollte, Apollonius könne
nicht verunglückt sein; er sei zu vorsichtig dazu und zu
brav. Und vollends die Geschichte aus seiner Jugend,
wo sich Leute, die nun lange todt sind, von einem ähn¬
lichen Gerüchte vergeblich hatten schrecken lassen! Er
wußte es und erzählte doch immer fort und beschrieb

Ludwig, Zwischen Himmel und Erde. 15

ſich ſagte, und als beſänne ſie ſich, wen wohl es be¬
treffen möge. Sie ahnte wohl, es war Schreck und
Schmerz, wenn ſie dahinter kam, aber ſie wußte in
dem Augenblicke nicht, was Schreck iſt und Schmerz;
ein traumhaftes Vorausgefühl von Händezuſammen¬
ſchlagen, Erbleichen, Umſinken, Aufſpringen, hände¬
ringendem Umhergehn, Müdigkeit, die auf jeden Stuhl,
an dem ſie vorbeiwankt, niederſinken möchte, und doch
weiter getrieben wird, von fortwährendem wilden Zu¬
rückbäumen und wieder matt nach vorn auf die Bruſt
Sinken des Kopfes; ein traumhaftes Vorausgefühl
von alle dem wandelte in der Stube vor ihr wie ihr eigenes
undeutliches fernes Spiegelbild hinter einem bergenden
Florſchleier. Näher und unterſcheidbarer war ein
dumpfer Druck über der Herzgrube, der zum ſtechenden
Schmerze wuchs, und das angſtvolle Wiſſen, er müſſe
ſie erſticken, könne ſie das Weinen nicht finden, das
Alles heilen müſſe. So ſaß ſie lange regungslos und
hörte nichts von alle dem, was der alte Valentin in
ſeiner Angſt ihr vorſprach. Es war nichts daran ver¬
loren; der Alte glaubte ſelbſt nicht an ſeine Troſt¬
gründe, wenn er ihr beweiſen wollte, Apollonius könne
nicht verunglückt ſein; er ſei zu vorſichtig dazu und zu
brav. Und vollends die Geſchichte aus ſeiner Jugend,
wo ſich Leute, die nun lange todt ſind, von einem ähn¬
lichen Gerüchte vergeblich hatten ſchrecken laſſen! Er
wußte es und erzählte doch immer fort und beſchrieb

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[225/0234] ſich ſagte, und als beſänne ſie ſich, wen wohl es be¬ treffen möge. Sie ahnte wohl, es war Schreck und Schmerz, wenn ſie dahinter kam, aber ſie wußte in dem Augenblicke nicht, was Schreck iſt und Schmerz; ein traumhaftes Vorausgefühl von Händezuſammen¬ ſchlagen, Erbleichen, Umſinken, Aufſpringen, hände¬ ringendem Umhergehn, Müdigkeit, die auf jeden Stuhl, an dem ſie vorbeiwankt, niederſinken möchte, und doch weiter getrieben wird, von fortwährendem wilden Zu¬ rückbäumen und wieder matt nach vorn auf die Bruſt Sinken des Kopfes; ein traumhaftes Vorausgefühl von alle dem wandelte in der Stube vor ihr wie ihr eigenes undeutliches fernes Spiegelbild hinter einem bergenden Florſchleier. Näher und unterſcheidbarer war ein dumpfer Druck über der Herzgrube, der zum ſtechenden Schmerze wuchs, und das angſtvolle Wiſſen, er müſſe ſie erſticken, könne ſie das Weinen nicht finden, das Alles heilen müſſe. So ſaß ſie lange regungslos und hörte nichts von alle dem, was der alte Valentin in ſeiner Angſt ihr vorſprach. Es war nichts daran ver¬ loren; der Alte glaubte ſelbſt nicht an ſeine Troſt¬ gründe, wenn er ihr beweiſen wollte, Apollonius könne nicht verunglückt ſein; er ſei zu vorſichtig dazu und zu brav. Und vollends die Geſchichte aus ſeiner Jugend, wo ſich Leute, die nun lange todt ſind, von einem ähn¬ lichen Gerüchte vergeblich hatten ſchrecken laſſen! Er wußte es und erzählte doch immer fort und beſchrieb Ludwig, Zwiſchen Himmel und Erde. 15

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Zitationshilfe: Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/234>, abgerufen am 29.04.2024.