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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856.

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sie hierher und in seine Arme gekommen, sie wußte
nicht, daß sie in seinen Armen lag; sie wußte nichts,
als daß er lebte. Wie konnte sie noch einen Gedanken
denken neben dem! Sie weinte und lachte zugleich, sie
umschlang ihn mit beiden Armen, um seiner gewiß zu
sein. Und doch fragte sie noch in angstvoll drängen¬
der Hast: "Und bist du's denn auch? Bist du's auch
gewiß? Und lebst noch? Und bist nicht gestürzt? Und ich
habe dich nicht getödtet? Und du bist's? Und ich bin's?
Aber er -- er kann kommen!" Sie sah sich wild um. "Er
will dich tödten. Er wird nicht eher ruhn." Sie umfaßte
ihn, als wollte sie ihn mit ihrem Leibe decken gegen einen
Feind; dann vergaß sie die Angst über der Gewi߬
heit, daß er noch lebte, und lachte wieder und weinte
zugleich und fragte ihn wieder, ob er auch noch lebe,
ob er's auch sei. Aber sie mußte ihn ja warnen. Sie
mußte ihm Alles sagen, was Jener ihm gethan, und
was er ihm noch zu thun gedroht. Sie mußte es
schnell; jeden Augenblick konnte Jener kommen. War¬
nung, süß unbewußtes Liebesgeschwätz, Weinen, La¬
chen; Seligkeit, Angst, Schmerz um das verlorene
Glück; Anklage wie des Kindes beim Vater; das Be¬
dürfniß der Liebe, mit Allem, was sie ist, was sie
freut, was sie bekümmert, ein Gedanken seines Gei¬
stes, ein Gefühl seiner Seele zu sein, das er denkt und
fühlt wie seine andern; bräutliche Verwirrung und Ver¬
gessen der ganzen Welt über den einen Augenblick, der ihr

ſie hierher und in ſeine Arme gekommen, ſie wußte
nicht, daß ſie in ſeinen Armen lag; ſie wußte nichts,
als daß er lebte. Wie konnte ſie noch einen Gedanken
denken neben dem! Sie weinte und lachte zugleich, ſie
umſchlang ihn mit beiden Armen, um ſeiner gewiß zu
ſein. Und doch fragte ſie noch in angſtvoll drängen¬
der Haſt: „Und biſt du's denn auch? Biſt du's auch
gewiß? Und lebſt noch? Und biſt nicht geſtürzt? Und ich
habe dich nicht getödtet? Und du biſt's? Und ich bin's?
Aber er — er kann kommen!“ Sie ſah ſich wild um. „Er
will dich tödten. Er wird nicht eher ruhn.“ Sie umfaßte
ihn, als wollte ſie ihn mit ihrem Leibe decken gegen einen
Feind; dann vergaß ſie die Angſt über der Gewi߬
heit, daß er noch lebte, und lachte wieder und weinte
zugleich und fragte ihn wieder, ob er auch noch lebe,
ob er's auch ſei. Aber ſie mußte ihn ja warnen. Sie
mußte ihm Alles ſagen, was Jener ihm gethan, und
was er ihm noch zu thun gedroht. Sie mußte es
ſchnell; jeden Augenblick konnte Jener kommen. War¬
nung, ſüß unbewußtes Liebesgeſchwätz, Weinen, La¬
chen; Seligkeit, Angſt, Schmerz um das verlorene
Glück; Anklage wie des Kindes beim Vater; das Be¬
dürfniß der Liebe, mit Allem, was ſie iſt, was ſie
freut, was ſie bekümmert, ein Gedanken ſeines Gei¬
ſtes, ein Gefühl ſeiner Seele zu ſein, das er denkt und
fühlt wie ſeine andern; bräutliche Verwirrung und Ver¬
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[233/0242] ſie hierher und in ſeine Arme gekommen, ſie wußte nicht, daß ſie in ſeinen Armen lag; ſie wußte nichts, als daß er lebte. Wie konnte ſie noch einen Gedanken denken neben dem! Sie weinte und lachte zugleich, ſie umſchlang ihn mit beiden Armen, um ſeiner gewiß zu ſein. Und doch fragte ſie noch in angſtvoll drängen¬ der Haſt: „Und biſt du's denn auch? Biſt du's auch gewiß? Und lebſt noch? Und biſt nicht geſtürzt? Und ich habe dich nicht getödtet? Und du biſt's? Und ich bin's? Aber er — er kann kommen!“ Sie ſah ſich wild um. „Er will dich tödten. Er wird nicht eher ruhn.“ Sie umfaßte ihn, als wollte ſie ihn mit ihrem Leibe decken gegen einen Feind; dann vergaß ſie die Angſt über der Gewi߬ heit, daß er noch lebte, und lachte wieder und weinte zugleich und fragte ihn wieder, ob er auch noch lebe, ob er's auch ſei. Aber ſie mußte ihn ja warnen. Sie mußte ihm Alles ſagen, was Jener ihm gethan, und was er ihm noch zu thun gedroht. Sie mußte es ſchnell; jeden Augenblick konnte Jener kommen. War¬ nung, ſüß unbewußtes Liebesgeſchwätz, Weinen, La¬ chen; Seligkeit, Angſt, Schmerz um das verlorene Glück; Anklage wie des Kindes beim Vater; das Be¬ dürfniß der Liebe, mit Allem, was ſie iſt, was ſie freut, was ſie bekümmert, ein Gedanken ſeines Gei¬ ſtes, ein Gefühl ſeiner Seele zu ſein, das er denkt und fühlt wie ſeine andern; bräutliche Verwirrung und Ver¬ geſſen der ganzen Welt über den einen Augenblick, der ihr

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Zitationshilfe: Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/242>, abgerufen am 29.04.2024.