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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856.

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So schwärmte, lachte und weinte das fiebernde
Weib in seinen Armen fort. Alles vergessen, wie ein
Kind an einem Abgrund spielend, den es nicht sieht,
ruft sie unbewußt eine Gefahr herbei, tödtlicher als
die, über deren Vorbeigehen sie jubelt, drohender als
die, wogegen sie den Mann mit ihrem Leibe decken
will. Sie ahnt nicht, was ihr leidenschaftlich Thun,
die Süßigkeit ihrer unbekümmerten Hingebung, was
ihre Liebkosungen, was ihr warmes, schwellendes Um¬
fangen in dem Manne aufregen muß, der sie liebt;
daß sie Alles thut, was den Mann, dessen Rechtlich¬
keit und Edelmuth sie sich so unbekümmert anheim
giebt, Rechtlichkeit und Edelmuth im Tumulte des Blu¬
tes vergessen machen kann. Sie hat keine Ahnung,
welchen Kampf sie in ihm entzündet, und wie sie ihm
den Sieg erschwert, wenn nicht unmöglich macht. Und
er weiß nun, das Weib in seinen Armen war sein;
der Bruder hat ihn um sie und sie um ihn betrogen.
Jetzt weiß er's, wo das Weib in seinen Armen ihm
die Größe des Glückes zeigt, um das der Bruder ihn
betrogen hat. Er hat sie geraubt und noch mißhan¬
delt; und für Alles, was er um ihn gelitten, gethan,
verfolgt er ihn noch und steht ihm nach dem Leben.
Gehört das Weib dem, der sie ihm gestohlen, der sie
mißhandelt, den sie haßt? Oder ihm, dem sie schänd¬
lich gestohlen worden ist, der sie liebt, den sie liebt?

So ſchwärmte, lachte und weinte das fiebernde
Weib in ſeinen Armen fort. Alles vergeſſen, wie ein
Kind an einem Abgrund ſpielend, den es nicht ſieht,
ruft ſie unbewußt eine Gefahr herbei, tödtlicher als
die, über deren Vorbeigehen ſie jubelt, drohender als
die, wogegen ſie den Mann mit ihrem Leibe decken
will. Sie ahnt nicht, was ihr leidenſchaftlich Thun,
die Süßigkeit ihrer unbekümmerten Hingebung, was
ihre Liebkoſungen, was ihr warmes, ſchwellendes Um¬
fangen in dem Manne aufregen muß, der ſie liebt;
daß ſie Alles thut, was den Mann, deſſen Rechtlich¬
keit und Edelmuth ſie ſich ſo unbekümmert anheim
giebt, Rechtlichkeit und Edelmuth im Tumulte des Blu¬
tes vergeſſen machen kann. Sie hat keine Ahnung,
welchen Kampf ſie in ihm entzündet, und wie ſie ihm
den Sieg erſchwert, wenn nicht unmöglich macht. Und
er weiß nun, das Weib in ſeinen Armen war ſein;
der Bruder hat ihn um ſie und ſie um ihn betrogen.
Jetzt weiß er's, wo das Weib in ſeinen Armen ihm
die Größe des Glückes zeigt, um das der Bruder ihn
betrogen hat. Er hat ſie geraubt und noch mißhan¬
delt; und für Alles, was er um ihn gelitten, gethan,
verfolgt er ihn noch und ſteht ihm nach dem Leben.
Gehört das Weib dem, der ſie ihm geſtohlen, der ſie
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[236/0245] So ſchwärmte, lachte und weinte das fiebernde Weib in ſeinen Armen fort. Alles vergeſſen, wie ein Kind an einem Abgrund ſpielend, den es nicht ſieht, ruft ſie unbewußt eine Gefahr herbei, tödtlicher als die, über deren Vorbeigehen ſie jubelt, drohender als die, wogegen ſie den Mann mit ihrem Leibe decken will. Sie ahnt nicht, was ihr leidenſchaftlich Thun, die Süßigkeit ihrer unbekümmerten Hingebung, was ihre Liebkoſungen, was ihr warmes, ſchwellendes Um¬ fangen in dem Manne aufregen muß, der ſie liebt; daß ſie Alles thut, was den Mann, deſſen Rechtlich¬ keit und Edelmuth ſie ſich ſo unbekümmert anheim giebt, Rechtlichkeit und Edelmuth im Tumulte des Blu¬ tes vergeſſen machen kann. Sie hat keine Ahnung, welchen Kampf ſie in ihm entzündet, und wie ſie ihm den Sieg erſchwert, wenn nicht unmöglich macht. Und er weiß nun, das Weib in ſeinen Armen war ſein; der Bruder hat ihn um ſie und ſie um ihn betrogen. Jetzt weiß er's, wo das Weib in ſeinen Armen ihm die Größe des Glückes zeigt, um das der Bruder ihn betrogen hat. Er hat ſie geraubt und noch mißhan¬ delt; und für Alles, was er um ihn gelitten, gethan, verfolgt er ihn noch und ſteht ihm nach dem Leben. Gehört das Weib dem, der ſie ihm geſtohlen, der ſie mißhandelt, den ſie haßt? Oder ihm, dem ſie ſchänd¬ lich geſtohlen worden iſt, der ſie liebt, den ſie liebt?

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Zitationshilfe: Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/245>, abgerufen am 29.04.2024.