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Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883.

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Die formelle Entwickelung der Mechanik.
Sinn. Wir beginnen bei Nachbildung der Thatsachen
mit den stabilern gewöhnlichen uns geläufigen Com-
plexen, und fügen nachträglich das Ungewöhnliche corri-
girend hinzu. Wenn wir z. B. von einem durchbohrten
Cylinder, von einem Würfel mit abgestutzten Ecken
sprechen, so ist dies genau genommen eigentlich ein
Widerspruch, wenn wir nicht die eben angegebene
Auffassung annehmen. Alle Urtheile sind derartige
Ergänzungen und Correcturen schon vorhandener Vor-
stellungen.

3. Wenn wir von Ursache und Wirkung sprechen, so
heben wir willkürlich jene Momente heraus, auf deren
Zusammenhang wir bei Nachbildung einer Thatsache in
der für uns wichtigen Richtung zu achten haben. In
der Natur gibt es keine Ursache und keine Wirkung.
Die Natur ist nur einmal da. Wiederholungen gleicher
Fälle, in welchen A immer mit B verknüpft wäre, also
gleiche Erfolge unter gleichen Umständen, also das
Wesentliche des Zusammenhanges von Ursache und
Wirkung, existiren nur in der Abstraction, die wir zum
Zweck der Nachbildung der Thatsachen vornehmen.
Ist uns eine Thatsache geläufig geworden, so bedürfen
wir dieser Heraushebung der zusammenhängenden Merk-
male nicht mehr, wir machen uns nicht mehr auf das
Neue, Auffallende aufmerksam, wir sprechen nicht mehr
von Ursache und Wirkung. Die Wärme ist die Ursache
der Spannkraft des Dampfes. Ist uns das Verhältniss
geläufig geworden, so stellen wir uns den Dampf gleich
mit der zu seiner Temperatur gehörigen Spannkraft
vor. Die Säure ist die Ursache der Röthung der
Lackmustinctur. Später gehört aber diese Röthung unter
die Eigenschaften der Säure.

Hume hat sich zuerst die Frage vorgelegt: Wie kann
ein Ding A auf ein anderes B wirken? Er erkennt
auch keine Causalität, sondern nur eine uns gewöhn-
lich und geläufig gewordene Zeitfolge an. Kant hat
richtig erkannt, dass nicht die blosse Beobachtung uns
die Nothwendigkeit der Verknüpfung von A und B

Die formelle Entwickelung der Mechanik.
Sinn. Wir beginnen bei Nachbildung der Thatsachen
mit den stabilern gewöhnlichen uns geläufigen Com-
plexen, und fügen nachträglich das Ungewöhnliche corri-
girend hinzu. Wenn wir z. B. von einem durchbohrten
Cylinder, von einem Würfel mit abgestutzten Ecken
sprechen, so ist dies genau genommen eigentlich ein
Widerspruch, wenn wir nicht die eben angegebene
Auffassung annehmen. Alle Urtheile sind derartige
Ergänzungen und Correcturen schon vorhandener Vor-
stellungen.

3. Wenn wir von Ursache und Wirkung sprechen, so
heben wir willkürlich jene Momente heraus, auf deren
Zusammenhang wir bei Nachbildung einer Thatsache in
der für uns wichtigen Richtung zu achten haben. In
der Natur gibt es keine Ursache und keine Wirkung.
Die Natur ist nur einmal da. Wiederholungen gleicher
Fälle, in welchen A immer mit B verknüpft wäre, also
gleiche Erfolge unter gleichen Umständen, also das
Wesentliche des Zusammenhanges von Ursache und
Wirkung, existiren nur in der Abstraction, die wir zum
Zweck der Nachbildung der Thatsachen vornehmen.
Ist uns eine Thatsache geläufig geworden, so bedürfen
wir dieser Heraushebung der zusammenhängenden Merk-
male nicht mehr, wir machen uns nicht mehr auf das
Neue, Auffallende aufmerksam, wir sprechen nicht mehr
von Ursache und Wirkung. Die Wärme ist die Ursache
der Spannkraft des Dampfes. Ist uns das Verhältniss
geläufig geworden, so stellen wir uns den Dampf gleich
mit der zu seiner Temperatur gehörigen Spannkraft
vor. Die Säure ist die Ursache der Röthung der
Lackmustinctur. Später gehört aber diese Röthung unter
die Eigenschaften der Säure.

Hume hat sich zuerst die Frage vorgelegt: Wie kann
ein Ding A auf ein anderes B wirken? Er erkennt
auch keine Causalität, sondern nur eine uns gewöhn-
lich und geläufig gewordene Zeitfolge an. Kant hat
richtig erkannt, dass nicht die blosse Beobachtung uns
die Nothwendigkeit der Verknüpfung von A und B

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[455/0467] Die formelle Entwickelung der Mechanik. Sinn. Wir beginnen bei Nachbildung der Thatsachen mit den stabilern gewöhnlichen uns geläufigen Com- plexen, und fügen nachträglich das Ungewöhnliche corri- girend hinzu. Wenn wir z. B. von einem durchbohrten Cylinder, von einem Würfel mit abgestutzten Ecken sprechen, so ist dies genau genommen eigentlich ein Widerspruch, wenn wir nicht die eben angegebene Auffassung annehmen. Alle Urtheile sind derartige Ergänzungen und Correcturen schon vorhandener Vor- stellungen. 3. Wenn wir von Ursache und Wirkung sprechen, so heben wir willkürlich jene Momente heraus, auf deren Zusammenhang wir bei Nachbildung einer Thatsache in der für uns wichtigen Richtung zu achten haben. In der Natur gibt es keine Ursache und keine Wirkung. Die Natur ist nur einmal da. Wiederholungen gleicher Fälle, in welchen A immer mit B verknüpft wäre, also gleiche Erfolge unter gleichen Umständen, also das Wesentliche des Zusammenhanges von Ursache und Wirkung, existiren nur in der Abstraction, die wir zum Zweck der Nachbildung der Thatsachen vornehmen. Ist uns eine Thatsache geläufig geworden, so bedürfen wir dieser Heraushebung der zusammenhängenden Merk- male nicht mehr, wir machen uns nicht mehr auf das Neue, Auffallende aufmerksam, wir sprechen nicht mehr von Ursache und Wirkung. Die Wärme ist die Ursache der Spannkraft des Dampfes. Ist uns das Verhältniss geläufig geworden, so stellen wir uns den Dampf gleich mit der zu seiner Temperatur gehörigen Spannkraft vor. Die Säure ist die Ursache der Röthung der Lackmustinctur. Später gehört aber diese Röthung unter die Eigenschaften der Säure. Hume hat sich zuerst die Frage vorgelegt: Wie kann ein Ding A auf ein anderes B wirken? Er erkennt auch keine Causalität, sondern nur eine uns gewöhn- lich und geläufig gewordene Zeitfolge an. Kant hat richtig erkannt, dass nicht die blosse Beobachtung uns die Nothwendigkeit der Verknüpfung von A und B

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Zitationshilfe: Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 455. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/467>, abgerufen am 27.04.2024.