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Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883.

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Beziehungen der Mechanik zu andern Wissensgebieten.
Spannkraft (der potentiellen Energie) und der lebendigen
Kraft (der kinetischen Energie) im System constant
bleibt. Da nun in der Natur überhaupt für eine ge-
leistete Arbeit nicht nur lebendige Kraft, sondern
auch eine Wärmemenge, oder das Potential einer elek-
trischen Ladung u. s. w. auftreten kann, so sah man
hierin den Ausdruck eines mechanischen allen Na-
turerscheinungen zu Grunde liegenden Vorganges. Es
spricht sich aber hierin nichts aus, als ein unveränder-
licher quantitativer Zusammenhang zwischen mecha-
nischen und andern Vorgängen.

4. Es wäre ein Irrthum zu glauben, dass ein grosser
und weiter Blick in die Naturwissenschaft erst durch die
mechanische Naturansicht hineingekommen ist. Derselbe
war vielmehr zu allen Zeiten den ersten Forschern eigen
und hat schon beim Aufbau der Mechanik mitgewirkt,
ist also nicht erst durch diese entstanden. Galilei und
Huyghens haben stets mit der Betrachtung des Ein-
zelnen und des grossen Ganzen gewechselt, und sind in
dem Bestreben nach einer einfachen und widerspruchs-
losen Auffassung zu ihren Ergebnissen gelangt. Dass
die Geschwindigkeiten einzelner Körper und Systeme
an die Falltiefen gebunden sind, erkennen Galilei und
Huyghens nur durch die genaueste Untersuchung der
Fallbewegung im Einzelnen zugleich mit der Beachtung
des Umstandes, dass die Körper von selbst überhaupt nur
sinken. Huyghens betont schon bei dieser Gelegenheit
die Unmöglichkeit eines mechanischen Perpetuum mo-
bile, er hat also schon den modernen Standpunkt. Er
fühlt die Unvereinbarkeit der Vorstellung des Per-
petuum mobile mit den ihm geläufigen Vorstellungen der
mechanischen Naturvorgänge.

Die Stevin'schen Fictionen, z. B. jene der geschlossenen
Kette auf dem Prisma, sind ebenfalls Beispiele eines
solchen weiten Blickes. Es ist die an vielen Erfah-
rungen geschulte Vorstellung, welche an den einzelnen
Fall herangebracht wird. Die bewegte geschlossene
Kette erscheint Stevin als eine Fallbewegung ohne Fall,

Beziehungen der Mechanik zu andern Wissensgebieten.
Spannkraft (der potentiellen Energie) und der lebendigen
Kraft (der kinetischen Energie) im System constant
bleibt. Da nun in der Natur überhaupt für eine ge-
leistete Arbeit nicht nur lebendige Kraft, sondern
auch eine Wärmemenge, oder das Potential einer elek-
trischen Ladung u. s. w. auftreten kann, so sah man
hierin den Ausdruck eines mechanischen allen Na-
turerscheinungen zu Grunde liegenden Vorganges. Es
spricht sich aber hierin nichts aus, als ein unveränder-
licher quantitativer Zusammenhang zwischen mecha-
nischen und andern Vorgängen.

4. Es wäre ein Irrthum zu glauben, dass ein grosser
und weiter Blick in die Naturwissenschaft erst durch die
mechanische Naturansicht hineingekommen ist. Derselbe
war vielmehr zu allen Zeiten den ersten Forschern eigen
und hat schon beim Aufbau der Mechanik mitgewirkt,
ist also nicht erst durch diese entstanden. Galilei und
Huyghens haben stets mit der Betrachtung des Ein-
zelnen und des grossen Ganzen gewechselt, und sind in
dem Bestreben nach einer einfachen und widerspruchs-
losen Auffassung zu ihren Ergebnissen gelangt. Dass
die Geschwindigkeiten einzelner Körper und Systeme
an die Falltiefen gebunden sind, erkennen Galilei und
Huyghens nur durch die genaueste Untersuchung der
Fallbewegung im Einzelnen zugleich mit der Beachtung
des Umstandes, dass die Körper von selbst überhaupt nur
sinken. Huyghens betont schon bei dieser Gelegenheit
die Unmöglichkeit eines mechanischen Perpetuum mo-
bile, er hat also schon den modernen Standpunkt. Er
fühlt die Unvereinbarkeit der Vorstellung des Per-
petuum mobile mit den ihm geläufigen Vorstellungen der
mechanischen Naturvorgänge.

Die Stevin’schen Fictionen, z. B. jene der geschlossenen
Kette auf dem Prisma, sind ebenfalls Beispiele eines
solchen weiten Blickes. Es ist die an vielen Erfah-
rungen geschulte Vorstellung, welche an den einzelnen
Fall herangebracht wird. Die bewegte geschlossene
Kette erscheint Stevin als eine Fallbewegung ohne Fall,

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[471/0483] Beziehungen der Mechanik zu andern Wissensgebieten. Spannkraft (der potentiellen Energie) und der lebendigen Kraft (der kinetischen Energie) im System constant bleibt. Da nun in der Natur überhaupt für eine ge- leistete Arbeit nicht nur lebendige Kraft, sondern auch eine Wärmemenge, oder das Potential einer elek- trischen Ladung u. s. w. auftreten kann, so sah man hierin den Ausdruck eines mechanischen allen Na- turerscheinungen zu Grunde liegenden Vorganges. Es spricht sich aber hierin nichts aus, als ein unveränder- licher quantitativer Zusammenhang zwischen mecha- nischen und andern Vorgängen. 4. Es wäre ein Irrthum zu glauben, dass ein grosser und weiter Blick in die Naturwissenschaft erst durch die mechanische Naturansicht hineingekommen ist. Derselbe war vielmehr zu allen Zeiten den ersten Forschern eigen und hat schon beim Aufbau der Mechanik mitgewirkt, ist also nicht erst durch diese entstanden. Galilei und Huyghens haben stets mit der Betrachtung des Ein- zelnen und des grossen Ganzen gewechselt, und sind in dem Bestreben nach einer einfachen und widerspruchs- losen Auffassung zu ihren Ergebnissen gelangt. Dass die Geschwindigkeiten einzelner Körper und Systeme an die Falltiefen gebunden sind, erkennen Galilei und Huyghens nur durch die genaueste Untersuchung der Fallbewegung im Einzelnen zugleich mit der Beachtung des Umstandes, dass die Körper von selbst überhaupt nur sinken. Huyghens betont schon bei dieser Gelegenheit die Unmöglichkeit eines mechanischen Perpetuum mo- bile, er hat also schon den modernen Standpunkt. Er fühlt die Unvereinbarkeit der Vorstellung des Per- petuum mobile mit den ihm geläufigen Vorstellungen der mechanischen Naturvorgänge. Die Stevin’schen Fictionen, z. B. jene der geschlossenen Kette auf dem Prisma, sind ebenfalls Beispiele eines solchen weiten Blickes. Es ist die an vielen Erfah- rungen geschulte Vorstellung, welche an den einzelnen Fall herangebracht wird. Die bewegte geschlossene Kette erscheint Stevin als eine Fallbewegung ohne Fall,

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Zitationshilfe: Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 471. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/483>, abgerufen am 27.04.2024.