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Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883.

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Fünftes Kapitel.
als eine ziellose Bewegung, wie eine absichtliche
Handlung, die der Absicht nicht entspricht, ein Streben
nach einer Aenderung, das jene Aenderung nicht her-
beiführt. Wenn die Bewegung im allgemeinen an das
Sinken gebunden ist, so ist auch im speciellen Fall an
die Bewegung das Sinken gebunden. Es ist das Ge-
fühl der gegenseitigen Abhängigkeit von v und h
in der Gleichung [Formel 1] , welches hier, wenn auch
nicht in so bestimmter Form, auftritt. Für Stevin's
feines Forschergefühl besteht in der Fiction ein Wider-
spruch, der weniger tiefen Denkern entgehen kann.

Derselbe, das Einzelne mit dem Ganzen, das Beson-
dere mit dem Allgemeinen vergleichende Blick zeigt
sich, nur nicht auf Mechanik beschränkt, in den Ar-
beiten von S. Carnot. Wenn Carnot findet, dass die
von einer höhern Temperatur t auf eine tiefere Tem-
peratur t' für die Arbeitsleistung L abgeflossene Wärme-
menge Q nur von den Temperaturen und nicht von
der Natur der Körper abhängen kann, so denkt er
ganz nach der Methode Galilei's. Ebenso verfährt J. R.
Mayer bei Aufstellung seines Satzes der Aequivalenz
von Wärme und Arbeit. Die mechanische Naturansicht
bleibt ihm hierbei fremd, und er bedarf ihrer gar nicht.
Wer die Krücke der mechanischen Naturansicht braucht,
um zur Erkenntniss der Aequivalenz von Wärme und
Arbeit zu gelangen, hat den Fortschritt, der darin
liegt, nur halb begriffen. Stellt man aber auch Mayer's
originelle Leistung noch so hoch, so ist es deshalb
nicht nöthig, die Verdienste der Fachphysiker Joule,
Helmholtz, Clausius, Thomson, welche sehr viel, viel-
leicht alles, zur Befestigung und Ausbildung der
neuen Anschauung im Einzelnen beigetragen haben, zu
unterschätzen. Die Annahme einer Entlehnung der
Mayer'schen Ideen erscheint uns ebenfalls unnöthig.
Wer sie vertritt hat zudem auch die Verpflichtung,
sie zu beweisen. Ein mehrfaches Auftreten derselben
Idee ist in der Geschichte nicht neu. Die Discussion
von Personalfragen, die nach 30 Jahren schon kein

Fünftes Kapitel.
als eine ziellose Bewegung, wie eine absichtliche
Handlung, die der Absicht nicht entspricht, ein Streben
nach einer Aenderung, das jene Aenderung nicht her-
beiführt. Wenn die Bewegung im allgemeinen an das
Sinken gebunden ist, so ist auch im speciellen Fall an
die Bewegung das Sinken gebunden. Es ist das Ge-
fühl der gegenseitigen Abhängigkeit von v und h
in der Gleichung [Formel 1] , welches hier, wenn auch
nicht in so bestimmter Form, auftritt. Für Stevin’s
feines Forschergefühl besteht in der Fiction ein Wider-
spruch, der weniger tiefen Denkern entgehen kann.

Derselbe, das Einzelne mit dem Ganzen, das Beson-
dere mit dem Allgemeinen vergleichende Blick zeigt
sich, nur nicht auf Mechanik beschränkt, in den Ar-
beiten von S. Carnot. Wenn Carnot findet, dass die
von einer höhern Temperatur t auf eine tiefere Tem-
peratur t′ für die Arbeitsleistung L abgeflossene Wärme-
menge Q nur von den Temperaturen und nicht von
der Natur der Körper abhängen kann, so denkt er
ganz nach der Methode Galilei’s. Ebenso verfährt J. R.
Mayer bei Aufstellung seines Satzes der Aequivalenz
von Wärme und Arbeit. Die mechanische Naturansicht
bleibt ihm hierbei fremd, und er bedarf ihrer gar nicht.
Wer die Krücke der mechanischen Naturansicht braucht,
um zur Erkenntniss der Aequivalenz von Wärme und
Arbeit zu gelangen, hat den Fortschritt, der darin
liegt, nur halb begriffen. Stellt man aber auch Mayer’s
originelle Leistung noch so hoch, so ist es deshalb
nicht nöthig, die Verdienste der Fachphysiker Joule,
Helmholtz, Clausius, Thomson, welche sehr viel, viel-
leicht alles, zur Befestigung und Ausbildung der
neuen Anschauung im Einzelnen beigetragen haben, zu
unterschätzen. Die Annahme einer Entlehnung der
Mayer’schen Ideen erscheint uns ebenfalls unnöthig.
Wer sie vertritt hat zudem auch die Verpflichtung,
sie zu beweisen. Ein mehrfaches Auftreten derselben
Idee ist in der Geschichte nicht neu. Die Discussion
von Personalfragen, die nach 30 Jahren schon kein

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[472/0484] Fünftes Kapitel. als eine ziellose Bewegung, wie eine absichtliche Handlung, die der Absicht nicht entspricht, ein Streben nach einer Aenderung, das jene Aenderung nicht her- beiführt. Wenn die Bewegung im allgemeinen an das Sinken gebunden ist, so ist auch im speciellen Fall an die Bewegung das Sinken gebunden. Es ist das Ge- fühl der gegenseitigen Abhängigkeit von v und h in der Gleichung [FORMEL], welches hier, wenn auch nicht in so bestimmter Form, auftritt. Für Stevin’s feines Forschergefühl besteht in der Fiction ein Wider- spruch, der weniger tiefen Denkern entgehen kann. Derselbe, das Einzelne mit dem Ganzen, das Beson- dere mit dem Allgemeinen vergleichende Blick zeigt sich, nur nicht auf Mechanik beschränkt, in den Ar- beiten von S. Carnot. Wenn Carnot findet, dass die von einer höhern Temperatur t auf eine tiefere Tem- peratur t′ für die Arbeitsleistung L abgeflossene Wärme- menge Q nur von den Temperaturen und nicht von der Natur der Körper abhängen kann, so denkt er ganz nach der Methode Galilei’s. Ebenso verfährt J. R. Mayer bei Aufstellung seines Satzes der Aequivalenz von Wärme und Arbeit. Die mechanische Naturansicht bleibt ihm hierbei fremd, und er bedarf ihrer gar nicht. Wer die Krücke der mechanischen Naturansicht braucht, um zur Erkenntniss der Aequivalenz von Wärme und Arbeit zu gelangen, hat den Fortschritt, der darin liegt, nur halb begriffen. Stellt man aber auch Mayer’s originelle Leistung noch so hoch, so ist es deshalb nicht nöthig, die Verdienste der Fachphysiker Joule, Helmholtz, Clausius, Thomson, welche sehr viel, viel- leicht alles, zur Befestigung und Ausbildung der neuen Anschauung im Einzelnen beigetragen haben, zu unterschätzen. Die Annahme einer Entlehnung der Mayer’schen Ideen erscheint uns ebenfalls unnöthig. Wer sie vertritt hat zudem auch die Verpflichtung, sie zu beweisen. Ein mehrfaches Auftreten derselben Idee ist in der Geschichte nicht neu. Die Discussion von Personalfragen, die nach 30 Jahren schon kein

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Zitationshilfe: Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 472. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/484>, abgerufen am 27.04.2024.