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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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§ 26. Staatshaushaltsgesetz und Finanzgewalt.

Wir bewegen uns also bei dieser Auffassung auf dem Boden
eines gegenseitigen Verhältnisses zwischen Regierung und Volks-
vertretung. Diese ist verpflichtet, das Nötige zu bewilligen, damit
jene die Geschäfte führen könne, aber andererseits ermisst sie selbst,
was nötig ist und wofür die Steuern bewilligt sein sollen; sie giebt
den bewilligten Steuergeldern ihre Bestimmung mit, bindend für die
Regierung. In diesem Sinne spricht man von einem Steuerbewilli-
gungsrecht, welches der Volksvertretung der Regierung gegenüber zu-
stehen soll und das sich nun von selbst als ihr Budgetrecht mit
allen seinen Einzelheiten entfaltet. Sobald Steuern erhoben werden
sollen, muss man ihr den Staatshaushaltsplan vorlegen, der eine Auf-
stellung der bevorstehenden Einnahmen und Ausgaben enthält7. Sie
schätzt die Einnahmen, erkennt die Ausgaben nach Gegenstand und
Höhe an, wie sie es pflichtmässig für richtig findet, und bewilligt für
den zu deckenden Saldo die nötigen Steuern. Dann sind die sämt-
lichen Mittel des Staates an die Einhaltung der Grenzen der "be-
willigten" Ausgaben gebunden. In jeder Ausgabe steckt Steuergeld8.
Eine Überschreitung dieser Ausgaben durch die Regierung ist Ver-
letzung des Steuerbewilligungsrechts der Volksvertretung und be-
gründet die Ministerverantwortlichkeit.

So ist die Sache in den ursprünglichen Verfassungen gedacht. Die
spätere Entwicklung hat den darin enthaltenen Kern zum Teil in
andere Formen gekleidet.

Es sind vor allem zwei Erscheinungen, die da in Betracht
kommen.

1. Die Feststellung des Staatshaushaltsplanes ist wesentlich ein
Beschluss der Volksvertretung, den die Regierung dann, von dem Fall
des Verfassungskonfliktes abgesehen, einfach hinnimmt9. Es hat sich

7 Leroy-Beaulieu, science des fin. II S. 3: "L'origine de ces budgets ou
etats de prevoyance, c'est le droit qu'a la nation de refuser ou d'accorder des
impots". Es handelt sich also nicht um eine blosse Klugheitsmassregel der Finanz-
verwaltung. Der Zusammenhang tritt in den süddeutschen Verfassungen aufs deut-
lichste hervor; Bornhak, Preuss. St.R. III S. 575 ff.
8 Seydel, Bayr. St.R. IV S. 399 Anm. 1. Er vergleicht (S. 401 ff.) sehr
richtig die bindende Wirkung der Steuerbewilligung auf die Gesamtheit des
Budgets mit der der Appropriationsklausel des englischen Rechts.
9 Die Erklärung der Menschenrechte von 1789 Art. 14 beansprucht als Recht
der Bürger lediglich; "de constater par eux memes ou par leurs representants la
necessite de la contribution publique, de la consentir librement et d'en suivre
l'emploi". In diesem Satz, der das ganze Wesen des Budgetrechts enthält, ist
von Gesetz keine Rede. Ein Budgetgesetz wird erst in der Verfassung vom
22. frim. VIII Art. 45 erwähnt. Nach dieser Verfassung sollen eben alle Akte des
§ 26. Staatshaushaltsgesetz und Finanzgewalt.

Wir bewegen uns also bei dieser Auffassung auf dem Boden
eines gegenseitigen Verhältnisses zwischen Regierung und Volks-
vertretung. Diese ist verpflichtet, das Nötige zu bewilligen, damit
jene die Geschäfte führen könne, aber andererseits ermiſst sie selbst,
was nötig ist und wofür die Steuern bewilligt sein sollen; sie giebt
den bewilligten Steuergeldern ihre Bestimmung mit, bindend für die
Regierung. In diesem Sinne spricht man von einem Steuerbewilli-
gungsrecht, welches der Volksvertretung der Regierung gegenüber zu-
stehen soll und das sich nun von selbst als ihr Budgetrecht mit
allen seinen Einzelheiten entfaltet. Sobald Steuern erhoben werden
sollen, muſs man ihr den Staatshaushaltsplan vorlegen, der eine Auf-
stellung der bevorstehenden Einnahmen und Ausgaben enthält7. Sie
schätzt die Einnahmen, erkennt die Ausgaben nach Gegenstand und
Höhe an, wie sie es pflichtmäſsig für richtig findet, und bewilligt für
den zu deckenden Saldo die nötigen Steuern. Dann sind die sämt-
lichen Mittel des Staates an die Einhaltung der Grenzen der „be-
willigten“ Ausgaben gebunden. In jeder Ausgabe steckt Steuergeld8.
Eine Überschreitung dieser Ausgaben durch die Regierung ist Ver-
letzung des Steuerbewilligungsrechts der Volksvertretung und be-
gründet die Ministerverantwortlichkeit.

So ist die Sache in den ursprünglichen Verfassungen gedacht. Die
spätere Entwicklung hat den darin enthaltenen Kern zum Teil in
andere Formen gekleidet.

Es sind vor allem zwei Erscheinungen, die da in Betracht
kommen.

1. Die Feststellung des Staatshaushaltsplanes ist wesentlich ein
Beschluſs der Volksvertretung, den die Regierung dann, von dem Fall
des Verfassungskonfliktes abgesehen, einfach hinnimmt9. Es hat sich

7 Leroy-Beaulieu, science des fin. II S. 3: „L’origine de ces budgets ou
états de prévoyance, c’est le droit qu’a la nation de refuser ou d’accorder des
impôts“. Es handelt sich also nicht um eine bloſse Klugheitsmaſsregel der Finanz-
verwaltung. Der Zusammenhang tritt in den süddeutschen Verfassungen aufs deut-
lichste hervor; Bornhak, Preuſs. St.R. III S. 575 ff.
8 Seydel, Bayr. St.R. IV S. 399 Anm. 1. Er vergleicht (S. 401 ff.) sehr
richtig die bindende Wirkung der Steuerbewilligung auf die Gesamtheit des
Budgets mit der der Appropriationsklausel des englischen Rechts.
9 Die Erklärung der Menschenrechte von 1789 Art. 14 beansprucht als Recht
der Bürger lediglich; „de constater par eux mêmes ou par leurs représentants la
nécessité de la contribution publique, de la consentir librement et d’en suivre
l’emploi“. In diesem Satz, der das ganze Wesen des Budgetrechts enthält, ist
von Gesetz keine Rede. Ein Budgetgesetz wird erst in der Verfassung vom
22. frim. VIII Art. 45 erwähnt. Nach dieser Verfassung sollen eben alle Akte des
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[381/0401] § 26. Staatshaushaltsgesetz und Finanzgewalt. Wir bewegen uns also bei dieser Auffassung auf dem Boden eines gegenseitigen Verhältnisses zwischen Regierung und Volks- vertretung. Diese ist verpflichtet, das Nötige zu bewilligen, damit jene die Geschäfte führen könne, aber andererseits ermiſst sie selbst, was nötig ist und wofür die Steuern bewilligt sein sollen; sie giebt den bewilligten Steuergeldern ihre Bestimmung mit, bindend für die Regierung. In diesem Sinne spricht man von einem Steuerbewilli- gungsrecht, welches der Volksvertretung der Regierung gegenüber zu- stehen soll und das sich nun von selbst als ihr Budgetrecht mit allen seinen Einzelheiten entfaltet. Sobald Steuern erhoben werden sollen, muſs man ihr den Staatshaushaltsplan vorlegen, der eine Auf- stellung der bevorstehenden Einnahmen und Ausgaben enthält 7. Sie schätzt die Einnahmen, erkennt die Ausgaben nach Gegenstand und Höhe an, wie sie es pflichtmäſsig für richtig findet, und bewilligt für den zu deckenden Saldo die nötigen Steuern. Dann sind die sämt- lichen Mittel des Staates an die Einhaltung der Grenzen der „be- willigten“ Ausgaben gebunden. In jeder Ausgabe steckt Steuergeld 8. Eine Überschreitung dieser Ausgaben durch die Regierung ist Ver- letzung des Steuerbewilligungsrechts der Volksvertretung und be- gründet die Ministerverantwortlichkeit. So ist die Sache in den ursprünglichen Verfassungen gedacht. Die spätere Entwicklung hat den darin enthaltenen Kern zum Teil in andere Formen gekleidet. Es sind vor allem zwei Erscheinungen, die da in Betracht kommen. 1. Die Feststellung des Staatshaushaltsplanes ist wesentlich ein Beschluſs der Volksvertretung, den die Regierung dann, von dem Fall des Verfassungskonfliktes abgesehen, einfach hinnimmt 9. Es hat sich 7 Leroy-Beaulieu, science des fin. II S. 3: „L’origine de ces budgets ou états de prévoyance, c’est le droit qu’a la nation de refuser ou d’accorder des impôts“. Es handelt sich also nicht um eine bloſse Klugheitsmaſsregel der Finanz- verwaltung. Der Zusammenhang tritt in den süddeutschen Verfassungen aufs deut- lichste hervor; Bornhak, Preuſs. St.R. III S. 575 ff. 8 Seydel, Bayr. St.R. IV S. 399 Anm. 1. Er vergleicht (S. 401 ff.) sehr richtig die bindende Wirkung der Steuerbewilligung auf die Gesamtheit des Budgets mit der der Appropriationsklausel des englischen Rechts. 9 Die Erklärung der Menschenrechte von 1789 Art. 14 beansprucht als Recht der Bürger lediglich; „de constater par eux mêmes ou par leurs représentants la nécessité de la contribution publique, de la consentir librement et d’en suivre l’emploi“. In diesem Satz, der das ganze Wesen des Budgetrechts enthält, ist von Gesetz keine Rede. Ein Budgetgesetz wird erst in der Verfassung vom 22. frim. VIII Art. 45 erwähnt. Nach dieser Verfassung sollen eben alle Akte des

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/401>, abgerufen am 14.05.2024.