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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895.

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Die Finanzgewalt.
das Verbot der Durchfuhr, die ja vom blossen Finanzstandpunkt aus
betrachtet etwas ganz anderes wäre. Die Einfuhrverbote sind Polizei-
befehle. Das Zollgesetz fasst das selbst so auf, wenn es (§ 2) be-
stimmt, dass Ausnahmen von der Freiheit des Verkehrs durch solche
Verbote nur gemacht werden können "beim Eintritt ausserordentlicher
Umstände oder zur Abwehr gefährlicher ansteckender Krankheiten
oder aus sonstigen gesundheits- und sicherheitspolizeilichen Rück-
sichten"6.

Dass die Durchführung dieser Massregel mit der Überwachung
der Zölle verbunden ist, zieht auch die Übernahme der Formen des
Zollstrafverfahrens nach sich. Dadurch wird ihre rechtliche Natur nicht
geändert. Die Verbindung ist lediglich Zweckmässigkeitssache. Die
ältere Wirtschaftspolitik hatte allerdings mit ihren zahlreichen Einfuhr-
verboten eine verwandtere Umgebung innerhalb des Zollwesens ge-
schaffen. Jetzt steht die Kontrebande auch äusserlich darin ver-
einsamt.

Wir haben demnach nur zwei Arten von Finanzdelikten hier zu
betrachten: die Hinterziehung (Defraudation) und die Ordnungs-
widrigkeit
(Steuerkontravention). Das Verhältnis zwischen beiden
ist dies, dass die letztere das einfache Finanzdelikt schlechthin, die
erstere ein ausgezeichnetes Finanzdelikt vorstellt. Dieses Ver-
hältnis erweist sich schon daran, dass unter Umständen das Weg-
fallen gewisser besonderer Merkmale den Thatbestand der Hinter-
ziehung zum Thatbestand der Ordnungswidrigkeit, des einfachen
Finanzdeliktes herabsetzen kann7.

1. Die rechtlichen Eigentümlichkeiten des Finanzdelikts liegen
wie beim Polizeidelikt in der Bestimmung des subjektiven That-
bestandes. Man hat beide häufig zusammengefasst als Gegensätze
des gemeinen Deliktes. Sie unterscheiden sich aber auch unter
einander.

6 Bei Laband, St.R. II S. 945 ff., steht natürlich die Kontrebande an der
Spitze der Zolldelikte; nach seiner Theorie ist ja eigentlich auch die Defraudation
ihrem inneren Wesen nach ein Bruch des Einfuhrverbotes, Kontrebande; vgl. oben
§ 27 Note 18. G. Meyer, der durch keine selbstgemachte Theorie gebunden ist,
bemerkt ganz richtig (V.R. II S. 347): "die Kontrebande ist streng genommen
kein Zollvergehen, sondern eine Zuwiderhandlung gegen ein polizeiliches Verbot".
Die Kriminalisten behandeln dieses ganze Zwischengebiet zum Verwaltungsrecht
meist sehr stiefmütterlich; sie lassen deshalb auch gern die Kontrebande unbesehen
am hergebrachten Platze; Haelschner, Stf.R. S. 1004.
7 So z. B. nach Zollges. § 137 Abs. 2; vgl. unten III n. 1.

Die Finanzgewalt.
das Verbot der Durchfuhr, die ja vom bloſsen Finanzstandpunkt aus
betrachtet etwas ganz anderes wäre. Die Einfuhrverbote sind Polizei-
befehle. Das Zollgesetz faſst das selbst so auf, wenn es (§ 2) be-
stimmt, daſs Ausnahmen von der Freiheit des Verkehrs durch solche
Verbote nur gemacht werden können „beim Eintritt auſserordentlicher
Umstände oder zur Abwehr gefährlicher ansteckender Krankheiten
oder aus sonstigen gesundheits- und sicherheitspolizeilichen Rück-
sichten“6.

Daſs die Durchführung dieser Maſsregel mit der Überwachung
der Zölle verbunden ist, zieht auch die Übernahme der Formen des
Zollstrafverfahrens nach sich. Dadurch wird ihre rechtliche Natur nicht
geändert. Die Verbindung ist lediglich Zweckmäſsigkeitssache. Die
ältere Wirtschaftspolitik hatte allerdings mit ihren zahlreichen Einfuhr-
verboten eine verwandtere Umgebung innerhalb des Zollwesens ge-
schaffen. Jetzt steht die Kontrebande auch äuſserlich darin ver-
einsamt.

Wir haben demnach nur zwei Arten von Finanzdelikten hier zu
betrachten: die Hinterziehung (Defraudation) und die Ordnungs-
widrigkeit
(Steuerkontravention). Das Verhältnis zwischen beiden
ist dies, daſs die letztere das einfache Finanzdelikt schlechthin, die
erstere ein ausgezeichnetes Finanzdelikt vorstellt. Dieses Ver-
hältnis erweist sich schon daran, daſs unter Umständen das Weg-
fallen gewisser besonderer Merkmale den Thatbestand der Hinter-
ziehung zum Thatbestand der Ordnungswidrigkeit, des einfachen
Finanzdeliktes herabsetzen kann7.

1. Die rechtlichen Eigentümlichkeiten des Finanzdelikts liegen
wie beim Polizeidelikt in der Bestimmung des subjektiven That-
bestandes. Man hat beide häufig zusammengefaſst als Gegensätze
des gemeinen Deliktes. Sie unterscheiden sich aber auch unter
einander.

6 Bei Laband, St.R. II S. 945 ff., steht natürlich die Kontrebande an der
Spitze der Zolldelikte; nach seiner Theorie ist ja eigentlich auch die Defraudation
ihrem inneren Wesen nach ein Bruch des Einfuhrverbotes, Kontrebande; vgl. oben
§ 27 Note 18. G. Meyer, der durch keine selbstgemachte Theorie gebunden ist,
bemerkt ganz richtig (V.R. II S. 347): „die Kontrebande ist streng genommen
kein Zollvergehen, sondern eine Zuwiderhandlung gegen ein polizeiliches Verbot“.
Die Kriminalisten behandeln dieses ganze Zwischengebiet zum Verwaltungsrecht
meist sehr stiefmütterlich; sie lassen deshalb auch gern die Kontrebande unbesehen
am hergebrachten Platze; Haelschner, Stf.R. S. 1004.
7 So z. B. nach Zollges. § 137 Abs. 2; vgl. unten III n. 1.
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[450/0470] Die Finanzgewalt. das Verbot der Durchfuhr, die ja vom bloſsen Finanzstandpunkt aus betrachtet etwas ganz anderes wäre. Die Einfuhrverbote sind Polizei- befehle. Das Zollgesetz faſst das selbst so auf, wenn es (§ 2) be- stimmt, daſs Ausnahmen von der Freiheit des Verkehrs durch solche Verbote nur gemacht werden können „beim Eintritt auſserordentlicher Umstände oder zur Abwehr gefährlicher ansteckender Krankheiten oder aus sonstigen gesundheits- und sicherheitspolizeilichen Rück- sichten“ 6. Daſs die Durchführung dieser Maſsregel mit der Überwachung der Zölle verbunden ist, zieht auch die Übernahme der Formen des Zollstrafverfahrens nach sich. Dadurch wird ihre rechtliche Natur nicht geändert. Die Verbindung ist lediglich Zweckmäſsigkeitssache. Die ältere Wirtschaftspolitik hatte allerdings mit ihren zahlreichen Einfuhr- verboten eine verwandtere Umgebung innerhalb des Zollwesens ge- schaffen. Jetzt steht die Kontrebande auch äuſserlich darin ver- einsamt. Wir haben demnach nur zwei Arten von Finanzdelikten hier zu betrachten: die Hinterziehung (Defraudation) und die Ordnungs- widrigkeit (Steuerkontravention). Das Verhältnis zwischen beiden ist dies, daſs die letztere das einfache Finanzdelikt schlechthin, die erstere ein ausgezeichnetes Finanzdelikt vorstellt. Dieses Ver- hältnis erweist sich schon daran, daſs unter Umständen das Weg- fallen gewisser besonderer Merkmale den Thatbestand der Hinter- ziehung zum Thatbestand der Ordnungswidrigkeit, des einfachen Finanzdeliktes herabsetzen kann 7. 1. Die rechtlichen Eigentümlichkeiten des Finanzdelikts liegen wie beim Polizeidelikt in der Bestimmung des subjektiven That- bestandes. Man hat beide häufig zusammengefaſst als Gegensätze des gemeinen Deliktes. Sie unterscheiden sich aber auch unter einander. 6 Bei Laband, St.R. II S. 945 ff., steht natürlich die Kontrebande an der Spitze der Zolldelikte; nach seiner Theorie ist ja eigentlich auch die Defraudation ihrem inneren Wesen nach ein Bruch des Einfuhrverbotes, Kontrebande; vgl. oben § 27 Note 18. G. Meyer, der durch keine selbstgemachte Theorie gebunden ist, bemerkt ganz richtig (V.R. II S. 347): „die Kontrebande ist streng genommen kein Zollvergehen, sondern eine Zuwiderhandlung gegen ein polizeiliches Verbot“. Die Kriminalisten behandeln dieses ganze Zwischengebiet zum Verwaltungsrecht meist sehr stiefmütterlich; sie lassen deshalb auch gern die Kontrebande unbesehen am hergebrachten Platze; Haelschner, Stf.R. S. 1004. 7 So z. B. nach Zollges. § 137 Abs. 2; vgl. unten III n. 1.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 1. Leipzig, 1895, S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht01_1895/470>, abgerufen am 26.05.2024.