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Mendel, Gregor: Versuche über Pflanzen-Hybriden. In: Verhandlungen des Naturforschenden Vereines in Brünn 4 (1866), S. 3-47.

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Phanerogamen zu dem Zwecke der Fortpflanzung je eine Keim- und
Pollenzelle zu einer einzigen Zelle *), welche sich durch Stoffaufnahme
und Bildung neuer Zellen zu einem selbstständigen Organismus weiter
zu entwickeln vermag. Diese Entwicklung erfolgt nach einem constan-
ten Gesetze, welches in der materiellen Beschaffenheit und Anordnung
der Elemente begründet ist, die in der Zelle zur lebensfähigen Vereini-
gung gelangten. Sind die Fortpflanzungszellen gleichartig und stimmen
dieselben mit der Grundzelle der Mutterpflanze überein, dann wird die
Entwicklung des neuen Individuums durch dasselbe Gesetz geleitet, wel-
ches für die Mutterpflanze gilt. Gelingt es, eine Keimzelle mit einer
ungleichartigen Pollenzelle zu verbinden, so müssen wir annehmen,
dass zwischen jenen Elementen beider Zellen, welche die gegenseitigen
Unterschiede bedingen, irgend eine Ausgleichung stattfindet. Die daraus
hervorgehende Vermittlungszelle wird zur Grundlage des Hybriden-Or-
ganismus, dessen Entwicklung nothwendig nach einem anderen Gesetze
erfolgt, als bei jeder der beiden Stammarten. Wird die Ausgleichung
als eine vollständige angenommen, in dem Sinne nämlich, dass der hy-
bride Embryo aus gleichartigen Zellen gebildet wird, in welchen die
Differenzen gänzlich und bleibend vermittelt sind, so würde
sich als weitere Folgerung ergeben, dass die Hybride, wie jede andere
selbstständige Pflanzenart, in ihren Nachkommen constant bleiben werde.
Die Fortpflanzungszellen, welche in dem Fruchtknoten und den Anthe-
ren derselben gebildet werden, sind gleichartig und stimmen mit der
zu Grunde liegenden Vermittlungszelle überein.


*) Bei Pisum ist es wohl ausser Zweifel gestellt, dass zur Bildung des neuen
Embryo eine vollständige Vereinigung der Elemente beider Befruchtungs-
zellen stattfinden müsse. Wie wollte man es sonst erklären, dass unter
den Nachkommen der Hybriden beide Stammformen in gleicher Anzahl
und mit allen ihren Eigenthümlichkeiten wieder hervortreten? Wäre der
Einfluss des Keimsackes auf die Pollenzelle nur ein äusserer, wäre dem-
selben blos die Rolle einer Amme zugetheilt, dann könnte der Erfolg
einer jeden künstlichen Befruchtung kein anderer sein, als dass die ent-
wickelte Hybride ausschliesslich der Pollenpflanze gleich käme, oder ihr
doch sehr nahe stände. Das haben die bisherigen Versuche in keinerlei
Weise bestätigt. Ein gründlicher Beweis für die vollkommene Vereini-
gung des Inhaltes beider Zellen liegt wohl in der allseitig bestätigten
Erfahrung, dass es für die Gestalt der Hybride gleichgiltig ist, welche
von den Stammformen die Samen- oder Pollenpflanze war.

Phanerogamen zu dem Zwecke der Fortpflanzung je eine Keim- und
Pollenzelle zu einer einzigen Zelle *), welche sich durch Stoffaufnahme
und Bildung neuer Zellen zu einem selbstständigen Organismus weiter
zu entwickeln vermag. Diese Entwicklung erfolgt nach einem constan-
ten Gesetze, welches in der materiellen Beschaffenheit und Anordnung
der Elemente begründet ist, die in der Zelle zur lebensfähigen Vereini-
gung gelangten. Sind die Fortpflanzungszellen gleichartig und stimmen
dieselben mit der Grundzelle der Mutterpflanze überein, dann wird die
Entwicklung des neuen Individuums durch dasselbe Gesetz geleitet, wel-
ches für die Mutterpflanze gilt. Gelingt es, eine Keimzelle mit einer
ungleichartigen Pollenzelle zu verbinden, so müssen wir annehmen,
dass zwischen jenen Elementen beider Zellen, welche die gegenseitigen
Unterschiede bedingen, irgend eine Ausgleichung stattfindet. Die daraus
hervorgehende Vermittlungszelle wird zur Grundlage des Hybriden-Or-
ganismus, dessen Entwicklung nothwendig nach einem anderen Gesetze
erfolgt, als bei jeder der beiden Stammarten. Wird die Ausgleichung
als eine vollständige angenommen, in dem Sinne nämlich, dass der hy-
bride Embryo aus gleichartigen Zellen gebildet wird, in welchen die
Differenzen gänzlich und bleibend vermittelt sind, so würde
sich als weitere Folgerung ergeben, dass die Hybride, wie jede andere
selbstständige Pflanzenart, in ihren Nachkommen constant bleiben werde.
Die Fortpflanzungszellen, welche in dem Fruchtknoten und den Anthe-
ren derselben gebildet werden, sind gleichartig und stimmen mit der
zu Grunde liegenden Vermittlungszelle überein.


*) Bei Pisum ist es wohl ausser Zweifel gestellt, dass zur Bildung des neuen
Embryo eine vollständige Vereinigung der Elemente beider Befruchtungs-
zellen stattfinden müsse. Wie wollte man es sonst erklären, dass unter
den Nachkommen der Hybriden beide Stammformen in gleicher Anzahl
und mit allen ihren Eigenthümlichkeiten wieder hervortreten? Wäre der
Einfluss des Keimsackes auf die Pollenzelle nur ein äusserer, wäre dem-
selben blos die Rolle einer Amme zugetheilt, dann könnte der Erfolg
einer jeden künstlichen Befruchtung kein anderer sein, als dass die ent-
wickelte Hybride ausschliesslich der Pollenpflanze gleich käme, oder ihr
doch sehr nahe stände. Das haben die bisherigen Versuche in keinerlei
Weise bestätigt. Ein gründlicher Beweis für die vollkommene Vereini-
gung des Inhaltes beider Zellen liegt wohl in der allseitig bestätigten
Erfahrung, dass es für die Gestalt der Hybride gleichgiltig ist, welche
von den Stammformen die Samen- oder Pollenpflanze war.
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[41/0052] Phanerogamen zu dem Zwecke der Fortpflanzung je eine Keim- und Pollenzelle zu einer einzigen Zelle *), welche sich durch Stoffaufnahme und Bildung neuer Zellen zu einem selbstständigen Organismus weiter zu entwickeln vermag. Diese Entwicklung erfolgt nach einem constan- ten Gesetze, welches in der materiellen Beschaffenheit und Anordnung der Elemente begründet ist, die in der Zelle zur lebensfähigen Vereini- gung gelangten. Sind die Fortpflanzungszellen gleichartig und stimmen dieselben mit der Grundzelle der Mutterpflanze überein, dann wird die Entwicklung des neuen Individuums durch dasselbe Gesetz geleitet, wel- ches für die Mutterpflanze gilt. Gelingt es, eine Keimzelle mit einer ungleichartigen Pollenzelle zu verbinden, so müssen wir annehmen, dass zwischen jenen Elementen beider Zellen, welche die gegenseitigen Unterschiede bedingen, irgend eine Ausgleichung stattfindet. Die daraus hervorgehende Vermittlungszelle wird zur Grundlage des Hybriden-Or- ganismus, dessen Entwicklung nothwendig nach einem anderen Gesetze erfolgt, als bei jeder der beiden Stammarten. Wird die Ausgleichung als eine vollständige angenommen, in dem Sinne nämlich, dass der hy- bride Embryo aus gleichartigen Zellen gebildet wird, in welchen die Differenzen gänzlich und bleibend vermittelt sind, so würde sich als weitere Folgerung ergeben, dass die Hybride, wie jede andere selbstständige Pflanzenart, in ihren Nachkommen constant bleiben werde. Die Fortpflanzungszellen, welche in dem Fruchtknoten und den Anthe- ren derselben gebildet werden, sind gleichartig und stimmen mit der zu Grunde liegenden Vermittlungszelle überein. *) Bei Pisum ist es wohl ausser Zweifel gestellt, dass zur Bildung des neuen Embryo eine vollständige Vereinigung der Elemente beider Befruchtungs- zellen stattfinden müsse. Wie wollte man es sonst erklären, dass unter den Nachkommen der Hybriden beide Stammformen in gleicher Anzahl und mit allen ihren Eigenthümlichkeiten wieder hervortreten? Wäre der Einfluss des Keimsackes auf die Pollenzelle nur ein äusserer, wäre dem- selben blos die Rolle einer Amme zugetheilt, dann könnte der Erfolg einer jeden künstlichen Befruchtung kein anderer sein, als dass die ent- wickelte Hybride ausschliesslich der Pollenpflanze gleich käme, oder ihr doch sehr nahe stände. Das haben die bisherigen Versuche in keinerlei Weise bestätigt. Ein gründlicher Beweis für die vollkommene Vereini- gung des Inhaltes beider Zellen liegt wohl in der allseitig bestätigten Erfahrung, dass es für die Gestalt der Hybride gleichgiltig ist, welche von den Stammformen die Samen- oder Pollenpflanze war.

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Zitationshilfe: Mendel, Gregor: Versuche über Pflanzen-Hybriden. In: Verhandlungen des Naturforschenden Vereines in Brünn 4 (1866), S. 3-47, hier S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendel_pflanzenhybriden_1866/52>, abgerufen am 29.04.2024.