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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.

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Dem Realismus dienten zahlreiche Privatinstitute,
bis er durch das Fächerwesen auch größern Eingang
in den gelehrten Schulen fand. Den Volksunterricht
beförderten die Staaten und wohlthätige Vereine.

Es ist einer der größten Fortschritte des Jahr¬
hunderts, daß man die Gegenstände des Unterrichts
erweitert und geläutert hat. Die Erweiterung war
nothwendig, da die Jugend ehedem bei Religion und
Philologie verkümmerte, und die Läuterung ist wie¬
der nöthig geworden, weil man nachher lieber alles
und noch etwas in die Jugend hineingestopft hätte.
Daß zu dem aufgetrockneten Christenthum und Latein
der alten Schulen die neuern Sprachen, Geschichte,
Geographie, Naturlehre, Mathematik hinzugekommen
und mit Fleiß getrieben worden sind, ist gewiß ein
großer Fortschritt. Dadurch ist die Jugend dem Le¬
ben wiedergegeben worden, dadurch ist jenes zahl¬
reiche Geschlecht schwarzgalliger Magister, die Nach¬
geburt der Mönche, immer mehr ausgerottet worden.
Indeß ist man auch wieder zu weit gegangen und die
Jugend ist abermals unter der Last neuer Unterrichts¬
gegenstände erdrückt und durch ein falsches Betreiben
der sogenannten Aufklärung verbildet worden.

Nirgends herrscht so guter Wille, alles wissen zu
wollen, als in Deutschland, und nirgends herrscht
wirklich eine so universelle Bildung. Die Überladung
des jugendlichen Geistes mit Kenntnissen ist gewisser¬
maßen nothwendig geworden, wenn man die künftige
Generation auf der Höhe der einmal errungenen Bil¬

Deutsche Literatur. I. 12

Dem Realismus dienten zahlreiche Privatinſtitute,
bis er durch das Faͤcherweſen auch groͤßern Eingang
in den gelehrten Schulen fand. Den Volksunterricht
befoͤrderten die Staaten und wohlthaͤtige Vereine.

Es iſt einer der groͤßten Fortſchritte des Jahr¬
hunderts, daß man die Gegenſtaͤnde des Unterrichts
erweitert und gelaͤutert hat. Die Erweiterung war
nothwendig, da die Jugend ehedem bei Religion und
Philologie verkuͤmmerte, und die Laͤuterung iſt wie¬
der noͤthig geworden, weil man nachher lieber alles
und noch etwas in die Jugend hineingeſtopft haͤtte.
Daß zu dem aufgetrockneten Chriſtenthum und Latein
der alten Schulen die neuern Sprachen, Geſchichte,
Geographie, Naturlehre, Mathematik hinzugekommen
und mit Fleiß getrieben worden ſind, iſt gewiß ein
großer Fortſchritt. Dadurch iſt die Jugend dem Le¬
ben wiedergegeben worden, dadurch iſt jenes zahl¬
reiche Geſchlecht ſchwarzgalliger Magiſter, die Nach¬
geburt der Moͤnche, immer mehr ausgerottet worden.
Indeß iſt man auch wieder zu weit gegangen und die
Jugend iſt abermals unter der Laſt neuer Unterrichts¬
gegenſtaͤnde erdruͤckt und durch ein falſches Betreiben
der ſogenannten Aufklaͤrung verbildet worden.

Nirgends herrſcht ſo guter Wille, alles wiſſen zu
wollen, als in Deutſchland, und nirgends herrſcht
wirklich eine ſo univerſelle Bildung. Die Überladung
des jugendlichen Geiſtes mit Kenntniſſen iſt gewiſſer¬
maßen nothwendig geworden, wenn man die kuͤnftige
Generation auf der Hoͤhe der einmal errungenen Bil¬

Deutſche Literatur. I. 12
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[265/0275] Dem Realismus dienten zahlreiche Privatinſtitute, bis er durch das Faͤcherweſen auch groͤßern Eingang in den gelehrten Schulen fand. Den Volksunterricht befoͤrderten die Staaten und wohlthaͤtige Vereine. Es iſt einer der groͤßten Fortſchritte des Jahr¬ hunderts, daß man die Gegenſtaͤnde des Unterrichts erweitert und gelaͤutert hat. Die Erweiterung war nothwendig, da die Jugend ehedem bei Religion und Philologie verkuͤmmerte, und die Laͤuterung iſt wie¬ der noͤthig geworden, weil man nachher lieber alles und noch etwas in die Jugend hineingeſtopft haͤtte. Daß zu dem aufgetrockneten Chriſtenthum und Latein der alten Schulen die neuern Sprachen, Geſchichte, Geographie, Naturlehre, Mathematik hinzugekommen und mit Fleiß getrieben worden ſind, iſt gewiß ein großer Fortſchritt. Dadurch iſt die Jugend dem Le¬ ben wiedergegeben worden, dadurch iſt jenes zahl¬ reiche Geſchlecht ſchwarzgalliger Magiſter, die Nach¬ geburt der Moͤnche, immer mehr ausgerottet worden. Indeß iſt man auch wieder zu weit gegangen und die Jugend iſt abermals unter der Laſt neuer Unterrichts¬ gegenſtaͤnde erdruͤckt und durch ein falſches Betreiben der ſogenannten Aufklaͤrung verbildet worden. Nirgends herrſcht ſo guter Wille, alles wiſſen zu wollen, als in Deutſchland, und nirgends herrſcht wirklich eine ſo univerſelle Bildung. Die Überladung des jugendlichen Geiſtes mit Kenntniſſen iſt gewiſſer¬ maßen nothwendig geworden, wenn man die kuͤnftige Generation auf der Hoͤhe der einmal errungenen Bil¬ Deutſche Literatur. I. 12

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/275>, abgerufen am 30.04.2024.