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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

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stellt. Das Wesen des Talents beruht also in der
Darstellung, in der Einkleidung, im Vortrag.

Das Hervortreten des Talents bei Göthe hat
schon Novalis in seinen Fragmenten scharf und rich¬
tig bezeichnet *) . Göthe selbst giebt es zu, und hält

*) So sonderbar, als es manchem scheinen möchte, so ist
doch nichts wahrer, als daß es nur die Behandlung,
das Äußere, die Melodie des Styls ist, welche zur
Lektüre uns hinzieht, und uns an dieses oder jenes
Buch fesselt. Wilhelm Meister's Lehrjahre sind ein
mächtiger Beweis dieser Magie des Vortrags, dieser
eindringenden Schmeichelei einer glatten, gefälligen,
einfachen und doch mannigfaltigen Sprache. Wer diese
Anmuth des Sprechens besitzt, kann uns das Unbe¬
deutendste erzählen, und wir werden uns angezogen
und unterhalten finden. Diese geistige Einheit ist die
wahre Seele eines Buchs, wodurch uns dasselbe per¬
sönlich und wirksam vorkommt. --
Göthe ist ganz praktischer Dichter. Er ist in seinen
Werken, was der Engländer in seinen Waaren ist:
höchst einfach, nett, bequem und dauerhaft. Er hat
in der deutschen Literatur das gethan, was Wedge¬
wood in der englischen Kunstwelt gethan hat. Er hat,
wie die Engländer einen natürlich ökonomischen und
einen durch Verstand erworbenen edlen Ge¬
schmack. Beides verträgt sich sehr gut, und hat eine
nahe Verwandtschaft im chemischen Sinn. In seinen
physikalischen Studien wird es recht klar, daß es seine
Neigung ist, eher etwas Unbedeutendes ganz fertig zu
machen, ihm die höchste Politur und Bequemlichkeit
zu geben, als eine Welt anzufangen, und etwas zu
thun, wovon man voraus wissen kann, daß man es
nicht vollkommen ausführen wird, daß es gewiß unge¬

ſtellt. Das Weſen des Talents beruht alſo in der
Darſtellung, in der Einkleidung, im Vortrag.

Das Hervortreten des Talents bei Goͤthe hat
ſchon Novalis in ſeinen Fragmenten ſcharf und rich¬
tig bezeichnet *) . Goͤthe ſelbſt giebt es zu, und haͤlt

*) So ſonderbar, als es manchem ſcheinen moͤchte, ſo iſt
doch nichts wahrer, als daß es nur die Behandlung,
das Äußere, die Melodie des Styls iſt, welche zur
Lektuͤre uns hinzieht, und uns an dieſes oder jenes
Buch feſſelt. Wilhelm Meiſter's Lehrjahre ſind ein
maͤchtiger Beweis dieſer Magie des Vortrags, dieſer
eindringenden Schmeichelei einer glatten, gefaͤlligen,
einfachen und doch mannigfaltigen Sprache. Wer dieſe
Anmuth des Sprechens beſitzt, kann uns das Unbe¬
deutendſte erzaͤhlen, und wir werden uns angezogen
und unterhalten finden. Dieſe geiſtige Einheit iſt die
wahre Seele eines Buchs, wodurch uns daſſelbe per¬
ſoͤnlich und wirkſam vorkommt. —
Goͤthe iſt ganz praktiſcher Dichter. Er iſt in ſeinen
Werken, was der Englaͤnder in ſeinen Waaren iſt:
hoͤchſt einfach, nett, bequem und dauerhaft. Er hat
in der deutſchen Literatur das gethan, was Wedge¬
wood in der engliſchen Kunſtwelt gethan hat. Er hat,
wie die Englaͤnder einen natuͤrlich oͤkonomiſchen und
einen durch Verſtand erworbenen edlen Ge¬
ſchmack. Beides vertraͤgt ſich ſehr gut, und hat eine
nahe Verwandtſchaft im chemiſchen Sinn. In ſeinen
phyſikaliſchen Studien wird es recht klar, daß es ſeine
Neigung iſt, eher etwas Unbedeutendes ganz fertig zu
machen, ihm die hoͤchſte Politur und Bequemlichkeit
zu geben, als eine Welt anzufangen, und etwas zu
thun, wovon man voraus wiſſen kann, daß man es
nicht vollkommen ausfuͤhren wird, daß es gewiß unge¬
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[210/0220] ſtellt. Das Weſen des Talents beruht alſo in der Darſtellung, in der Einkleidung, im Vortrag. Das Hervortreten des Talents bei Goͤthe hat ſchon Novalis in ſeinen Fragmenten ſcharf und rich¬ tig bezeichnet *) . Goͤthe ſelbſt giebt es zu, und haͤlt *) So ſonderbar, als es manchem ſcheinen moͤchte, ſo iſt doch nichts wahrer, als daß es nur die Behandlung, das Äußere, die Melodie des Styls iſt, welche zur Lektuͤre uns hinzieht, und uns an dieſes oder jenes Buch feſſelt. Wilhelm Meiſter's Lehrjahre ſind ein maͤchtiger Beweis dieſer Magie des Vortrags, dieſer eindringenden Schmeichelei einer glatten, gefaͤlligen, einfachen und doch mannigfaltigen Sprache. Wer dieſe Anmuth des Sprechens beſitzt, kann uns das Unbe¬ deutendſte erzaͤhlen, und wir werden uns angezogen und unterhalten finden. Dieſe geiſtige Einheit iſt die wahre Seele eines Buchs, wodurch uns daſſelbe per¬ ſoͤnlich und wirkſam vorkommt. — Goͤthe iſt ganz praktiſcher Dichter. Er iſt in ſeinen Werken, was der Englaͤnder in ſeinen Waaren iſt: hoͤchſt einfach, nett, bequem und dauerhaft. Er hat in der deutſchen Literatur das gethan, was Wedge¬ wood in der engliſchen Kunſtwelt gethan hat. Er hat, wie die Englaͤnder einen natuͤrlich oͤkonomiſchen und einen durch Verſtand erworbenen edlen Ge¬ ſchmack. Beides vertraͤgt ſich ſehr gut, und hat eine nahe Verwandtſchaft im chemiſchen Sinn. In ſeinen phyſikaliſchen Studien wird es recht klar, daß es ſeine Neigung iſt, eher etwas Unbedeutendes ganz fertig zu machen, ihm die hoͤchſte Politur und Bequemlichkeit zu geben, als eine Welt anzufangen, und etwas zu thun, wovon man voraus wiſſen kann, daß man es nicht vollkommen ausfuͤhren wird, daß es gewiß unge¬

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/220>, abgerufen am 27.04.2024.