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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

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sie überhaupt auf große Popularität Anspruch machen
können. Ein Theil des Publikums versteht den Dich¬
ter gar nicht und der andre fühlt sich von ihm belei¬
digt. Die Leute sehn ihre Thorheit nicht eher ein,
und lachen über ihre abgeschmackten Moden nicht eher,
als bis sie dieselben abgelegt haben, und wer den
Spott anticipirt, kommt übel weg.

Der freie uninteressirte Spott der Dichter steht
im Allgemeinen hinter dem interessirten der wissen¬
schaftlichen und politischen Parteien zurück, eben weil
nur die wenigsten Menschen wirklich eine freie Stel¬
lung in unsrer Zeit behaupten, die meisten zu irgend
einer Partei gehören. Jede Partei greift die andre
auch mit den Waffen des Spottes an, und da jetzt
die Politik an der Tagesordnung ist, so ist auch der
politische Spott der vorherrschende. Wir besitzen sehr
gute Satyren gegen unsre politischen Sünden und
Gebrechen, gerade die besten aber sind dem gemei¬
nen Verstande zu hoch, oder werden von der Censur
verpönt.

Die tragikomische oder eigentliche humoristische
Poesie unterscheidet sich von jenen blos komischen
Spöttereien und Satyren durch die Beimischung sen¬
timentaler Wehmuth. Hippel verband zuerst Schmerz
und Spott, Weinen und Lachen. Der Heros des
Humors aber war Jean Paul, der ewig einzige
und unvergeßliche. Er ist neben Göthe der größte
Dichter in der modernen Gattung. Jean Paul und
Göthe sind die eigentlichen Dioskuren der modernen

ſie uͤberhaupt auf große Popularitaͤt Anſpruch machen
koͤnnen. Ein Theil des Publikums verſteht den Dich¬
ter gar nicht und der andre fuͤhlt ſich von ihm belei¬
digt. Die Leute ſehn ihre Thorheit nicht eher ein,
und lachen uͤber ihre abgeſchmackten Moden nicht eher,
als bis ſie dieſelben abgelegt haben, und wer den
Spott anticipirt, kommt uͤbel weg.

Der freie unintereſſirte Spott der Dichter ſteht
im Allgemeinen hinter dem intereſſirten der wiſſen¬
ſchaftlichen und politiſchen Parteien zuruͤck, eben weil
nur die wenigſten Menſchen wirklich eine freie Stel¬
lung in unſrer Zeit behaupten, die meiſten zu irgend
einer Partei gehoͤren. Jede Partei greift die andre
auch mit den Waffen des Spottes an, und da jetzt
die Politik an der Tagesordnung iſt, ſo iſt auch der
politiſche Spott der vorherrſchende. Wir beſitzen ſehr
gute Satyren gegen unſre politiſchen Suͤnden und
Gebrechen, gerade die beſten aber ſind dem gemei¬
nen Verſtande zu hoch, oder werden von der Cenſur
verpoͤnt.

Die tragikomiſche oder eigentliche humoriſtiſche
Poeſie unterſcheidet ſich von jenen blos komiſchen
Spoͤttereien und Satyren durch die Beimiſchung ſen¬
timentaler Wehmuth. Hippel verband zuerſt Schmerz
und Spott, Weinen und Lachen. Der Heros des
Humors aber war Jean Paul, der ewig einzige
und unvergeßliche. Er iſt neben Goͤthe der groͤßte
Dichter in der modernen Gattung. Jean Paul und
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[236/0246] ſie uͤberhaupt auf große Popularitaͤt Anſpruch machen koͤnnen. Ein Theil des Publikums verſteht den Dich¬ ter gar nicht und der andre fuͤhlt ſich von ihm belei¬ digt. Die Leute ſehn ihre Thorheit nicht eher ein, und lachen uͤber ihre abgeſchmackten Moden nicht eher, als bis ſie dieſelben abgelegt haben, und wer den Spott anticipirt, kommt uͤbel weg. Der freie unintereſſirte Spott der Dichter ſteht im Allgemeinen hinter dem intereſſirten der wiſſen¬ ſchaftlichen und politiſchen Parteien zuruͤck, eben weil nur die wenigſten Menſchen wirklich eine freie Stel¬ lung in unſrer Zeit behaupten, die meiſten zu irgend einer Partei gehoͤren. Jede Partei greift die andre auch mit den Waffen des Spottes an, und da jetzt die Politik an der Tagesordnung iſt, ſo iſt auch der politiſche Spott der vorherrſchende. Wir beſitzen ſehr gute Satyren gegen unſre politiſchen Suͤnden und Gebrechen, gerade die beſten aber ſind dem gemei¬ nen Verſtande zu hoch, oder werden von der Cenſur verpoͤnt. Die tragikomiſche oder eigentliche humoriſtiſche Poeſie unterſcheidet ſich von jenen blos komiſchen Spoͤttereien und Satyren durch die Beimiſchung ſen¬ timentaler Wehmuth. Hippel verband zuerſt Schmerz und Spott, Weinen und Lachen. Der Heros des Humors aber war Jean Paul, der ewig einzige und unvergeßliche. Er iſt neben Goͤthe der groͤßte Dichter in der modernen Gattung. Jean Paul und Goͤthe ſind die eigentlichen Dioskuren der modernen

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/246>, abgerufen am 27.04.2024.