Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

in Eile unsere wenigen Glaubensgenossen, treiben unsere
geistliche Heerde, Mann, Weib und Kind, über das Ge¬
birge nach Bünden, und decken bewaffnet den Rückzug."

Blasius Alexander schüttelte den Kopf als er von
Flucht reden hörte, und lud mißvergnügt seine Muskete,
die er mitzubringen nicht versäumt hatte, mit Pulver
aus dem großen an seiner Hüfte hangenden Familien¬
horn. Dann stellte er die Waffe zwischen die Kniee
und fuhr fort, langsam aber unausgesetzt, Becher um
Becher zu leeren, ohne daß der feurige Wein den kalt
ruhigen Blick seines Auges im Mindesten belebt, oder
sein farbloses Angesicht geröthet hätte.

Der junge Zürcher sah diesem Thun bedenklich zu
und konnte endlich die Bemerkung nicht unterdrücken,
ob der edle Trank, in solcher Ueberfülle genossen, dem
Herrn Blasius nicht zu Kopfe steigen und die im
nahenden Augenblicke der Gefahr so nöthige Geistes¬
klarheit trüben könnte.

Darauf warf ihm der Alte einen etwas verächt¬
lichen Blick zu, antwortete aber gelassen und ungekränkt:
"Ich vermag Alles in dem Herrn, der mich stark
macht."

"Das ist ein christlich Wort!" rief der Kapuziner,
ließ die Gläser klingen und reichte dem greisen Prädi¬
kanten über den Tisch die Hand.

in Eile unſere wenigen Glaubensgenoſſen, treiben unſere
geiſtliche Heerde, Mann, Weib und Kind, über das Ge¬
birge nach Bünden, und decken bewaffnet den Rückzug.“

Blaſius Alexander ſchüttelte den Kopf als er von
Flucht reden hörte, und lud mißvergnügt ſeine Muskete,
die er mitzubringen nicht verſäumt hatte, mit Pulver
aus dem großen an ſeiner Hüfte hangenden Familien¬
horn. Dann ſtellte er die Waffe zwiſchen die Kniee
und fuhr fort, langſam aber unausgeſetzt, Becher um
Becher zu leeren, ohne daß der feurige Wein den kalt
ruhigen Blick ſeines Auges im Mindeſten belebt, oder
ſein farbloſes Angeſicht geröthet hätte.

Der junge Zürcher ſah dieſem Thun bedenklich zu
und konnte endlich die Bemerkung nicht unterdrücken,
ob der edle Trank, in ſolcher Ueberfülle genoſſen, dem
Herrn Blaſius nicht zu Kopfe ſteigen und die im
nahenden Augenblicke der Gefahr ſo nöthige Geiſtes¬
klarheit trüben könnte.

Darauf warf ihm der Alte einen etwas verächt¬
lichen Blick zu, antwortete aber gelaſſen und ungekränkt:
„Ich vermag Alles in dem Herrn, der mich ſtark
macht.“

„Das iſt ein chriſtlich Wort!“ rief der Kapuziner,
ließ die Gläſer klingen und reichte dem greiſen Prädi¬
kanten über den Tiſch die Hand.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0100" n="90"/>
in Eile un&#x017F;ere wenigen Glaubensgeno&#x017F;&#x017F;en, treiben un&#x017F;ere<lb/>
gei&#x017F;tliche Heerde, Mann, Weib und Kind, über das Ge¬<lb/>
birge nach Bünden, und decken bewaffnet den Rückzug.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Bla&#x017F;ius Alexander &#x017F;chüttelte den Kopf als er von<lb/>
Flucht reden hörte, und lud mißvergnügt &#x017F;eine Muskete,<lb/>
die er mitzubringen nicht ver&#x017F;äumt hatte, mit Pulver<lb/>
aus dem großen an &#x017F;einer Hüfte hangenden Familien¬<lb/>
horn. Dann &#x017F;tellte er die Waffe zwi&#x017F;chen die Kniee<lb/>
und fuhr fort, lang&#x017F;am aber unausge&#x017F;etzt, Becher um<lb/>
Becher zu leeren, ohne daß der feurige Wein den kalt<lb/>
ruhigen Blick &#x017F;eines Auges im Minde&#x017F;ten belebt, oder<lb/>
&#x017F;ein farblo&#x017F;es Ange&#x017F;icht geröthet hätte.</p><lb/>
          <p>Der junge Zürcher &#x017F;ah die&#x017F;em Thun bedenklich zu<lb/>
und konnte endlich die Bemerkung nicht unterdrücken,<lb/>
ob der edle Trank, in &#x017F;olcher Ueberfülle geno&#x017F;&#x017F;en, dem<lb/>
Herrn Bla&#x017F;ius nicht zu Kopfe &#x017F;teigen und die im<lb/>
nahenden Augenblicke der Gefahr &#x017F;o nöthige Gei&#x017F;tes¬<lb/>
klarheit trüben könnte.</p><lb/>
          <p>Darauf warf ihm der Alte einen etwas verächt¬<lb/>
lichen Blick zu, antwortete aber gela&#x017F;&#x017F;en und ungekränkt:<lb/>
&#x201E;Ich vermag Alles in dem Herrn, der mich &#x017F;tark<lb/>
macht.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Das i&#x017F;t ein chri&#x017F;tlich Wort!&#x201C; rief der Kapuziner,<lb/>
ließ die Glä&#x017F;er klingen und reichte dem grei&#x017F;en Prädi¬<lb/>
kanten über den Ti&#x017F;ch die Hand.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[90/0100] in Eile unſere wenigen Glaubensgenoſſen, treiben unſere geiſtliche Heerde, Mann, Weib und Kind, über das Ge¬ birge nach Bünden, und decken bewaffnet den Rückzug.“ Blaſius Alexander ſchüttelte den Kopf als er von Flucht reden hörte, und lud mißvergnügt ſeine Muskete, die er mitzubringen nicht verſäumt hatte, mit Pulver aus dem großen an ſeiner Hüfte hangenden Familien¬ horn. Dann ſtellte er die Waffe zwiſchen die Kniee und fuhr fort, langſam aber unausgeſetzt, Becher um Becher zu leeren, ohne daß der feurige Wein den kalt ruhigen Blick ſeines Auges im Mindeſten belebt, oder ſein farbloſes Angeſicht geröthet hätte. Der junge Zürcher ſah dieſem Thun bedenklich zu und konnte endlich die Bemerkung nicht unterdrücken, ob der edle Trank, in ſolcher Ueberfülle genoſſen, dem Herrn Blaſius nicht zu Kopfe ſteigen und die im nahenden Augenblicke der Gefahr ſo nöthige Geiſtes¬ klarheit trüben könnte. Darauf warf ihm der Alte einen etwas verächt¬ lichen Blick zu, antwortete aber gelaſſen und ungekränkt: „Ich vermag Alles in dem Herrn, der mich ſtark macht.“ „Das iſt ein chriſtlich Wort!“ rief der Kapuziner, ließ die Gläſer klingen und reichte dem greiſen Prädi¬ kanten über den Tiſch die Hand.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/100
Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/100>, abgerufen am 29.04.2024.